Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

schon bekannter Name, jene unreifen, vergessenen Ge¬
dichte sind es, die mir diese neuen Freunde verschafft,
aus diesem geringen Faden spann sich die schönste Ver¬
bindung. Die uns damals wegen unsres kecken Auf¬
tretens tadelten, dachten nur an den Gewinn der Lit¬
teratur, wir freilich auch, aber der Lebensgewinn ist
ein ganz anderer, und wie reich ist uns der aus jenen
jugendlichen Strebungen aufgegangen! Ein Trost für
schlechte Poeten, für schlechte Schriftsteller, aber in der
That ein Trost, sobald nur wirklich der Gewinn erlangt
wird. --

Von Uhland brachte mir Kerner ein ganzes Päckchen
handschriftlicher Gedichte. Da tauchte mir wirklich die
Seele in frische Dichtungsfluth! Seine Lieder sind
Goethisch; das heißt aber nicht Goethe'n nachgeahmt,
sondern in gleichem Werthe mit dessen Liedern: eben so
wahr und rein, so frisch und süß! Uhland behilft sich
nie mit Worten und Redensarten; nur das Gefühl
spricht und die Anschauung, daher ist sein Ausdruck
immer ächt. Die Natur, die ihn umgiebt, die Vorzeit,
deren Sage er verhallen hört, bezeichnen den Kreis
seiner Dichtung, aber sein Geist ist doch aus unserer
Zeit, sein Gemüth umfaßt die ganze Bildung derselben,
und so ist er der Auffassung und Wirkung nach durch¬
aus modern. Seine gedrungene Kürze macht mich bis¬
weilen aufjauchzen. Vaterlands- und Freiheitsliebe
durchströmen ihn, und auch dies macht ihn mir werth.

ſchon bekannter Name, jene unreifen, vergeſſenen Ge¬
dichte ſind es, die mir dieſe neuen Freunde verſchafft,
aus dieſem geringen Faden ſpann ſich die ſchoͤnſte Ver¬
bindung. Die uns damals wegen unſres kecken Auf¬
tretens tadelten, dachten nur an den Gewinn der Lit¬
teratur, wir freilich auch, aber der Lebensgewinn iſt
ein ganz anderer, und wie reich iſt uns der aus jenen
jugendlichen Strebungen aufgegangen! Ein Troſt fuͤr
ſchlechte Poeten, fuͤr ſchlechte Schriftſteller, aber in der
That ein Troſt, ſobald nur wirklich der Gewinn erlangt
wird. —

Von Uhland brachte mir Kerner ein ganzes Paͤckchen
handſchriftlicher Gedichte. Da tauchte mir wirklich die
Seele in friſche Dichtungsfluth! Seine Lieder ſind
Goethiſch; das heißt aber nicht Goethe'n nachgeahmt,
ſondern in gleichem Werthe mit deſſen Liedern: eben ſo
wahr und rein, ſo friſch und ſuͤß! Uhland behilft ſich
nie mit Worten und Redensarten; nur das Gefuͤhl
ſpricht und die Anſchauung, daher iſt ſein Ausdruck
immer aͤcht. Die Natur, die ihn umgiebt, die Vorzeit,
deren Sage er verhallen hoͤrt, bezeichnen den Kreis
ſeiner Dichtung, aber ſein Geiſt iſt doch aus unſerer
Zeit, ſein Gemuͤth umfaßt die ganze Bildung derſelben,
und ſo iſt er der Auffaſſung und Wirkung nach durch¬
aus modern. Seine gedrungene Kuͤrze macht mich bis¬
weilen aufjauchzen. Vaterlands- und Freiheitsliebe
durchſtroͤmen ihn, und auch dies macht ihn mir werth.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0108" n="96"/>
&#x017F;chon bekannter Name, jene unreifen, verge&#x017F;&#x017F;enen Ge¬<lb/>
dichte &#x017F;ind es, die mir die&#x017F;e neuen Freunde ver&#x017F;chafft,<lb/>
aus die&#x017F;em geringen Faden &#x017F;pann &#x017F;ich die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Ver¬<lb/>
bindung. Die uns damals wegen un&#x017F;res kecken Auf¬<lb/>
tretens tadelten, dachten nur an den Gewinn der Lit¬<lb/>
teratur, wir freilich auch, aber der Lebensgewinn i&#x017F;t<lb/>
ein ganz anderer, und wie reich i&#x017F;t uns der aus jenen<lb/>
jugendlichen Strebungen aufgegangen! Ein Tro&#x017F;t fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;chlechte Poeten, fu&#x0364;r &#x017F;chlechte Schrift&#x017F;teller, aber in der<lb/>
That ein Tro&#x017F;t, &#x017F;obald nur wirklich der Gewinn erlangt<lb/>
wird. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Von Uhland brachte mir Kerner ein ganzes Pa&#x0364;ckchen<lb/>
hand&#x017F;chriftlicher Gedichte. Da tauchte mir wirklich die<lb/>
Seele in fri&#x017F;che Dichtungsfluth! Seine Lieder &#x017F;ind<lb/>
Goethi&#x017F;ch; das heißt aber nicht Goethe'n nachgeahmt,<lb/>
&#x017F;ondern in gleichem Werthe mit de&#x017F;&#x017F;en Liedern: eben &#x017F;o<lb/>
wahr und rein, &#x017F;o fri&#x017F;ch und &#x017F;u&#x0364;ß! Uhland behilft &#x017F;ich<lb/>
nie mit Worten und Redensarten; nur das Gefu&#x0364;hl<lb/>
&#x017F;pricht und die An&#x017F;chauung, daher i&#x017F;t &#x017F;ein Ausdruck<lb/>
immer a&#x0364;cht. Die Natur, die ihn umgiebt, die Vorzeit,<lb/>
deren Sage er verhallen ho&#x0364;rt, bezeichnen den Kreis<lb/>
&#x017F;einer Dichtung, aber &#x017F;ein Gei&#x017F;t i&#x017F;t doch aus un&#x017F;erer<lb/>
Zeit, &#x017F;ein Gemu&#x0364;th umfaßt die ganze Bildung der&#x017F;elben,<lb/>
und &#x017F;o i&#x017F;t er der Auffa&#x017F;&#x017F;ung und Wirkung nach durch¬<lb/>
aus modern. Seine gedrungene Ku&#x0364;rze macht mich bis¬<lb/>
weilen aufjauchzen. Vaterlands- und Freiheitsliebe<lb/>
durch&#x017F;tro&#x0364;men ihn, und auch dies macht ihn mir werth.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0108] ſchon bekannter Name, jene unreifen, vergeſſenen Ge¬ dichte ſind es, die mir dieſe neuen Freunde verſchafft, aus dieſem geringen Faden ſpann ſich die ſchoͤnſte Ver¬ bindung. Die uns damals wegen unſres kecken Auf¬ tretens tadelten, dachten nur an den Gewinn der Lit¬ teratur, wir freilich auch, aber der Lebensgewinn iſt ein ganz anderer, und wie reich iſt uns der aus jenen jugendlichen Strebungen aufgegangen! Ein Troſt fuͤr ſchlechte Poeten, fuͤr ſchlechte Schriftſteller, aber in der That ein Troſt, ſobald nur wirklich der Gewinn erlangt wird. — Von Uhland brachte mir Kerner ein ganzes Paͤckchen handſchriftlicher Gedichte. Da tauchte mir wirklich die Seele in friſche Dichtungsfluth! Seine Lieder ſind Goethiſch; das heißt aber nicht Goethe'n nachgeahmt, ſondern in gleichem Werthe mit deſſen Liedern: eben ſo wahr und rein, ſo friſch und ſuͤß! Uhland behilft ſich nie mit Worten und Redensarten; nur das Gefuͤhl ſpricht und die Anſchauung, daher iſt ſein Ausdruck immer aͤcht. Die Natur, die ihn umgiebt, die Vorzeit, deren Sage er verhallen hoͤrt, bezeichnen den Kreis ſeiner Dichtung, aber ſein Geiſt iſt doch aus unſerer Zeit, ſein Gemuͤth umfaßt die ganze Bildung derſelben, und ſo iſt er der Auffaſſung und Wirkung nach durch¬ aus modern. Seine gedrungene Kuͤrze macht mich bis¬ weilen aufjauchzen. Vaterlands- und Freiheitsliebe durchſtroͤmen ihn, und auch dies macht ihn mir werth.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/108
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/108>, abgerufen am 14.05.2024.