Der Empfang sollte freundlich sein, die Absicht war nicht zu verkennen, aber trotz derselben gerieth er doch ziemlich schroff und rücksichtslos. Man sah es dem Manne gleich an, daß er ohne viele Umstände zu ver¬ fahren liebte, und fast nur gezwungen, durch entschie¬ denes Machtansehen, wahre Geisteskraft oder trotzige Selbstständigkeit, einen andern Menschen so gelten ließ, um mit ihm auf einer Art von gleichem Fuße zu ver¬ kehren. Ich werde mich nicht rühmen, gegen Stein irgend eine Positur behauptet zu haben; wie hätte ich daran denken und dies mir gelingen können. Aber ich kann sagen, daß auch er mir im geringsten nicht im¬ ponirte, und daß ich ihm gegenüber meine Selbststän¬ digkeit irgend beschränkt gefühlt hätte. Ich fand ihn einfach und ungezwungen, ganz ohne Stolz und Schein, und so war ich ebenfalls einfach und natürlich, ohne andere Unterredung, als welche der äußerliche Abstand gebot. Gleich bei dem ersten Besuche, bei Erwähnung mancher politischen Bezüge, in dem Urtheil über Per¬ sonen und Schriften, thaten sich merkliche Verschieden¬ heiten der Ansichten hervor, und Stein schien verwun¬ dert, daß ich die meinigen nicht sogleich berichtigen ließ. Doch reizte ihn der Widerspruch nicht unangenehm, und er lud mich lebhaft und dringend zu häufigen Besuchen ein. Ich hatte dazu mehr als Einen Antrieb. Meine Verehrung war aufrichtig und unbegränzt; den hohen Werth eines solchen Mannes erkannte ich mit allem
Der Empfang ſollte freundlich ſein, die Abſicht war nicht zu verkennen, aber trotz derſelben gerieth er doch ziemlich ſchroff und ruͤckſichtslos. Man ſah es dem Manne gleich an, daß er ohne viele Umſtaͤnde zu ver¬ fahren liebte, und faſt nur gezwungen, durch entſchie¬ denes Machtanſehen, wahre Geiſteskraft oder trotzige Selbſtſtaͤndigkeit, einen andern Menſchen ſo gelten ließ, um mit ihm auf einer Art von gleichem Fuße zu ver¬ kehren. Ich werde mich nicht ruͤhmen, gegen Stein irgend eine Poſitur behauptet zu haben; wie haͤtte ich daran denken und dies mir gelingen koͤnnen. Aber ich kann ſagen, daß auch er mir im geringſten nicht im¬ ponirte, und daß ich ihm gegenuͤber meine Selbſtſtaͤn¬ digkeit irgend beſchraͤnkt gefuͤhlt haͤtte. Ich fand ihn einfach und ungezwungen, ganz ohne Stolz und Schein, und ſo war ich ebenfalls einfach und natuͤrlich, ohne andere Unterredung, als welche der aͤußerliche Abſtand gebot. Gleich bei dem erſten Beſuche, bei Erwaͤhnung mancher politiſchen Bezuͤge, in dem Urtheil uͤber Per¬ ſonen und Schriften, thaten ſich merkliche Verſchieden¬ heiten der Anſichten hervor, und Stein ſchien verwun¬ dert, daß ich die meinigen nicht ſogleich berichtigen ließ. Doch reizte ihn der Widerſpruch nicht unangenehm, und er lud mich lebhaft und dringend zu haͤufigen Beſuchen ein. Ich hatte dazu mehr als Einen Antrieb. Meine Verehrung war aufrichtig und unbegraͤnzt; den hohen Werth eines ſolchen Mannes erkannte ich mit allem
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Der Empfang ſollte freundlich ſein, die Abſicht war
nicht zu verkennen, aber trotz derſelben gerieth er doch
ziemlich ſchroff und ruͤckſichtslos. Man ſah es dem
Manne gleich an, daß er ohne viele Umſtaͤnde zu ver¬
fahren liebte, und faſt nur gezwungen, durch entſchie¬
denes Machtanſehen, wahre Geiſteskraft oder trotzige
Selbſtſtaͤndigkeit, einen andern Menſchen ſo gelten ließ,
um mit ihm auf einer Art von gleichem Fuße zu ver¬
kehren. Ich werde mich nicht ruͤhmen, gegen Stein
irgend eine Poſitur behauptet zu haben; wie haͤtte ich
daran denken und dies mir gelingen koͤnnen. Aber ich
kann ſagen, daß auch er mir im geringſten nicht im¬
ponirte, und daß ich ihm gegenuͤber meine Selbſtſtaͤn¬
digkeit irgend beſchraͤnkt gefuͤhlt haͤtte. Ich fand ihn
einfach und ungezwungen, ganz ohne Stolz und Schein,
und ſo war ich ebenfalls einfach und natuͤrlich, ohne
andere Unterredung, als welche der aͤußerliche Abſtand
gebot. Gleich bei dem erſten Beſuche, bei Erwaͤhnung
mancher politiſchen Bezuͤge, in dem Urtheil uͤber Per¬
ſonen und Schriften, thaten ſich merkliche Verſchieden¬
heiten der Anſichten hervor, und Stein ſchien verwun¬
dert, daß ich die meinigen nicht ſogleich berichtigen ließ.
Doch reizte ihn der Widerſpruch nicht unangenehm, und
er lud mich lebhaft und dringend zu haͤufigen Beſuchen
ein. Ich hatte dazu mehr als Einen Antrieb. Meine
Verehrung war aufrichtig und unbegraͤnzt; den hohen
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/186>, abgerufen am 21.11.2024.
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