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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

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still und laut zu vielenmalen. Neumann hatte sich man¬
ches von Tieck ersehen; Schleiermacher wurde genannt,
ich erhielt seine Monologen zum Geschenk, und dieser
strenge, aber schwungvoll ausgedrückte wissenschaftliche
Inhalt wurde mit dem lyrisch-sentimentalen des Höl¬
derlin'schen Hyperion als gleichartige Erquickung von
uns Dürstenden genossen. Wir hatten Alle erstaunlich
viel zu lernen, und nicht bloß nach innen, sondern auch
nach außen hin zu lernen, um unsrem geistigen Erschauen
die erforderliche Unterlage zu geben, und dieses Lernen
konnte für uns nur aus fortwährendem Erleben und
Betreiben hervorgehen. Wir sahen einander bei allen
Gelegenheiten; jeder sonst gleichgültige Besuch, jede Fahrt
über Land, jedes Geschäft wurde uns bedeutend und
fruchtbar, und wir waren weit entfernt, diese Bildungs¬
schule unangenehm zu finden, so sehr wir deren Män¬
gel in Betreff der wünschenswerthen gelehrten Kennt¬
nisse und Uebungen einsahen. Die Gesellschaft gewann
durch diese geistige Bewegung zusehends an Leben und
Reiz, und die Sprüche des paradoxen Ernstes, die Ein¬
fälle der Laune und des Witzes fielen so reichlich ab,
daß wir anfingen, sie in ein kleines, zu diesem Zwecke
gehaltenes blaues Heft zu sammeln, wo besonders die
wunderlichen und oft ungemein treffenden Schlagworte
Lippe's sich anhäuften. Die Frauen behaupteten in
diesem Treiben ihre Stelle, und waren ihm nach Kräf¬
ten förderlich, wiewohl schon mitunter einige Regungen

ſtill und laut zu vielenmalen. Neumann hatte ſich man¬
ches von Tieck erſehen; Schleiermacher wurde genannt,
ich erhielt ſeine Monologen zum Geſchenk, und dieſer
ſtrenge, aber ſchwungvoll ausgedruͤckte wiſſenſchaftliche
Inhalt wurde mit dem lyriſch-ſentimentalen des Hoͤl¬
derlin’ſchen Hyperion als gleichartige Erquickung von
uns Duͤrſtenden genoſſen. Wir hatten Alle erſtaunlich
viel zu lernen, und nicht bloß nach innen, ſondern auch
nach außen hin zu lernen, um unſrem geiſtigen Erſchauen
die erforderliche Unterlage zu geben, und dieſes Lernen
konnte fuͤr uns nur aus fortwaͤhrendem Erleben und
Betreiben hervorgehen. Wir ſahen einander bei allen
Gelegenheiten; jeder ſonſt gleichguͤltige Beſuch, jede Fahrt
uͤber Land, jedes Geſchaͤft wurde uns bedeutend und
fruchtbar, und wir waren weit entfernt, dieſe Bildungs¬
ſchule unangenehm zu finden, ſo ſehr wir deren Maͤn¬
gel in Betreff der wuͤnſchenswerthen gelehrten Kennt¬
niſſe und Uebungen einſahen. Die Geſellſchaft gewann
durch dieſe geiſtige Bewegung zuſehends an Leben und
Reiz, und die Spruͤche des paradoxen Ernſtes, die Ein¬
faͤlle der Laune und des Witzes fielen ſo reichlich ab,
daß wir anfingen, ſie in ein kleines, zu dieſem Zwecke
gehaltenes blaues Heft zu ſammeln, wo beſonders die
wunderlichen und oft ungemein treffenden Schlagworte
Lippe’s ſich anhaͤuften. Die Frauen behaupteten in
dieſem Treiben ihre Stelle, und waren ihm nach Kraͤf¬
ten foͤrderlich, wiewohl ſchon mitunter einige Regungen

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[32/0046] ſtill und laut zu vielenmalen. Neumann hatte ſich man¬ ches von Tieck erſehen; Schleiermacher wurde genannt, ich erhielt ſeine Monologen zum Geſchenk, und dieſer ſtrenge, aber ſchwungvoll ausgedruͤckte wiſſenſchaftliche Inhalt wurde mit dem lyriſch-ſentimentalen des Hoͤl¬ derlin’ſchen Hyperion als gleichartige Erquickung von uns Duͤrſtenden genoſſen. Wir hatten Alle erſtaunlich viel zu lernen, und nicht bloß nach innen, ſondern auch nach außen hin zu lernen, um unſrem geiſtigen Erſchauen die erforderliche Unterlage zu geben, und dieſes Lernen konnte fuͤr uns nur aus fortwaͤhrendem Erleben und Betreiben hervorgehen. Wir ſahen einander bei allen Gelegenheiten; jeder ſonſt gleichguͤltige Beſuch, jede Fahrt uͤber Land, jedes Geſchaͤft wurde uns bedeutend und fruchtbar, und wir waren weit entfernt, dieſe Bildungs¬ ſchule unangenehm zu finden, ſo ſehr wir deren Maͤn¬ gel in Betreff der wuͤnſchenswerthen gelehrten Kennt¬ niſſe und Uebungen einſahen. Die Geſellſchaft gewann durch dieſe geiſtige Bewegung zuſehends an Leben und Reiz, und die Spruͤche des paradoxen Ernſtes, die Ein¬ faͤlle der Laune und des Witzes fielen ſo reichlich ab, daß wir anfingen, ſie in ein kleines, zu dieſem Zwecke gehaltenes blaues Heft zu ſammeln, wo beſonders die wunderlichen und oft ungemein treffenden Schlagworte Lippe’s ſich anhaͤuften. Die Frauen behaupteten in dieſem Treiben ihre Stelle, und waren ihm nach Kraͤf¬ ten foͤrderlich, wiewohl ſchon mitunter einige Regungen

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/46>, abgerufen am 21.11.2024.