Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

diesen Tagen nach Basel; dort wird er sich besinnen,
neue Plane anlegen, die meinigen erwarten. Ich, zu
weit von Berlin und Hamburg, bin für den Winter
hier gefangen! Doch sobald meine jetzt erschöpften Hülfs¬
quellen wieder etwas gewachsen sind, was zum Früh¬
jahr gewiß geschieht, aber auch vielleicht früher, mache
mich auf, und eile, wohin das Herz begehrt! Wo das
sein wird? Ich weiß es selbst nicht; jeder Ort, jede
Lage, jede Thätigkeit ist mir recht, -- wenn sich das
Eine mir erfüllt! Wien steht uns wohl im Sinn, aber
auch Paris. Leider schwank' ich nicht allein, Alle schwan¬
ken, und jeder nach andern Richtungen, mit andern
Aussichten; wo kein Punkt fest ist, alles nur in fort¬
währender Bewegung sich gegenseitig bedingen soll, da
ist schwer eine Verknüpfung zu treffen. Doch gibt uns
der neuste Entschluß wieder Muth, wir sind die Stockung
im Innern los. Tadelt nur Harscher'n nicht, daß er
mich allein läßt! Ich selbst habe ihn mit aller Ueber¬
redung dazu gedrängt. Auch ich bin dadurch freier.

Tübingen, Ende Novembers 1808. Harscher ist
längst in Basel, und läd't mich ein, zu ihm zu kommen,
im elterlichen Hause mit ihm zu wohnen, zu leben. --
Hier hat sich Justinus Kerner sehr an mich angeschlossen,
und auch Ludwig Uhland hab' ich nun erst recht kennen
gelernt. Zwei liebe, herrliche Menschen, ächte, ursprüng¬
liche Seelen, reich begabt mit innrem Leben und äuße¬
rem Talent. Mein ihnen durch die Almanachspoesien

dieſen Tagen nach Baſel; dort wird er ſich beſinnen,
neue Plane anlegen, die meinigen erwarten. Ich, zu
weit von Berlin und Hamburg, bin fuͤr den Winter
hier gefangen! Doch ſobald meine jetzt erſchoͤpften Huͤlfs¬
quellen wieder etwas gewachſen ſind, was zum Fruͤh¬
jahr gewiß geſchieht, aber auch vielleicht fruͤher, mache
mich auf, und eile, wohin das Herz begehrt! Wo das
ſein wird? Ich weiß es ſelbſt nicht; jeder Ort, jede
Lage, jede Thaͤtigkeit iſt mir recht, — wenn ſich das
Eine mir erfuͤllt! Wien ſteht uns wohl im Sinn, aber
auch Paris. Leider ſchwank' ich nicht allein, Alle ſchwan¬
ken, und jeder nach andern Richtungen, mit andern
Ausſichten; wo kein Punkt feſt iſt, alles nur in fort¬
waͤhrender Bewegung ſich gegenſeitig bedingen ſoll, da
iſt ſchwer eine Verknuͤpfung zu treffen. Doch gibt uns
der neuſte Entſchluß wieder Muth, wir ſind die Stockung
im Innern los. Tadelt nur Harſcher'n nicht, daß er
mich allein laͤßt! Ich ſelbſt habe ihn mit aller Ueber¬
redung dazu gedraͤngt. Auch ich bin dadurch freier.

Tuͤbingen, Ende Novembers 1808. Harſcher iſt
laͤngſt in Baſel, und laͤd't mich ein, zu ihm zu kommen,
im elterlichen Hauſe mit ihm zu wohnen, zu leben. —
Hier hat ſich Juſtinus Kerner ſehr an mich angeſchloſſen,
und auch Ludwig Uhland hab' ich nun erſt recht kennen
gelernt. Zwei liebe, herrliche Menſchen, aͤchte, urſpruͤng¬
liche Seelen, reich begabt mit innrem Leben und aͤuße¬
rem Talent. Mein ihnen durch die Almanachspoeſien

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0107" n="95"/>
die&#x017F;en Tagen nach Ba&#x017F;el; dort wird er &#x017F;ich be&#x017F;innen,<lb/>
neue Plane anlegen, die meinigen erwarten. Ich, zu<lb/>
weit von Berlin und Hamburg, bin fu&#x0364;r den Winter<lb/>
hier gefangen! Doch &#x017F;obald meine jetzt er&#x017F;cho&#x0364;pften Hu&#x0364;lfs¬<lb/>
quellen wieder etwas gewach&#x017F;en &#x017F;ind, was zum Fru&#x0364;<lb/>
jahr gewiß ge&#x017F;chieht, aber auch vielleicht fru&#x0364;her, mache<lb/>
mich auf, und eile, wohin das Herz begehrt! Wo das<lb/>
&#x017F;ein wird? Ich weiß es &#x017F;elb&#x017F;t nicht; jeder Ort, jede<lb/>
Lage, jede Tha&#x0364;tigkeit i&#x017F;t mir recht, &#x2014; wenn &#x017F;ich das<lb/>
Eine mir erfu&#x0364;llt! Wien &#x017F;teht uns wohl im Sinn, aber<lb/>
auch Paris. Leider &#x017F;chwank' ich nicht allein, Alle &#x017F;chwan¬<lb/>
ken, und jeder nach andern Richtungen, mit andern<lb/>
Aus&#x017F;ichten; wo kein Punkt fe&#x017F;t i&#x017F;t, alles nur in fort¬<lb/>
wa&#x0364;hrender Bewegung &#x017F;ich gegen&#x017F;eitig bedingen &#x017F;oll, da<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;chwer eine Verknu&#x0364;pfung zu treffen. Doch gibt uns<lb/>
der neu&#x017F;te Ent&#x017F;chluß wieder Muth, wir &#x017F;ind die Stockung<lb/>
im Innern los. Tadelt nur Har&#x017F;cher'n nicht, daß er<lb/>
mich allein la&#x0364;ßt! Ich &#x017F;elb&#x017F;t habe ihn mit aller Ueber¬<lb/>
redung dazu gedra&#x0364;ngt. Auch ich bin dadurch freier.</p><lb/>
        <p>Tu&#x0364;bingen, Ende Novembers <hi rendition="#b">1808.</hi> Har&#x017F;cher i&#x017F;t<lb/>
la&#x0364;ng&#x017F;t in Ba&#x017F;el, und la&#x0364;d't mich ein, zu ihm zu kommen,<lb/>
im elterlichen Hau&#x017F;e mit ihm zu wohnen, zu leben. &#x2014;<lb/>
Hier hat &#x017F;ich Ju&#x017F;tinus Kerner &#x017F;ehr an mich ange&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
und auch Ludwig Uhland hab' ich nun er&#x017F;t recht kennen<lb/>
gelernt. Zwei liebe, herrliche Men&#x017F;chen, a&#x0364;chte, ur&#x017F;pru&#x0364;ng¬<lb/>
liche Seelen, reich begabt mit innrem Leben und a&#x0364;uße¬<lb/>
rem Talent. Mein ihnen durch die Almanachspoe&#x017F;ien<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0107] dieſen Tagen nach Baſel; dort wird er ſich beſinnen, neue Plane anlegen, die meinigen erwarten. Ich, zu weit von Berlin und Hamburg, bin fuͤr den Winter hier gefangen! Doch ſobald meine jetzt erſchoͤpften Huͤlfs¬ quellen wieder etwas gewachſen ſind, was zum Fruͤh¬ jahr gewiß geſchieht, aber auch vielleicht fruͤher, mache mich auf, und eile, wohin das Herz begehrt! Wo das ſein wird? Ich weiß es ſelbſt nicht; jeder Ort, jede Lage, jede Thaͤtigkeit iſt mir recht, — wenn ſich das Eine mir erfuͤllt! Wien ſteht uns wohl im Sinn, aber auch Paris. Leider ſchwank' ich nicht allein, Alle ſchwan¬ ken, und jeder nach andern Richtungen, mit andern Ausſichten; wo kein Punkt feſt iſt, alles nur in fort¬ waͤhrender Bewegung ſich gegenſeitig bedingen ſoll, da iſt ſchwer eine Verknuͤpfung zu treffen. Doch gibt uns der neuſte Entſchluß wieder Muth, wir ſind die Stockung im Innern los. Tadelt nur Harſcher'n nicht, daß er mich allein laͤßt! Ich ſelbſt habe ihn mit aller Ueber¬ redung dazu gedraͤngt. Auch ich bin dadurch freier. Tuͤbingen, Ende Novembers 1808. Harſcher iſt laͤngſt in Baſel, und laͤd't mich ein, zu ihm zu kommen, im elterlichen Hauſe mit ihm zu wohnen, zu leben. — Hier hat ſich Juſtinus Kerner ſehr an mich angeſchloſſen, und auch Ludwig Uhland hab' ich nun erſt recht kennen gelernt. Zwei liebe, herrliche Menſchen, aͤchte, urſpruͤng¬ liche Seelen, reich begabt mit innrem Leben und aͤuße¬ rem Talent. Mein ihnen durch die Almanachspoeſien

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/107
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/107>, abgerufen am 13.05.2024.