Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

gehobene Züge noch aufnehmen kann, z. B. den merk¬
würdigen Auftritt, wie Heim zum erstenmale des Kur¬
fürsten von Hessen-Kassel ansichtig wurde, und manches
Aehnliche, was wenigstens für künftige Mittheilung auf¬
zubewahren ist.

Dieses Buch in einem Auszuge zur Uebersicht brin¬
gen zu wollen, wäre das undankbarste und unnützeste
Geschäft. Eine solche Gabe muß ganz und vollständig
genossen werden, und niemand darf sie sich verkümmern
lassen. Die Schrift gleicht hierin dem Gegenstande, den
sie behandelt; man darf nur auf sie hinweisen, sie
empfiehlt sich durch sich selbst, und belohnt den Leser
durch unmittelbare Einwirkung.

Lebensbeschreibungen erfreuen gewöhnlich am meisten
durch ihren Anfang, wo noch die frühere Jugend, der
Kampf der Bildung und der mit der Welt geschildert
wird; gelangt man in die mittlere Zeit, wo die Höhe
erstiegen ist, die Bahn dann gleichförmig fortläuft, so
schwindet größtentheils der Reiz; und gegen das Ende,
wo vielleicht Ruhm und Ehre und Gewinn jeder Art
am reichsten sich mehren, aber die Kräfte abnehmen
und das Alter allmählig dem gemeinsamen Schicksal ent¬
gegensinkt, umdüstern sich die glänzendsten Lebensläufe,
und lassen oft nur einen schmerzlichen Eindruck zurück,
den zu mildern bisweilen auch die geistige Aussicht des
Fortwirkens und Weiterlebens mangelt, wozu der Mensch
so gern seine Zuflucht nimmt. Hier ist dieser Nachtheil

gehobene Zuͤge noch aufnehmen kann, z. B. den merk¬
wuͤrdigen Auftritt, wie Heim zum erſtenmale des Kur¬
fuͤrſten von Heſſen-Kaſſel anſichtig wurde, und manches
Aehnliche, was wenigſtens fuͤr kuͤnftige Mittheilung auf¬
zubewahren iſt.

Dieſes Buch in einem Auszuge zur Ueberſicht brin¬
gen zu wollen, waͤre das undankbarſte und unnuͤtzeſte
Geſchaͤft. Eine ſolche Gabe muß ganz und vollſtaͤndig
genoſſen werden, und niemand darf ſie ſich verkuͤmmern
laſſen. Die Schrift gleicht hierin dem Gegenſtande, den
ſie behandelt; man darf nur auf ſie hinweiſen, ſie
empfiehlt ſich durch ſich ſelbſt, und belohnt den Leſer
durch unmittelbare Einwirkung.

Lebensbeſchreibungen erfreuen gewoͤhnlich am meiſten
durch ihren Anfang, wo noch die fruͤhere Jugend, der
Kampf der Bildung und der mit der Welt geſchildert
wird; gelangt man in die mittlere Zeit, wo die Hoͤhe
erſtiegen iſt, die Bahn dann gleichfoͤrmig fortlaͤuft, ſo
ſchwindet groͤßtentheils der Reiz; und gegen das Ende,
wo vielleicht Ruhm und Ehre und Gewinn jeder Art
am reichſten ſich mehren, aber die Kraͤfte abnehmen
und das Alter allmaͤhlig dem gemeinſamen Schickſal ent¬
gegenſinkt, umduͤſtern ſich die glaͤnzendſten Lebenslaͤufe,
und laſſen oft nur einen ſchmerzlichen Eindruck zuruͤck,
den zu mildern bisweilen auch die geiſtige Ausſicht des
Fortwirkens und Weiterlebens mangelt, wozu der Menſch
ſo gern ſeine Zuflucht nimmt. Hier iſt dieſer Nachtheil

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0482" n="468"/>
gehobene Zu&#x0364;ge noch aufnehmen kann, z. B. den merk¬<lb/>
wu&#x0364;rdigen Auftritt, wie Heim zum er&#x017F;tenmale des Kur¬<lb/>
fu&#x0364;r&#x017F;ten von He&#x017F;&#x017F;en-Ka&#x017F;&#x017F;el an&#x017F;ichtig wurde, und manches<lb/>
Aehnliche, was wenig&#x017F;tens fu&#x0364;r ku&#x0364;nftige Mittheilung auf¬<lb/>
zubewahren i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;es Buch in einem Auszuge zur Ueber&#x017F;icht brin¬<lb/>
gen zu wollen, wa&#x0364;re das undankbar&#x017F;te und unnu&#x0364;tze&#x017F;te<lb/>
Ge&#x017F;cha&#x0364;ft. Eine &#x017F;olche Gabe muß ganz und voll&#x017F;ta&#x0364;ndig<lb/>
geno&#x017F;&#x017F;en werden, und niemand darf &#x017F;ie &#x017F;ich verku&#x0364;mmern<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en. Die Schrift gleicht hierin dem Gegen&#x017F;tande, den<lb/>
&#x017F;ie behandelt; man darf nur auf &#x017F;ie hinwei&#x017F;en, &#x017F;ie<lb/>
empfiehlt &#x017F;ich durch &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, und belohnt den Le&#x017F;er<lb/>
durch unmittelbare Einwirkung.</p><lb/>
          <p>Lebensbe&#x017F;chreibungen erfreuen gewo&#x0364;hnlich am mei&#x017F;ten<lb/>
durch ihren Anfang, wo noch die fru&#x0364;here Jugend, der<lb/>
Kampf der Bildung und der mit der Welt ge&#x017F;childert<lb/>
wird; gelangt man in die mittlere Zeit, wo die Ho&#x0364;he<lb/>
er&#x017F;tiegen i&#x017F;t, die Bahn dann gleichfo&#x0364;rmig fortla&#x0364;uft, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chwindet gro&#x0364;ßtentheils der Reiz; und gegen das Ende,<lb/>
wo vielleicht Ruhm und Ehre und Gewinn jeder Art<lb/>
am reich&#x017F;ten &#x017F;ich mehren, aber die Kra&#x0364;fte abnehmen<lb/>
und das Alter allma&#x0364;hlig dem gemein&#x017F;amen Schick&#x017F;al ent¬<lb/>
gegen&#x017F;inkt, umdu&#x0364;&#x017F;tern &#x017F;ich die gla&#x0364;nzend&#x017F;ten Lebensla&#x0364;ufe,<lb/>
und la&#x017F;&#x017F;en oft nur einen &#x017F;chmerzlichen Eindruck zuru&#x0364;ck,<lb/>
den zu mildern bisweilen auch die gei&#x017F;tige Aus&#x017F;icht des<lb/>
Fortwirkens und Weiterlebens mangelt, wozu der Men&#x017F;ch<lb/>
&#x017F;o gern &#x017F;eine Zuflucht nimmt. Hier i&#x017F;t die&#x017F;er Nachtheil<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[468/0482] gehobene Zuͤge noch aufnehmen kann, z. B. den merk¬ wuͤrdigen Auftritt, wie Heim zum erſtenmale des Kur¬ fuͤrſten von Heſſen-Kaſſel anſichtig wurde, und manches Aehnliche, was wenigſtens fuͤr kuͤnftige Mittheilung auf¬ zubewahren iſt. Dieſes Buch in einem Auszuge zur Ueberſicht brin¬ gen zu wollen, waͤre das undankbarſte und unnuͤtzeſte Geſchaͤft. Eine ſolche Gabe muß ganz und vollſtaͤndig genoſſen werden, und niemand darf ſie ſich verkuͤmmern laſſen. Die Schrift gleicht hierin dem Gegenſtande, den ſie behandelt; man darf nur auf ſie hinweiſen, ſie empfiehlt ſich durch ſich ſelbſt, und belohnt den Leſer durch unmittelbare Einwirkung. Lebensbeſchreibungen erfreuen gewoͤhnlich am meiſten durch ihren Anfang, wo noch die fruͤhere Jugend, der Kampf der Bildung und der mit der Welt geſchildert wird; gelangt man in die mittlere Zeit, wo die Hoͤhe erſtiegen iſt, die Bahn dann gleichfoͤrmig fortlaͤuft, ſo ſchwindet groͤßtentheils der Reiz; und gegen das Ende, wo vielleicht Ruhm und Ehre und Gewinn jeder Art am reichſten ſich mehren, aber die Kraͤfte abnehmen und das Alter allmaͤhlig dem gemeinſamen Schickſal ent¬ gegenſinkt, umduͤſtern ſich die glaͤnzendſten Lebenslaͤufe, und laſſen oft nur einen ſchmerzlichen Eindruck zuruͤck, den zu mildern bisweilen auch die geiſtige Ausſicht des Fortwirkens und Weiterlebens mangelt, wozu der Menſch ſo gern ſeine Zuflucht nimmt. Hier iſt dieſer Nachtheil

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/482
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/482>, abgerufen am 22.11.2024.