weitab verschlagen! Und so auch liegt das Allgemeine, für das ich die kühnsten Wünsche mit festem Vertrauen hege, mir noch in dunkler, dunkler Ferne.
Wie jedes deutsche Land und jede deutsche Stadt früher auf eigne Weise die Kraft und das Gedeihen der Nation darstellte, so auch jetzt wieder auf eigne Art spricht jedes Land und jede Stadt den allgemeinen Jammer aus. Welch' verschiedene Bilder geben Ham¬ burg, Münster, Halle, Wetzlar, Hannover, Regens¬ burg, oder Hessen, Baireuth, Tyrol, überall ist es ein andrer, ein eigenthümlicher Verlust, und überall doch nur die eine Ursache dazu, die fremde Herrschaft! Wie traurig steht auch dieses einst so glückliche und stolze Frankfurt da! Die alte Reichsstadt, welche in ihren Mauern ehmals die Wahl und Krönung des Kaisers geschehen sah, froh der Freiheit und des mit ihr ver¬ bundenen Wohlstandes, wie sehr ist sie gesunken! Zwar belebt sind auch jetzt noch die Straßen und Märkte, mancher gute Erwerb ist noch in den Händen der Bür¬ ger, ja sogar auch neuer Reichthum entstanden, und der Name der Stadt ist auf das ganze Gebiet eines bedeutenden Großherzogthums ausgedehnt worden; allein der innere Kern deutschen Lebens ist angegriffen, und schwindet täglich mehr dahin. Die Verfassung der Stadt war voller Mängel und Mißbräuche, das giebt jeder Verständige zu; aber nur aus eigner, einheimischer, freier Entwicklung können solche Fehler verbessert werden;
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weitab verſchlagen! Und ſo auch liegt das Allgemeine, fuͤr das ich die kuͤhnſten Wuͤnſche mit feſtem Vertrauen hege, mir noch in dunkler, dunkler Ferne.
Wie jedes deutſche Land und jede deutſche Stadt fruͤher auf eigne Weiſe die Kraft und das Gedeihen der Nation darſtellte, ſo auch jetzt wieder auf eigne Art ſpricht jedes Land und jede Stadt den allgemeinen Jammer aus. Welch' verſchiedene Bilder geben Ham¬ burg, Muͤnſter, Halle, Wetzlar, Hannover, Regens¬ burg, oder Heſſen, Baireuth, Tyrol, uͤberall iſt es ein andrer, ein eigenthuͤmlicher Verluſt, und uͤberall doch nur die eine Urſache dazu, die fremde Herrſchaft! Wie traurig ſteht auch dieſes einſt ſo gluͤckliche und ſtolze Frankfurt da! Die alte Reichsſtadt, welche in ihren Mauern ehmals die Wahl und Kroͤnung des Kaiſers geſchehen ſah, froh der Freiheit und des mit ihr ver¬ bundenen Wohlſtandes, wie ſehr iſt ſie geſunken! Zwar belebt ſind auch jetzt noch die Straßen und Maͤrkte, mancher gute Erwerb iſt noch in den Haͤnden der Buͤr¬ ger, ja ſogar auch neuer Reichthum entſtanden, und der Name der Stadt iſt auf das ganze Gebiet eines bedeutenden Großherzogthums ausgedehnt worden; allein der innere Kern deutſchen Lebens iſt angegriffen, und ſchwindet taͤglich mehr dahin. Die Verfaſſung der Stadt war voller Maͤngel und Mißbraͤuche, das giebt jeder Verſtaͤndige zu; aber nur aus eigner, einheimiſcher, freier Entwicklung koͤnnen ſolche Fehler verbeſſert werden;
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weitab verſchlagen! Und ſo auch liegt das Allgemeine,
fuͤr das ich die kuͤhnſten Wuͤnſche mit feſtem Vertrauen
hege, mir noch in dunkler, dunkler Ferne.
Wie jedes deutſche Land und jede deutſche Stadt
fruͤher auf eigne Weiſe die Kraft und das Gedeihen
der Nation darſtellte, ſo auch jetzt wieder auf eigne Art
ſpricht jedes Land und jede Stadt den allgemeinen
Jammer aus. Welch' verſchiedene Bilder geben Ham¬
burg, Muͤnſter, Halle, Wetzlar, Hannover, Regens¬
burg, oder Heſſen, Baireuth, Tyrol, uͤberall iſt es ein
andrer, ein eigenthuͤmlicher Verluſt, und uͤberall doch
nur die eine Urſache dazu, die fremde Herrſchaft! Wie
traurig ſteht auch dieſes einſt ſo gluͤckliche und ſtolze
Frankfurt da! Die alte Reichsſtadt, welche in ihren
Mauern ehmals die Wahl und Kroͤnung des Kaiſers
geſchehen ſah, froh der Freiheit und des mit ihr ver¬
bundenen Wohlſtandes, wie ſehr iſt ſie geſunken! Zwar
belebt ſind auch jetzt noch die Straßen und Maͤrkte,
mancher gute Erwerb iſt noch in den Haͤnden der Buͤr¬
ger, ja ſogar auch neuer Reichthum entſtanden, und
der Name der Stadt iſt auf das ganze Gebiet eines
bedeutenden Großherzogthums ausgedehnt worden; allein
der innere Kern deutſchen Lebens iſt angegriffen, und
ſchwindet taͤglich mehr dahin. Die Verfaſſung der Stadt
war voller Maͤngel und Mißbraͤuche, das giebt jeder
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/175>, abgerufen am 21.11.2024.
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