und reißt mich zu staunender Bewunderung hin; ich entdecke, indem ich die alten bekannten Züge schärfer fasse, tausend neue. Den Stil studir' ich bis in's ge¬ naueste Detail hinein, und mich dünkt, daß ich ihn sehr gut kenne. Ich weiß, ihm nichts an die Seite zu stellen, im Deutschen nichts, denn wenn ich in Berlin bisweilen gelten ließ, daß Harscher die Weihnachtsfeier von Schleiermacher als etwas Aehnliches pries, so dünkt mich jetzt diese Prosa gegen jene doch nur wie eine affektirte Melina neben der anmuthigen Philine. Und dieser Zauber der Vortrefflichkeit, dieser wunderbare Lichtreiz, erscheint mir am stärksten, indem ich darauf ausgehe -- ihr werdet es kaum glauben -- Schwächen und Lücken in dem Buche aufzuspüren, die ich auch -- werdet ihr es glauben? -- reichlich finde und aufzeichne. Es ist aber als ob die Einsicht in diese Schwächen auch die Vorzüge heller strahlen machte. Mir ist als wan¬ delte ich an einem Feiertage durch die kunstreiche, ge¬ heimnißvolle Werkstatt des Dichters, sähe seine Arbeit auf allen ihren Stufen, vom rohen Stoffe, wie er da¬ liegt, bis zum feinsten Gebild, in das er verarbeitet worden, sähe die Werkzeuge und Hülfsmittel, deren er sich bedient, und könnte ihm sein ganzes Verfahren absehen, und es so gut wie er machen, -- wenn er mir zu allem diesen nur noch ein bischen seinen Kopf und seine Hand leihen wollte! -- Verlacht mich nicht, aber meine Sinnesart führt mich immerfort in solche
und reißt mich zu ſtaunender Bewunderung hin; ich entdecke, indem ich die alten bekannten Zuͤge ſchaͤrfer faſſe, tauſend neue. Den Stil ſtudir' ich bis in's ge¬ naueſte Detail hinein, und mich duͤnkt, daß ich ihn ſehr gut kenne. Ich weiß, ihm nichts an die Seite zu ſtellen, im Deutſchen nichts, denn wenn ich in Berlin bisweilen gelten ließ, daß Harſcher die Weihnachtsfeier von Schleiermacher als etwas Aehnliches pries, ſo duͤnkt mich jetzt dieſe Proſa gegen jene doch nur wie eine affektirte Melina neben der anmuthigen Philine. Und dieſer Zauber der Vortrefflichkeit, dieſer wunderbare Lichtreiz, erſcheint mir am ſtaͤrkſten, indem ich darauf ausgehe — ihr werdet es kaum glauben — Schwaͤchen und Luͤcken in dem Buche aufzuſpuͤren, die ich auch — werdet ihr es glauben? — reichlich finde und aufzeichne. Es iſt aber als ob die Einſicht in dieſe Schwaͤchen auch die Vorzuͤge heller ſtrahlen machte. Mir iſt als wan¬ delte ich an einem Feiertage durch die kunſtreiche, ge¬ heimnißvolle Werkſtatt des Dichters, ſaͤhe ſeine Arbeit auf allen ihren Stufen, vom rohen Stoffe, wie er da¬ liegt, bis zum feinſten Gebild, in das er verarbeitet worden, ſaͤhe die Werkzeuge und Huͤlfsmittel, deren er ſich bedient, und koͤnnte ihm ſein ganzes Verfahren abſehen, und es ſo gut wie er machen, — wenn er mir zu allem dieſen nur noch ein bischen ſeinen Kopf und ſeine Hand leihen wollte! — Verlacht mich nicht, aber meine Sinnesart fuͤhrt mich immerfort in ſolche
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0118"n="106"/>
und reißt mich zu ſtaunender Bewunderung hin; ich<lb/>
entdecke, indem ich die alten bekannten Zuͤge ſchaͤrfer<lb/>
faſſe, tauſend neue. Den Stil ſtudir' ich bis in's ge¬<lb/>
naueſte Detail hinein, und mich duͤnkt, daß ich ihn<lb/>ſehr gut kenne. Ich weiß, ihm nichts an die Seite zu<lb/>ſtellen, im Deutſchen nichts, denn wenn ich in Berlin<lb/>
bisweilen gelten ließ, daß Harſcher die Weihnachtsfeier<lb/>
von Schleiermacher als etwas Aehnliches pries, ſo duͤnkt<lb/>
mich jetzt dieſe Proſa gegen jene doch nur wie eine<lb/>
affektirte Melina neben der anmuthigen Philine. Und<lb/>
dieſer Zauber der Vortrefflichkeit, dieſer wunderbare<lb/>
Lichtreiz, erſcheint mir am ſtaͤrkſten, indem ich darauf<lb/>
ausgehe — ihr werdet es kaum glauben — Schwaͤchen<lb/>
und Luͤcken in dem Buche aufzuſpuͤren, die ich auch —<lb/>
werdet ihr es glauben? — reichlich finde und aufzeichne.<lb/>
Es iſt aber als ob die Einſicht in dieſe Schwaͤchen auch<lb/>
die Vorzuͤge heller ſtrahlen machte. Mir iſt als wan¬<lb/>
delte ich an einem Feiertage durch die kunſtreiche, ge¬<lb/>
heimnißvolle Werkſtatt des Dichters, ſaͤhe ſeine Arbeit<lb/>
auf allen ihren Stufen, vom rohen Stoffe, wie er da¬<lb/>
liegt, bis zum feinſten Gebild, in das er verarbeitet<lb/>
worden, ſaͤhe die Werkzeuge und Huͤlfsmittel, deren er<lb/>ſich bedient, und koͤnnte ihm ſein ganzes Verfahren<lb/>
abſehen, und es ſo gut wie er machen, — wenn er<lb/>
mir zu allem dieſen nur noch ein bischen ſeinen Kopf<lb/>
und ſeine Hand leihen wollte! — Verlacht mich nicht,<lb/>
aber meine Sinnesart fuͤhrt mich immerfort in ſolche<lb/></p></div></body></text></TEI>
[106/0118]
und reißt mich zu ſtaunender Bewunderung hin; ich
entdecke, indem ich die alten bekannten Zuͤge ſchaͤrfer
faſſe, tauſend neue. Den Stil ſtudir' ich bis in's ge¬
naueſte Detail hinein, und mich duͤnkt, daß ich ihn
ſehr gut kenne. Ich weiß, ihm nichts an die Seite zu
ſtellen, im Deutſchen nichts, denn wenn ich in Berlin
bisweilen gelten ließ, daß Harſcher die Weihnachtsfeier
von Schleiermacher als etwas Aehnliches pries, ſo duͤnkt
mich jetzt dieſe Proſa gegen jene doch nur wie eine
affektirte Melina neben der anmuthigen Philine. Und
dieſer Zauber der Vortrefflichkeit, dieſer wunderbare
Lichtreiz, erſcheint mir am ſtaͤrkſten, indem ich darauf
ausgehe — ihr werdet es kaum glauben — Schwaͤchen
und Luͤcken in dem Buche aufzuſpuͤren, die ich auch —
werdet ihr es glauben? — reichlich finde und aufzeichne.
Es iſt aber als ob die Einſicht in dieſe Schwaͤchen auch
die Vorzuͤge heller ſtrahlen machte. Mir iſt als wan¬
delte ich an einem Feiertage durch die kunſtreiche, ge¬
heimnißvolle Werkſtatt des Dichters, ſaͤhe ſeine Arbeit
auf allen ihren Stufen, vom rohen Stoffe, wie er da¬
liegt, bis zum feinſten Gebild, in das er verarbeitet
worden, ſaͤhe die Werkzeuge und Huͤlfsmittel, deren er
ſich bedient, und koͤnnte ihm ſein ganzes Verfahren
abſehen, und es ſo gut wie er machen, — wenn er
mir zu allem dieſen nur noch ein bischen ſeinen Kopf
und ſeine Hand leihen wollte! — Verlacht mich nicht,
aber meine Sinnesart fuͤhrt mich immerfort in ſolche
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/118>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.