Um seine viele Stunden würdig und zugleich fruchtbar auszufüllen, hatte Stein ein ernstes Studium der fran¬ zösischen Revolution vorgenommen, er wollte diesen Ereignissen, aus welchen die Geschicke der Welt noch unmittelbar herabströmten, Einmal auf den Grund se¬ hen, ihre starken und schwachen Seiten kennen. Die damals erreichbaren Hülfsmittel lagen auf seinen Tischen, er las die Schriften aller Partheien, und scheute die großen Bände des Moniteur nicht, um die öffentlichen Verhandlungen aus der Quelle zu schöpfen. Seine Gespräche lenkten natürlich jedesmal auch auf diesen Gegenstand ein, über den seine Empfindungen und An¬ sichten auszusprechen er am liebsten selbst eine Redner¬ bühne bestiegen hätte. Jeder meiner Besuche fand ihn fortgeschritten, in dem Geschichtsgange, und ich konnte die Eindrücke jeder Epoche genau wahrnehmen. Sein Haß gegen die Revolution war gränzenlos, besonders in den ersten Zeiten, wo noch so oft durch wenige Maßregeln und einige Entschlossenheit alles hätte ge¬ wendet werden können. Die Franzosen von 1789 wa¬ ren ihm schon die jetzigen, die Republikaner schon die von Napoleon unterjochten und den Deutschen schmach¬ voll aufliegenden Kaiserlichen Kriegsknechte; die Vor¬ gänge, in denen das Volk siegte, erfüllten ihn mit Grimm, er hätte dem Hof, den Ministern, den Gene¬ ralen noch jetzt seine Kraft und Entschlossenheit leihen mögen. Wenn Mirabeau und Lafayette einige Gnade
Um ſeine viele Stunden wuͤrdig und zugleich fruchtbar auszufuͤllen, hatte Stein ein ernſtes Studium der fran¬ zoͤſiſchen Revolution vorgenommen, er wollte dieſen Ereigniſſen, aus welchen die Geſchicke der Welt noch unmittelbar herabſtroͤmten, Einmal auf den Grund ſe¬ hen, ihre ſtarken und ſchwachen Seiten kennen. Die damals erreichbaren Huͤlfsmittel lagen auf ſeinen Tiſchen, er las die Schriften aller Partheien, und ſcheute die großen Baͤnde des Moniteur nicht, um die oͤffentlichen Verhandlungen aus der Quelle zu ſchoͤpfen. Seine Geſpraͤche lenkten natuͤrlich jedesmal auch auf dieſen Gegenſtand ein, uͤber den ſeine Empfindungen und An¬ ſichten auszuſprechen er am liebſten ſelbſt eine Redner¬ buͤhne beſtiegen haͤtte. Jeder meiner Beſuche fand ihn fortgeſchritten, in dem Geſchichtsgange, und ich konnte die Eindruͤcke jeder Epoche genau wahrnehmen. Sein Haß gegen die Revolution war graͤnzenlos, beſonders in den erſten Zeiten, wo noch ſo oft durch wenige Maßregeln und einige Entſchloſſenheit alles haͤtte ge¬ wendet werden koͤnnen. Die Franzoſen von 1789 wa¬ ren ihm ſchon die jetzigen, die Republikaner ſchon die von Napoleon unterjochten und den Deutſchen ſchmach¬ voll aufliegenden Kaiſerlichen Kriegsknechte; die Vor¬ gaͤnge, in denen das Volk ſiegte, erfuͤllten ihn mit Grimm, er haͤtte dem Hof, den Miniſtern, den Gene¬ ralen noch jetzt ſeine Kraft und Entſchloſſenheit leihen moͤgen. Wenn Mirabeau und Lafayette einige Gnade
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Um ſeine viele Stunden wuͤrdig und zugleich fruchtbar
auszufuͤllen, hatte Stein ein ernſtes Studium der fran¬
zoͤſiſchen Revolution vorgenommen, er wollte dieſen
Ereigniſſen, aus welchen die Geſchicke der Welt noch
unmittelbar herabſtroͤmten, Einmal auf den Grund ſe¬
hen, ihre ſtarken und ſchwachen Seiten kennen. Die
damals erreichbaren Huͤlfsmittel lagen auf ſeinen Tiſchen,
er las die Schriften aller Partheien, und ſcheute die
großen Baͤnde des Moniteur nicht, um die oͤffentlichen
Verhandlungen aus der Quelle zu ſchoͤpfen. Seine
Geſpraͤche lenkten natuͤrlich jedesmal auch auf dieſen
Gegenſtand ein, uͤber den ſeine Empfindungen und An¬
ſichten auszuſprechen er am liebſten ſelbſt eine Redner¬
buͤhne beſtiegen haͤtte. Jeder meiner Beſuche fand ihn
fortgeſchritten, in dem Geſchichtsgange, und ich konnte
die Eindruͤcke jeder Epoche genau wahrnehmen. Sein
Haß gegen die Revolution war graͤnzenlos, beſonders
in den erſten Zeiten, wo noch ſo oft durch wenige
Maßregeln und einige Entſchloſſenheit alles haͤtte ge¬
wendet werden koͤnnen. Die Franzoſen von 1789 wa¬
ren ihm ſchon die jetzigen, die Republikaner ſchon die
von Napoleon unterjochten und den Deutſchen ſchmach¬
voll aufliegenden Kaiſerlichen Kriegsknechte; die Vor¬
gaͤnge, in denen das Volk ſiegte, erfuͤllten ihn mit
Grimm, er haͤtte dem Hof, den Miniſtern, den Gene¬
ralen noch jetzt ſeine Kraft und Entſchloſſenheit leihen
moͤgen. Wenn Mirabeau und Lafayette einige Gnade
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/192>, abgerufen am 21.11.2024.
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