Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Untersuchungen, wobei viel Einzelnes genau zu betrach¬
ten ist; sogar die Uebersicht eines Ganzen und seiner
Gliederung gewinn' ich meist nur auf diese Weise, und
ich finde nach dem absichtlichen Aufmerken auf das Ein¬
zelne auch mein Verständniß der ganzen Gestalt und
ihrer Bedeutung erhöht. -- Ich lese aber auch, weil
ich ihn doch persönlich kennen gelernt, jetzt viel in Jean
Paul Richter. Aus dem Hesperus, den ich eben vor¬
habe, hängen eine Menge bunter Papierstreifen, die als
Abfall ausgeschnittener Bilderchen auf meinem Tische
lagen, als Zeichen und Freudenbänder schöner Stellen
heraus; die Bilderchen waren für Jean Paul's Kinder,
und so giebt er mir Geschenk für Geschenk zurück, daß
ich beinah sagen kann, diese Stelle sei der Dank für
dieses Bildchen. Wie aus Jean Paul's Zettelkasten,
nicht wahr? --

Tübingen, Freitag den 9. December 1808. Ich
habe mit Kerner einen Abend und eine Nacht verlebt,
an die ich gedenken werde. Aus Cotta's Laden hatte
ich die eben erschienene Theorie der Geisterkunde von
Jung-Stilling mitgebracht, das Titelbild, die weiße
Frau vorstellend, machte schon einen unheimlichen Ein¬
druck, und als Kerner Abends zu mir kam, reizte uns
der schauerliche Inhalt. Es ist merkwürdig, wie Jung
sich zugleich als schlechter Denker und als geschickter
Darsteller zeigt. Sein rastloser, gläubiger Eifer, die
wirkliche Frömmigkeit, mit der er schlechthin alles auf

Unterſuchungen, wobei viel Einzelnes genau zu betrach¬
ten iſt; ſogar die Ueberſicht eines Ganzen und ſeiner
Gliederung gewinn' ich meiſt nur auf dieſe Weiſe, und
ich finde nach dem abſichtlichen Aufmerken auf das Ein¬
zelne auch mein Verſtaͤndniß der ganzen Geſtalt und
ihrer Bedeutung erhoͤht. — Ich leſe aber auch, weil
ich ihn doch perſoͤnlich kennen gelernt, jetzt viel in Jean
Paul Richter. Aus dem Hesperus, den ich eben vor¬
habe, haͤngen eine Menge bunter Papierſtreifen, die als
Abfall ausgeſchnittener Bilderchen auf meinem Tiſche
lagen, als Zeichen und Freudenbaͤnder ſchoͤner Stellen
heraus; die Bilderchen waren fuͤr Jean Paul's Kinder,
und ſo giebt er mir Geſchenk fuͤr Geſchenk zuruͤck, daß
ich beinah ſagen kann, dieſe Stelle ſei der Dank fuͤr
dieſes Bildchen. Wie aus Jean Paul's Zettelkaſten,
nicht wahr? —

Tuͤbingen, Freitag den 9. December 1808. Ich
habe mit Kerner einen Abend und eine Nacht verlebt,
an die ich gedenken werde. Aus Cotta's Laden hatte
ich die eben erſchienene Theorie der Geiſterkunde von
Jung-Stilling mitgebracht, das Titelbild, die weiße
Frau vorſtellend, machte ſchon einen unheimlichen Ein¬
druck, und als Kerner Abends zu mir kam, reizte uns
der ſchauerliche Inhalt. Es iſt merkwuͤrdig, wie Jung
ſich zugleich als ſchlechter Denker und als geſchickter
Darſteller zeigt. Sein raſtloſer, glaͤubiger Eifer, die
wirkliche Froͤmmigkeit, mit der er ſchlechthin alles auf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0119" n="107"/>
Unter&#x017F;uchungen, wobei viel Einzelnes genau zu betrach¬<lb/>
ten i&#x017F;t; &#x017F;ogar die Ueber&#x017F;icht eines Ganzen und &#x017F;einer<lb/>
Gliederung gewinn' ich mei&#x017F;t nur auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e, und<lb/>
ich finde nach dem ab&#x017F;ichtlichen Aufmerken auf das Ein¬<lb/>
zelne auch mein Ver&#x017F;ta&#x0364;ndniß der ganzen Ge&#x017F;talt und<lb/>
ihrer Bedeutung erho&#x0364;ht. &#x2014; Ich le&#x017F;e aber auch, weil<lb/>
ich ihn doch per&#x017F;o&#x0364;nlich kennen gelernt, jetzt viel in Jean<lb/>
Paul Richter. Aus dem Hesperus, den ich eben vor¬<lb/>
habe, ha&#x0364;ngen eine Menge bunter Papier&#x017F;treifen, die als<lb/>
Abfall ausge&#x017F;chnittener Bilderchen auf meinem Ti&#x017F;che<lb/>
lagen, als Zeichen und Freudenba&#x0364;nder &#x017F;cho&#x0364;ner Stellen<lb/>
heraus; die Bilderchen waren fu&#x0364;r Jean Paul's Kinder,<lb/>
und &#x017F;o giebt er mir Ge&#x017F;chenk fu&#x0364;r Ge&#x017F;chenk zuru&#x0364;ck, daß<lb/>
ich beinah &#x017F;agen kann, die&#x017F;e Stelle &#x017F;ei der Dank fu&#x0364;r<lb/>
die&#x017F;es Bildchen. Wie aus Jean Paul's Zettelka&#x017F;ten,<lb/>
nicht wahr? &#x2014;</p><lb/>
        <p>Tu&#x0364;bingen, Freitag den <hi rendition="#b">9.</hi> December <hi rendition="#b">1808.</hi> Ich<lb/>
habe mit Kerner einen Abend und eine Nacht verlebt,<lb/>
an die ich gedenken werde. Aus Cotta's Laden hatte<lb/>
ich die eben er&#x017F;chienene Theorie der Gei&#x017F;terkunde von<lb/>
Jung-Stilling mitgebracht, das Titelbild, die weiße<lb/>
Frau vor&#x017F;tellend, machte &#x017F;chon einen unheimlichen Ein¬<lb/>
druck, und als Kerner Abends zu mir kam, reizte uns<lb/>
der &#x017F;chauerliche Inhalt. Es i&#x017F;t merkwu&#x0364;rdig, wie Jung<lb/>
&#x017F;ich zugleich als &#x017F;chlechter Denker und als ge&#x017F;chickter<lb/>
Dar&#x017F;teller zeigt. Sein ra&#x017F;tlo&#x017F;er, gla&#x0364;ubiger Eifer, die<lb/>
wirkliche Fro&#x0364;mmigkeit, mit der er &#x017F;chlechthin alles auf<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0119] Unterſuchungen, wobei viel Einzelnes genau zu betrach¬ ten iſt; ſogar die Ueberſicht eines Ganzen und ſeiner Gliederung gewinn' ich meiſt nur auf dieſe Weiſe, und ich finde nach dem abſichtlichen Aufmerken auf das Ein¬ zelne auch mein Verſtaͤndniß der ganzen Geſtalt und ihrer Bedeutung erhoͤht. — Ich leſe aber auch, weil ich ihn doch perſoͤnlich kennen gelernt, jetzt viel in Jean Paul Richter. Aus dem Hesperus, den ich eben vor¬ habe, haͤngen eine Menge bunter Papierſtreifen, die als Abfall ausgeſchnittener Bilderchen auf meinem Tiſche lagen, als Zeichen und Freudenbaͤnder ſchoͤner Stellen heraus; die Bilderchen waren fuͤr Jean Paul's Kinder, und ſo giebt er mir Geſchenk fuͤr Geſchenk zuruͤck, daß ich beinah ſagen kann, dieſe Stelle ſei der Dank fuͤr dieſes Bildchen. Wie aus Jean Paul's Zettelkaſten, nicht wahr? — Tuͤbingen, Freitag den 9. December 1808. Ich habe mit Kerner einen Abend und eine Nacht verlebt, an die ich gedenken werde. Aus Cotta's Laden hatte ich die eben erſchienene Theorie der Geiſterkunde von Jung-Stilling mitgebracht, das Titelbild, die weiße Frau vorſtellend, machte ſchon einen unheimlichen Ein¬ druck, und als Kerner Abends zu mir kam, reizte uns der ſchauerliche Inhalt. Es iſt merkwuͤrdig, wie Jung ſich zugleich als ſchlechter Denker und als geſchickter Darſteller zeigt. Sein raſtloſer, glaͤubiger Eifer, die wirkliche Froͤmmigkeit, mit der er ſchlechthin alles auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/119
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/119>, abgerufen am 04.12.2024.