Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Ort und seine Eindrücke unerschöpflichen Anreiz boten.
Nachmittags besuchten wir auch die unterirdischen Ge¬
mächer und das Innere der Thürme; seltsame und
grausame Gefängnisse zeigten sich, ein tiefes Burgver¬
ließ, in welchem die Hinabgelassenen verschmachten
mußten, eine Marterkammer, deren scheußliche Werk¬
zeuge jetzt verrostet umherlagen, aber noch lebte ein
alter Mann auf dem Schlosse, der in seiner Jugend
sie hatte anwenden sehen. Viele Rüstungen, Lanzen,
Schilde und Pfeile waren in einem dunkeln Gemach
aufgehäuft. Eine Anzahl noch ziemlich erhaltener, zum
Theil lebensgroßer Bildnisse vergegenwärtigte die ehe¬
maligen Häupter dieser hingestorbenen Welt; das Bild
der berühmten weißen Frau, die auch hier bei wichti¬
gen Ereignissen, so fern sie die Familie betreffen, und
besonders bei Todesfällen ihr Wesen treiben soll, wurde
als durch die Zeit zerstört angegeben, oder sollte aus
besondern Gründen nicht gezeigt werden; die uralte
kleine Schaffnerin aber, welche behauptete, mehr als
zehnmal die schreckliche Erscheinung gesehen zu haben,
hätte sich allenfalls selber dafür ausgeben können, so
schauerlich und düster war ihr ganzes Wesen. Nachdem
wir noch im Wald unfern der Burg eine neuentdeckte
reichhaltige Schwefelquelle besichtigt, und einen Blick
auf die nahgelegenen ungeheuren Steinbrüche geworfen,
aus deren Steinen unter andern das Rathhaus zu
Amsterdam erbaut worden, fuhren wir mit einbrechender

Ort und ſeine Eindruͤcke unerſchoͤpflichen Anreiz boten.
Nachmittags beſuchten wir auch die unterirdiſchen Ge¬
maͤcher und das Innere der Thuͤrme; ſeltſame und
grauſame Gefaͤngniſſe zeigten ſich, ein tiefes Burgver¬
ließ, in welchem die Hinabgelaſſenen verſchmachten
mußten, eine Marterkammer, deren ſcheußliche Werk¬
zeuge jetzt verroſtet umherlagen, aber noch lebte ein
alter Mann auf dem Schloſſe, der in ſeiner Jugend
ſie hatte anwenden ſehen. Viele Ruͤſtungen, Lanzen,
Schilde und Pfeile waren in einem dunkeln Gemach
aufgehaͤuft. Eine Anzahl noch ziemlich erhaltener, zum
Theil lebensgroßer Bildniſſe vergegenwaͤrtigte die ehe¬
maligen Haͤupter dieſer hingeſtorbenen Welt; das Bild
der beruͤhmten weißen Frau, die auch hier bei wichti¬
gen Ereigniſſen, ſo fern ſie die Familie betreffen, und
beſonders bei Todesfaͤllen ihr Weſen treiben ſoll, wurde
als durch die Zeit zerſtoͤrt angegeben, oder ſollte aus
beſondern Gruͤnden nicht gezeigt werden; die uralte
kleine Schaffnerin aber, welche behauptete, mehr als
zehnmal die ſchreckliche Erſcheinung geſehen zu haben,
haͤtte ſich allenfalls ſelber dafuͤr ausgeben koͤnnen, ſo
ſchauerlich und duͤſter war ihr ganzes Weſen. Nachdem
wir noch im Wald unfern der Burg eine neuentdeckte
reichhaltige Schwefelquelle beſichtigt, und einen Blick
auf die nahgelegenen ungeheuren Steinbruͤche geworfen,
aus deren Steinen unter andern das Rathhaus zu
Amſterdam erbaut worden, fuhren wir mit einbrechender

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0156" n="144"/>
Ort und &#x017F;eine Eindru&#x0364;cke uner&#x017F;cho&#x0364;pflichen Anreiz boten.<lb/>
Nachmittags be&#x017F;uchten wir auch die unterirdi&#x017F;chen Ge¬<lb/>
ma&#x0364;cher und das Innere der Thu&#x0364;rme; &#x017F;elt&#x017F;ame und<lb/>
grau&#x017F;ame Gefa&#x0364;ngni&#x017F;&#x017F;e zeigten &#x017F;ich, ein tiefes Burgver¬<lb/>
ließ, in welchem die Hinabgela&#x017F;&#x017F;enen ver&#x017F;chmachten<lb/>
mußten, eine Marterkammer, deren &#x017F;cheußliche Werk¬<lb/>
zeuge jetzt verro&#x017F;tet umherlagen, aber noch lebte ein<lb/>
alter Mann auf dem Schlo&#x017F;&#x017F;e, der in &#x017F;einer Jugend<lb/>
&#x017F;ie hatte anwenden &#x017F;ehen. Viele Ru&#x0364;&#x017F;tungen, Lanzen,<lb/>
Schilde und Pfeile waren in einem dunkeln Gemach<lb/>
aufgeha&#x0364;uft. Eine Anzahl noch ziemlich erhaltener, zum<lb/>
Theil lebensgroßer Bildni&#x017F;&#x017F;e vergegenwa&#x0364;rtigte die ehe¬<lb/>
maligen Ha&#x0364;upter die&#x017F;er hinge&#x017F;torbenen Welt; das Bild<lb/>
der beru&#x0364;hmten weißen Frau, die auch hier bei wichti¬<lb/>
gen Ereigni&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o fern &#x017F;ie die Familie betreffen, und<lb/>
be&#x017F;onders bei Todesfa&#x0364;llen ihr We&#x017F;en treiben &#x017F;oll, wurde<lb/>
als durch die Zeit zer&#x017F;to&#x0364;rt angegeben, oder &#x017F;ollte aus<lb/>
be&#x017F;ondern Gru&#x0364;nden nicht gezeigt werden; die uralte<lb/>
kleine Schaffnerin aber, welche behauptete, mehr als<lb/>
zehnmal die &#x017F;chreckliche Er&#x017F;cheinung ge&#x017F;ehen zu haben,<lb/>
ha&#x0364;tte &#x017F;ich allenfalls &#x017F;elber dafu&#x0364;r ausgeben ko&#x0364;nnen, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chauerlich und du&#x0364;&#x017F;ter war ihr ganzes We&#x017F;en. Nachdem<lb/>
wir noch im Wald unfern der Burg eine neuentdeckte<lb/>
reichhaltige Schwefelquelle be&#x017F;ichtigt, und einen Blick<lb/>
auf die nahgelegenen ungeheuren Steinbru&#x0364;che geworfen,<lb/>
aus deren Steinen unter andern das Rathhaus zu<lb/>
Am&#x017F;terdam erbaut worden, fuhren wir mit einbrechender<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0156] Ort und ſeine Eindruͤcke unerſchoͤpflichen Anreiz boten. Nachmittags beſuchten wir auch die unterirdiſchen Ge¬ maͤcher und das Innere der Thuͤrme; ſeltſame und grauſame Gefaͤngniſſe zeigten ſich, ein tiefes Burgver¬ ließ, in welchem die Hinabgelaſſenen verſchmachten mußten, eine Marterkammer, deren ſcheußliche Werk¬ zeuge jetzt verroſtet umherlagen, aber noch lebte ein alter Mann auf dem Schloſſe, der in ſeiner Jugend ſie hatte anwenden ſehen. Viele Ruͤſtungen, Lanzen, Schilde und Pfeile waren in einem dunkeln Gemach aufgehaͤuft. Eine Anzahl noch ziemlich erhaltener, zum Theil lebensgroßer Bildniſſe vergegenwaͤrtigte die ehe¬ maligen Haͤupter dieſer hingeſtorbenen Welt; das Bild der beruͤhmten weißen Frau, die auch hier bei wichti¬ gen Ereigniſſen, ſo fern ſie die Familie betreffen, und beſonders bei Todesfaͤllen ihr Weſen treiben ſoll, wurde als durch die Zeit zerſtoͤrt angegeben, oder ſollte aus beſondern Gruͤnden nicht gezeigt werden; die uralte kleine Schaffnerin aber, welche behauptete, mehr als zehnmal die ſchreckliche Erſcheinung geſehen zu haben, haͤtte ſich allenfalls ſelber dafuͤr ausgeben koͤnnen, ſo ſchauerlich und duͤſter war ihr ganzes Weſen. Nachdem wir noch im Wald unfern der Burg eine neuentdeckte reichhaltige Schwefelquelle beſichtigt, und einen Blick auf die nahgelegenen ungeheuren Steinbruͤche geworfen, aus deren Steinen unter andern das Rathhaus zu Amſterdam erbaut worden, fuhren wir mit einbrechender

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/156
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/156>, abgerufen am 21.11.2024.