Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

die wir hoffen durften, blieben aus, besonders in Neu¬
mann's Verhältnissen trat völlige Ebbe ein, und wir
waren beide geraume Zeit auf die Mittel beschränkt,
welche mir zukamen, und bei denen für zwei doch man¬
ches Behelfen nöthig wurde; wir wohnten und lebten
indeß gemeinschaftlich, so gut es ging.

Mein Studiren war bald angeordnet. Ich warf
mich bei den Unsicherheiten, die ich in unsrer deutschen
Welt herrschen sah, nur um so ernstlicher auf die Me¬
dicin, als worin mir Stand und Waffe zum bedenklichen
Kampfe des bürgerlichen Lebens vor allem gewonnen
sein mußte, um demnächst wo möglich auch andre Zwecke
und Aussichten verfolgen zu können. Manche Zwischen¬
stufe, zu welcher ich später zurückzukehren dachte, für
jetzt überspringend, und im Grunde wirklich genugsam
vorbereitet, eilte ich sogleich in die Mitte der ausüben¬
den Heilkunde, und machte den klinischen Lehrgang in
dem Charite-Krankenhause mit, außerdem hörte ich bei
Willdenow Botanik und Arzneimittellehre, und, damit
ich mir an Gründlichkeit nichts erließe, nochmals, ich
glaube zum siebenten oder achtenmale, die Osteologie.
In bestimmten Stunden trieb ich mit Theremin das
Spanische, Englisch und Italiänisch mit andern Freunden,
und kein Tag verging, da ich nicht im Homer und in
der griechischen Anthologie gelesen und aus der letztern
ein paar Stücke metrisch übersetzt hätte, welches letztere
mir gewöhnlich schon zuerst am Morgen, beim Ankleiden

1*

die wir hoffen durften, blieben aus, beſonders in Neu¬
mann's Verhaͤltniſſen trat voͤllige Ebbe ein, und wir
waren beide geraume Zeit auf die Mittel beſchraͤnkt,
welche mir zukamen, und bei denen fuͤr zwei doch man¬
ches Behelfen noͤthig wurde; wir wohnten und lebten
indeß gemeinſchaftlich, ſo gut es ging.

Mein Studiren war bald angeordnet. Ich warf
mich bei den Unſicherheiten, die ich in unſrer deutſchen
Welt herrſchen ſah, nur um ſo ernſtlicher auf die Me¬
dicin, als worin mir Stand und Waffe zum bedenklichen
Kampfe des buͤrgerlichen Lebens vor allem gewonnen
ſein mußte, um demnaͤchſt wo moͤglich auch andre Zwecke
und Ausſichten verfolgen zu koͤnnen. Manche Zwiſchen¬
ſtufe, zu welcher ich ſpaͤter zuruͤckzukehren dachte, fuͤr
jetzt uͤberſpringend, und im Grunde wirklich genugſam
vorbereitet, eilte ich ſogleich in die Mitte der ausuͤben¬
den Heilkunde, und machte den kliniſchen Lehrgang in
dem Charité-Krankenhauſe mit, außerdem hoͤrte ich bei
Willdenow Botanik und Arzneimittellehre, und, damit
ich mir an Gruͤndlichkeit nichts erließe, nochmals, ich
glaube zum ſiebenten oder achtenmale, die Oſteologie.
In beſtimmten Stunden trieb ich mit Theremin das
Spaniſche, Engliſch und Italiaͤniſch mit andern Freunden,
und kein Tag verging, da ich nicht im Homer und in
der griechiſchen Anthologie geleſen und aus der letztern
ein paar Stuͤcke metriſch uͤberſetzt haͤtte, welches letztere
mir gewoͤhnlich ſchon zuerſt am Morgen, beim Ankleiden

1*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0015" n="3"/>
die wir hoffen durften, blieben aus, be&#x017F;onders in Neu¬<lb/>
mann's Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en trat vo&#x0364;llige Ebbe ein, und wir<lb/>
waren beide geraume Zeit auf die Mittel be&#x017F;chra&#x0364;nkt,<lb/>
welche mir zukamen, und bei denen fu&#x0364;r zwei doch man¬<lb/>
ches Behelfen no&#x0364;thig wurde; wir wohnten und lebten<lb/>
indeß gemein&#x017F;chaftlich, &#x017F;o gut es ging.</p><lb/>
          <p>Mein Studiren war bald angeordnet. Ich warf<lb/>
mich bei den Un&#x017F;icherheiten, die ich in un&#x017F;rer deut&#x017F;chen<lb/>
Welt herr&#x017F;chen &#x017F;ah, nur um &#x017F;o ern&#x017F;tlicher auf die Me¬<lb/>
dicin, als worin mir Stand und Waffe zum bedenklichen<lb/>
Kampfe des bu&#x0364;rgerlichen Lebens vor allem gewonnen<lb/>
&#x017F;ein mußte, um demna&#x0364;ch&#x017F;t wo mo&#x0364;glich auch andre Zwecke<lb/>
und Aus&#x017F;ichten verfolgen zu ko&#x0364;nnen. Manche Zwi&#x017F;chen¬<lb/>
&#x017F;tufe, zu welcher ich &#x017F;pa&#x0364;ter zuru&#x0364;ckzukehren dachte, fu&#x0364;r<lb/>
jetzt u&#x0364;ber&#x017F;pringend, und im Grunde wirklich genug&#x017F;am<lb/>
vorbereitet, eilte ich &#x017F;ogleich in die Mitte der ausu&#x0364;ben¬<lb/>
den Heilkunde, und machte den klini&#x017F;chen Lehrgang in<lb/>
dem Charit<hi rendition="#aq">é</hi>-Krankenhau&#x017F;e mit, außerdem ho&#x0364;rte ich bei<lb/>
Willdenow Botanik und Arzneimittellehre, und, damit<lb/>
ich mir an Gru&#x0364;ndlichkeit nichts erließe, nochmals, ich<lb/>
glaube zum &#x017F;iebenten oder achtenmale, die O&#x017F;teologie.<lb/>
In be&#x017F;timmten Stunden trieb ich mit Theremin das<lb/>
Spani&#x017F;che, Engli&#x017F;ch und Italia&#x0364;ni&#x017F;ch mit andern Freunden,<lb/>
und kein Tag verging, da ich nicht im Homer und in<lb/>
der griechi&#x017F;chen Anthologie gele&#x017F;en und aus der letztern<lb/>
ein paar Stu&#x0364;cke metri&#x017F;ch u&#x0364;ber&#x017F;etzt ha&#x0364;tte, welches letztere<lb/>
mir gewo&#x0364;hnlich &#x017F;chon zuer&#x017F;t am Morgen, beim Ankleiden<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#b">1</hi>*<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[3/0015] die wir hoffen durften, blieben aus, beſonders in Neu¬ mann's Verhaͤltniſſen trat voͤllige Ebbe ein, und wir waren beide geraume Zeit auf die Mittel beſchraͤnkt, welche mir zukamen, und bei denen fuͤr zwei doch man¬ ches Behelfen noͤthig wurde; wir wohnten und lebten indeß gemeinſchaftlich, ſo gut es ging. Mein Studiren war bald angeordnet. Ich warf mich bei den Unſicherheiten, die ich in unſrer deutſchen Welt herrſchen ſah, nur um ſo ernſtlicher auf die Me¬ dicin, als worin mir Stand und Waffe zum bedenklichen Kampfe des buͤrgerlichen Lebens vor allem gewonnen ſein mußte, um demnaͤchſt wo moͤglich auch andre Zwecke und Ausſichten verfolgen zu koͤnnen. Manche Zwiſchen¬ ſtufe, zu welcher ich ſpaͤter zuruͤckzukehren dachte, fuͤr jetzt uͤberſpringend, und im Grunde wirklich genugſam vorbereitet, eilte ich ſogleich in die Mitte der ausuͤben¬ den Heilkunde, und machte den kliniſchen Lehrgang in dem Charité-Krankenhauſe mit, außerdem hoͤrte ich bei Willdenow Botanik und Arzneimittellehre, und, damit ich mir an Gruͤndlichkeit nichts erließe, nochmals, ich glaube zum ſiebenten oder achtenmale, die Oſteologie. In beſtimmten Stunden trieb ich mit Theremin das Spaniſche, Engliſch und Italiaͤniſch mit andern Freunden, und kein Tag verging, da ich nicht im Homer und in der griechiſchen Anthologie geleſen und aus der letztern ein paar Stuͤcke metriſch uͤberſetzt haͤtte, welches letztere mir gewoͤhnlich ſchon zuerſt am Morgen, beim Ankleiden 1*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/15
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/15>, abgerufen am 03.12.2024.