Ich schicke euch einige Lieder von ihm, "des Knaben Berglied" und "die drei Lieder" gefallen euch gewiß. Auch eine Stelle aus einer Dichtung in Prosa stehe hier; von einer Geliebten wird gesagt: "Sie war der Glanz meiner Jugendtage; des Morgens Morgenstern, des Abends Abendroth. Ein Kuß von ihr! ein Ab¬ schiedskuß! Und sind wir uns nicht bestimmt für's Leben, so mögen wir uns doch bestimmt sein für einen Kuß. Und drängt sich in einen solchen Kuß nicht eines Lebens Lust und Schmach?" -- Umgang hab' ich nicht viel mit ihm, und nur durch Kerner's Vermittelung, denn er ist der entschlossenste, hartnäckigste Schweiger, der mir noch vorgekommen, er übertrifft unsern Bekker sogar! keine Verlegenheit, keine Angst wirkt auf ihn, er wartet es ab, was draus werden möge, und schweigt. Redet er aber, so ist, was er sagt, gediegen, klar, zweckmäßig, und möglichst kurz; ohne alle Absicht und Ziererei ist es so, aus freier Natur heraus. Ist das nicht schön? Und so ist der ganze Mensch. Seine Redlichkeit, Hochherzigkeit und Treue preist jeder, der ihn kennt, als unerschütterlich und probehaltig. Er wird nächstens die Universität verlassen, und eine Reise nach Paris unternehmen. Er ist im Ganzen nicht rauh und herb, aber wo er es ist, werden ihn die Franzosen nicht glätten, und gesprächig machen noch weniger. --
Nun muß ich aber auch von Kerner mancherlei erzählen! Auch er ist nicht nach unsrer norddeutschen
III.7
Ich ſchicke euch einige Lieder von ihm, „des Knaben Berglied“ und „die drei Lieder“ gefallen euch gewiß. Auch eine Stelle aus einer Dichtung in Proſa ſtehe hier; von einer Geliebten wird geſagt: „Sie war der Glanz meiner Jugendtage; des Morgens Morgenſtern, des Abends Abendroth. Ein Kuß von ihr! ein Ab¬ ſchiedskuß! Und ſind wir uns nicht beſtimmt fuͤr's Leben, ſo moͤgen wir uns doch beſtimmt ſein fuͤr einen Kuß. Und draͤngt ſich in einen ſolchen Kuß nicht eines Lebens Luſt und Schmach?“ — Umgang hab' ich nicht viel mit ihm, und nur durch Kerner's Vermittelung, denn er iſt der entſchloſſenſte, hartnaͤckigſte Schweiger, der mir noch vorgekommen, er uͤbertrifft unſern Bekker ſogar! keine Verlegenheit, keine Angſt wirkt auf ihn, er wartet es ab, was draus werden moͤge, und ſchweigt. Redet er aber, ſo iſt, was er ſagt, gediegen, klar, zweckmaͤßig, und moͤglichſt kurz; ohne alle Abſicht und Ziererei iſt es ſo, aus freier Natur heraus. Iſt das nicht ſchoͤn? Und ſo iſt der ganze Menſch. Seine Redlichkeit, Hochherzigkeit und Treue preiſt jeder, der ihn kennt, als unerſchuͤtterlich und probehaltig. Er wird naͤchſtens die Univerſitaͤt verlaſſen, und eine Reiſe nach Paris unternehmen. Er iſt im Ganzen nicht rauh und herb, aber wo er es iſt, werden ihn die Franzoſen nicht glaͤtten, und geſpraͤchig machen noch weniger. —
Nun muß ich aber auch von Kerner mancherlei erzaͤhlen! Auch er iſt nicht nach unſrer norddeutſchen
III.7
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Ich ſchicke euch einige Lieder von ihm, „des Knaben
Berglied“ und „die drei Lieder“ gefallen euch gewiß.
Auch eine Stelle aus einer Dichtung in Proſa ſtehe
hier; von einer Geliebten wird geſagt: „Sie war der
Glanz meiner Jugendtage; des Morgens Morgenſtern,
des Abends Abendroth. Ein Kuß von ihr! ein Ab¬
ſchiedskuß! Und ſind wir uns nicht beſtimmt fuͤr's
Leben, ſo moͤgen wir uns doch beſtimmt ſein fuͤr einen
Kuß. Und draͤngt ſich in einen ſolchen Kuß nicht eines
Lebens Luſt und Schmach?“ — Umgang hab' ich nicht
viel mit ihm, und nur durch Kerner's Vermittelung,
denn er iſt der entſchloſſenſte, hartnaͤckigſte Schweiger,
der mir noch vorgekommen, er uͤbertrifft unſern Bekker
ſogar! keine Verlegenheit, keine Angſt wirkt auf ihn,
er wartet es ab, was draus werden moͤge, und ſchweigt.
Redet er aber, ſo iſt, was er ſagt, gediegen, klar,
zweckmaͤßig, und moͤglichſt kurz; ohne alle Abſicht und
Ziererei iſt es ſo, aus freier Natur heraus. Iſt das
nicht ſchoͤn? Und ſo iſt der ganze Menſch. Seine
Redlichkeit, Hochherzigkeit und Treue preiſt jeder, der
ihn kennt, als unerſchuͤtterlich und probehaltig. Er wird
naͤchſtens die Univerſitaͤt verlaſſen, und eine Reiſe nach
Paris unternehmen. Er iſt im Ganzen nicht rauh und
herb, aber wo er es iſt, werden ihn die Franzoſen nicht
glaͤtten, und geſpraͤchig machen noch weniger. —
Nun muß ich aber auch von Kerner mancherlei
erzaͤhlen! Auch er iſt nicht nach unſrer norddeutſchen
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/109>, abgerufen am 04.12.2024.
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