die fremde Hand kann abschaffen, aber nicht heilen, nicht verbessern. Das bezeugen auch hier tausend Kla¬ gen, die laut den Arm des Rächers und Befreiers an¬ rufen. So fordert eine strenge Konskription -- an sich die gerechteste Maßregel, aber unter dem fremden Joche die schrecklichste -- nun auch das Blut der Unglücklichen, das in fremden Schlachten am Tajo und vielleicht an der Wolga soll verspritzt werden, damit die Nachblei¬ benden um so sichrer gefesselt seien! Eine billige Vor¬ stellung der Bürger, daß die Befreiung vom Kriegs¬ dienste durch Stellvertreter auf dieselbe Weise, wie es in Frankreich geschieht, eingeführt würde, ist mit Härte abgewiesen worden, und die Behörde zieht das Los¬ kaufgeld ein, während die übrigen Kriegspflichtigen nun doch die bestimmte Anzahl zum Dienste stellen. So haben es die Deutschen in vielen Stücken schlimmer, als selbst die Franzosen, und ich habe schon von vielen Leuten hören müssen, für das äußre Gedeihen müßte das Volk wünschen, gleich völlig zu Frankreich geschla¬ gen zu werden. Doch ist es wahrlich nicht der äußre Vortheil allein, der die Wünsche des Volks bestimmt. Hier ist seit langer Zeit gleichsam ein Stapelplatz des französischen Wesens für Deutschland, unzählige Bezüge reichen nach Frankreich hinüber, seit Jahren sind hier französische Truppen und Verwaltungen, aber ungeachtet alles dessen hat sich fast nichts von französischem Sinn hier festgesetzt, vielmehr eine immer stärkere Gegenstem¬
die fremde Hand kann abſchaffen, aber nicht heilen, nicht verbeſſern. Das bezeugen auch hier tauſend Kla¬ gen, die laut den Arm des Raͤchers und Befreiers an¬ rufen. So fordert eine ſtrenge Konſkription — an ſich die gerechteſte Maßregel, aber unter dem fremden Joche die ſchrecklichſte — nun auch das Blut der Ungluͤcklichen, das in fremden Schlachten am Tajo und vielleicht an der Wolga ſoll verſpritzt werden, damit die Nachblei¬ benden um ſo ſichrer gefeſſelt ſeien! Eine billige Vor¬ ſtellung der Buͤrger, daß die Befreiung vom Kriegs¬ dienſte durch Stellvertreter auf dieſelbe Weiſe, wie es in Frankreich geſchieht, eingefuͤhrt wuͤrde, iſt mit Haͤrte abgewieſen worden, und die Behoͤrde zieht das Los¬ kaufgeld ein, waͤhrend die uͤbrigen Kriegspflichtigen nun doch die beſtimmte Anzahl zum Dienſte ſtellen. So haben es die Deutſchen in vielen Stuͤcken ſchlimmer, als ſelbſt die Franzoſen, und ich habe ſchon von vielen Leuten hoͤren muͤſſen, fuͤr das aͤußre Gedeihen muͤßte das Volk wuͤnſchen, gleich voͤllig zu Frankreich geſchla¬ gen zu werden. Doch iſt es wahrlich nicht der aͤußre Vortheil allein, der die Wuͤnſche des Volks beſtimmt. Hier iſt ſeit langer Zeit gleichſam ein Stapelplatz des franzoͤſiſchen Weſens fuͤr Deutſchland, unzaͤhlige Bezuͤge reichen nach Frankreich hinuͤber, ſeit Jahren ſind hier franzoͤſiſche Truppen und Verwaltungen, aber ungeachtet alles deſſen hat ſich faſt nichts von franzoͤſiſchem Sinn hier feſtgeſetzt, vielmehr eine immer ſtaͤrkere Gegenſtem¬
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die fremde Hand kann abſchaffen, aber nicht heilen,
nicht verbeſſern. Das bezeugen auch hier tauſend Kla¬
gen, die laut den Arm des Raͤchers und Befreiers an¬
rufen. So fordert eine ſtrenge Konſkription — an ſich
die gerechteſte Maßregel, aber unter dem fremden Joche
die ſchrecklichſte — nun auch das Blut der Ungluͤcklichen,
das in fremden Schlachten am Tajo und vielleicht an
der Wolga ſoll verſpritzt werden, damit die Nachblei¬
benden um ſo ſichrer gefeſſelt ſeien! Eine billige Vor¬
ſtellung der Buͤrger, daß die Befreiung vom Kriegs¬
dienſte durch Stellvertreter auf dieſelbe Weiſe, wie es
in Frankreich geſchieht, eingefuͤhrt wuͤrde, iſt mit Haͤrte
abgewieſen worden, und die Behoͤrde zieht das Los¬
kaufgeld ein, waͤhrend die uͤbrigen Kriegspflichtigen nun
doch die beſtimmte Anzahl zum Dienſte ſtellen. So
haben es die Deutſchen in vielen Stuͤcken ſchlimmer,
als ſelbſt die Franzoſen, und ich habe ſchon von vielen
Leuten hoͤren muͤſſen, fuͤr das aͤußre Gedeihen muͤßte
das Volk wuͤnſchen, gleich voͤllig zu Frankreich geſchla¬
gen zu werden. Doch iſt es wahrlich nicht der aͤußre
Vortheil allein, der die Wuͤnſche des Volks beſtimmt.
Hier iſt ſeit langer Zeit gleichſam ein Stapelplatz des
franzoͤſiſchen Weſens fuͤr Deutſchland, unzaͤhlige Bezuͤge
reichen nach Frankreich hinuͤber, ſeit Jahren ſind hier
franzoͤſiſche Truppen und Verwaltungen, aber ungeachtet
alles deſſen hat ſich faſt nichts von franzoͤſiſchem Sinn
hier feſtgeſetzt, vielmehr eine immer ſtaͤrkere Gegenſtem¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/176>, abgerufen am 21.11.2024.
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