Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

aber den Hof, wie er sich gestaltet hat, giebt er preis;
die katholische Religion ist ihm heilig, aber in dem fal¬
schen Treiben ihrer unredlichen Diener sieht er nicht
das Priesterthum; ebensowenig will er die beschränkte
Gemeinheit des Volks und die Aristokratie in ihrer Ent¬
artung vertheidigen. Mit großer Geistesfreiheit sondert
er die falschen und verdorbenen Formen von dem Wesen
der Dinge, und hält sich an dies, indem er fallen läßt,
was nicht bestehen kann. Er gewinnt auf diese Weise
wirklich ein höheres Positive, das über den Trümmern
der Lebenswirren siegreich schwebt. Das Höchste dieses
Positiven ist ihm die katholische Kirche, seine letzte Zu¬
flucht und Tröstung der katholische Priester, dessen
Auftreten und Wirken allein die Stürme der Welt zu
beruhigen vermag. Zwar in dem Verlaufe des Romans
selber hat dieses Element keine Stelle gefunden, die
Geschichtserzählung führt alles dem Verderben zu, und
ohne die Lehre und Warnung, welche der Verfasser als
solcher eigends hinzugesellt, wäre der Ausgang einer
der verzweiflungsvollsten. Auf diese Weise jedoch, indem
der Autor gleichsam neben seiner Darstellung mitwan¬
delt, und durch persönliche Meinung ergänzt, was er
als Dichter unvollständig läßt, nimmt das Buch eine
seltsame Gestalt; es ist weniger als ein Kunstwerk, und
mehr; es ist ein Buch voll wahren Lebensgehaltes, in¬
dem es die Erfahrungen, Gefühlsweisen, Ansichten und
Hoffnungen eines eigenthümlichen, reichbegabten, in der

aber den Hof, wie er ſich geſtaltet hat, giebt er preis;
die katholiſche Religion iſt ihm heilig, aber in dem fal¬
ſchen Treiben ihrer unredlichen Diener ſieht er nicht
das Prieſterthum; ebenſowenig will er die beſchraͤnkte
Gemeinheit des Volks und die Ariſtokratie in ihrer Ent¬
artung vertheidigen. Mit großer Geiſtesfreiheit ſondert
er die falſchen und verdorbenen Formen von dem Weſen
der Dinge, und haͤlt ſich an dies, indem er fallen laͤßt,
was nicht beſtehen kann. Er gewinnt auf dieſe Weiſe
wirklich ein hoͤheres Poſitive, das uͤber den Truͤmmern
der Lebenswirren ſiegreich ſchwebt. Das Hoͤchſte dieſes
Poſitiven iſt ihm die katholiſche Kirche, ſeine letzte Zu¬
flucht und Troͤſtung der katholiſche Prieſter, deſſen
Auftreten und Wirken allein die Stuͤrme der Welt zu
beruhigen vermag. Zwar in dem Verlaufe des Romans
ſelber hat dieſes Element keine Stelle gefunden, die
Geſchichtserzaͤhlung fuͤhrt alles dem Verderben zu, und
ohne die Lehre und Warnung, welche der Verfaſſer als
ſolcher eigends hinzugeſellt, waͤre der Ausgang einer
der verzweiflungsvollſten. Auf dieſe Weiſe jedoch, indem
der Autor gleichſam neben ſeiner Darſtellung mitwan¬
delt, und durch perſoͤnliche Meinung ergaͤnzt, was er
als Dichter unvollſtaͤndig laͤßt, nimmt das Buch eine
ſeltſame Geſtalt; es iſt weniger als ein Kunſtwerk, und
mehr; es iſt ein Buch voll wahren Lebensgehaltes, in¬
dem es die Erfahrungen, Gefuͤhlsweiſen, Anſichten und
Hoffnungen eines eigenthuͤmlichen, reichbegabten, in der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0467" n="453"/>
aber den Hof, wie er &#x017F;ich ge&#x017F;taltet hat, giebt er preis;<lb/>
die katholi&#x017F;che Religion i&#x017F;t ihm heilig, aber in dem fal¬<lb/>
&#x017F;chen Treiben ihrer unredlichen Diener &#x017F;ieht er nicht<lb/>
das Prie&#x017F;terthum; eben&#x017F;owenig will er die be&#x017F;chra&#x0364;nkte<lb/>
Gemeinheit des Volks und die Ari&#x017F;tokratie in ihrer Ent¬<lb/>
artung vertheidigen. Mit großer Gei&#x017F;tesfreiheit &#x017F;ondert<lb/>
er die fal&#x017F;chen und verdorbenen Formen von dem We&#x017F;en<lb/>
der Dinge, und ha&#x0364;lt &#x017F;ich an dies, indem er fallen la&#x0364;ßt,<lb/>
was nicht be&#x017F;tehen kann. Er gewinnt auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e<lb/>
wirklich ein ho&#x0364;heres Po&#x017F;itive, das u&#x0364;ber den Tru&#x0364;mmern<lb/>
der Lebenswirren &#x017F;iegreich &#x017F;chwebt. Das Ho&#x0364;ch&#x017F;te die&#x017F;es<lb/>
Po&#x017F;itiven i&#x017F;t ihm die katholi&#x017F;che Kirche, &#x017F;eine letzte Zu¬<lb/>
flucht und Tro&#x0364;&#x017F;tung der katholi&#x017F;che Prie&#x017F;ter, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Auftreten und Wirken allein die Stu&#x0364;rme der Welt zu<lb/>
beruhigen vermag. Zwar in dem Verlaufe des Romans<lb/>
&#x017F;elber hat die&#x017F;es Element keine Stelle gefunden, die<lb/>
Ge&#x017F;chichtserza&#x0364;hlung fu&#x0364;hrt alles dem Verderben zu, und<lb/>
ohne die Lehre und Warnung, welche der Verfa&#x017F;&#x017F;er als<lb/>
&#x017F;olcher eigends hinzuge&#x017F;ellt, wa&#x0364;re der Ausgang einer<lb/>
der verzweiflungsvoll&#x017F;ten. Auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e jedoch, indem<lb/>
der Autor gleich&#x017F;am neben &#x017F;einer Dar&#x017F;tellung mitwan¬<lb/>
delt, und durch per&#x017F;o&#x0364;nliche Meinung erga&#x0364;nzt, was er<lb/>
als Dichter unvoll&#x017F;ta&#x0364;ndig la&#x0364;ßt, nimmt das Buch eine<lb/>
&#x017F;elt&#x017F;ame Ge&#x017F;talt; es i&#x017F;t weniger als ein Kun&#x017F;twerk, und<lb/>
mehr; es i&#x017F;t ein Buch voll wahren Lebensgehaltes, in¬<lb/>
dem es die Erfahrungen, Gefu&#x0364;hlswei&#x017F;en, An&#x017F;ichten und<lb/>
Hoffnungen eines eigenthu&#x0364;mlichen, reichbegabten, in der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[453/0467] aber den Hof, wie er ſich geſtaltet hat, giebt er preis; die katholiſche Religion iſt ihm heilig, aber in dem fal¬ ſchen Treiben ihrer unredlichen Diener ſieht er nicht das Prieſterthum; ebenſowenig will er die beſchraͤnkte Gemeinheit des Volks und die Ariſtokratie in ihrer Ent¬ artung vertheidigen. Mit großer Geiſtesfreiheit ſondert er die falſchen und verdorbenen Formen von dem Weſen der Dinge, und haͤlt ſich an dies, indem er fallen laͤßt, was nicht beſtehen kann. Er gewinnt auf dieſe Weiſe wirklich ein hoͤheres Poſitive, das uͤber den Truͤmmern der Lebenswirren ſiegreich ſchwebt. Das Hoͤchſte dieſes Poſitiven iſt ihm die katholiſche Kirche, ſeine letzte Zu¬ flucht und Troͤſtung der katholiſche Prieſter, deſſen Auftreten und Wirken allein die Stuͤrme der Welt zu beruhigen vermag. Zwar in dem Verlaufe des Romans ſelber hat dieſes Element keine Stelle gefunden, die Geſchichtserzaͤhlung fuͤhrt alles dem Verderben zu, und ohne die Lehre und Warnung, welche der Verfaſſer als ſolcher eigends hinzugeſellt, waͤre der Ausgang einer der verzweiflungsvollſten. Auf dieſe Weiſe jedoch, indem der Autor gleichſam neben ſeiner Darſtellung mitwan¬ delt, und durch perſoͤnliche Meinung ergaͤnzt, was er als Dichter unvollſtaͤndig laͤßt, nimmt das Buch eine ſeltſame Geſtalt; es iſt weniger als ein Kunſtwerk, und mehr; es iſt ein Buch voll wahren Lebensgehaltes, in¬ dem es die Erfahrungen, Gefuͤhlsweiſen, Anſichten und Hoffnungen eines eigenthuͤmlichen, reichbegabten, in der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/467
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/467>, abgerufen am 22.11.2024.