Erzeugnisse und in dem Sinne der Leser wurzeln zu machen, so würde gegen ein so mächtiges Positive alle Steigerung und Vielfachheit des Negativen nicht mehr aufkommen, und mit der Litteratur der Verzweiflung wäre es dann vorbei. Ob es je zu diesem Ergebniß kommen könne, und wie weit überhaupt in dieser Rich¬ tung vorzudringen sei, wollen wir nicht entscheiden. Uns genügt hier, den Versuch anzumerken, der gemacht wird, auf diese Weise dem trüben Wuste zu entsteigen, und in der Zerstörung und Nacht eine helle Zuflucht zu gewinnen. Mit großem Geist und Talent hat neuer¬ lich Sainte-Beuve nicht nur die Kraft des katholischen Glaubens, sondern sogar die Formen des katholischen Priesterthums in eine Novelle verwebt, welche zu den edelsten und schönsten dichterischen Erzeugnissen gehören würde, wenn der Autor vermocht hätte, die unreinen Stoffe so würdig wie die reinen zu behandeln. Eine merkwürdige Erscheinung in gleicher Hinsicht dünkt uns das Buch von Custine, zu dessen Anzeige wir diese Vorbetrachtungen nöthig hielten.
Der Marquis von Custine ist ein Enkel des berühm¬ ten Generals, verlor seinen Großvater und Vater durch das Beil der Guillotine, und gehörte, wie durch Ge¬ burt und Stand, so auch durch Sinn und Streben von jeher der royalistisch-kirchlichen Denkart an. Zuerst aufgetreten als Schriftsteller ist er, unsres Wissens, durch eine Novelle "Aloys," in welcher höchst eigenthümliche
Erzeugniſſe und in dem Sinne der Leſer wurzeln zu machen, ſo wuͤrde gegen ein ſo maͤchtiges Poſitive alle Steigerung und Vielfachheit des Negativen nicht mehr aufkommen, und mit der Litteratur der Verzweiflung waͤre es dann vorbei. Ob es je zu dieſem Ergebniß kommen koͤnne, und wie weit uͤberhaupt in dieſer Rich¬ tung vorzudringen ſei, wollen wir nicht entſcheiden. Uns genuͤgt hier, den Verſuch anzumerken, der gemacht wird, auf dieſe Weiſe dem truͤben Wuſte zu entſteigen, und in der Zerſtoͤrung und Nacht eine helle Zuflucht zu gewinnen. Mit großem Geiſt und Talent hat neuer¬ lich Sainte-Beuve nicht nur die Kraft des katholiſchen Glaubens, ſondern ſogar die Formen des katholiſchen Prieſterthums in eine Novelle verwebt, welche zu den edelſten und ſchoͤnſten dichteriſchen Erzeugniſſen gehoͤren wuͤrde, wenn der Autor vermocht haͤtte, die unreinen Stoffe ſo wuͤrdig wie die reinen zu behandeln. Eine merkwuͤrdige Erſcheinung in gleicher Hinſicht duͤnkt uns das Buch von Cuſtine, zu deſſen Anzeige wir dieſe Vorbetrachtungen noͤthig hielten.
Der Marquis von Cuſtine iſt ein Enkel des beruͤhm¬ ten Generals, verlor ſeinen Großvater und Vater durch das Beil der Guillotine, und gehoͤrte, wie durch Ge¬ burt und Stand, ſo auch durch Sinn und Streben von jeher der royaliſtiſch-kirchlichen Denkart an. Zuerſt aufgetreten als Schriftſteller iſt er, unſres Wiſſens, durch eine Novelle „Aloys,“ in welcher hoͤchſt eigenthuͤmliche
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[450/0464]
Erzeugniſſe und in dem Sinne der Leſer wurzeln zu
machen, ſo wuͤrde gegen ein ſo maͤchtiges Poſitive alle
Steigerung und Vielfachheit des Negativen nicht mehr
aufkommen, und mit der Litteratur der Verzweiflung
waͤre es dann vorbei. Ob es je zu dieſem Ergebniß
kommen koͤnne, und wie weit uͤberhaupt in dieſer Rich¬
tung vorzudringen ſei, wollen wir nicht entſcheiden.
Uns genuͤgt hier, den Verſuch anzumerken, der gemacht
wird, auf dieſe Weiſe dem truͤben Wuſte zu entſteigen,
und in der Zerſtoͤrung und Nacht eine helle Zuflucht
zu gewinnen. Mit großem Geiſt und Talent hat neuer¬
lich Sainte-Beuve nicht nur die Kraft des katholiſchen
Glaubens, ſondern ſogar die Formen des katholiſchen
Prieſterthums in eine Novelle verwebt, welche zu den
edelſten und ſchoͤnſten dichteriſchen Erzeugniſſen gehoͤren
wuͤrde, wenn der Autor vermocht haͤtte, die unreinen
Stoffe ſo wuͤrdig wie die reinen zu behandeln. Eine
merkwuͤrdige Erſcheinung in gleicher Hinſicht duͤnkt uns
das Buch von Cuſtine, zu deſſen Anzeige wir dieſe
Vorbetrachtungen noͤthig hielten.
Der Marquis von Cuſtine iſt ein Enkel des beruͤhm¬
ten Generals, verlor ſeinen Großvater und Vater durch
das Beil der Guillotine, und gehoͤrte, wie durch Ge¬
burt und Stand, ſo auch durch Sinn und Streben von
jeher der royaliſtiſch-kirchlichen Denkart an. Zuerſt
aufgetreten als Schriftſteller iſt er, unſres Wiſſens, durch
eine Novelle „Aloys,“ in welcher hoͤchſt eigenthuͤmliche
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/464>, abgerufen am 22.11.2024.
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