Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

mißhandelte. Allein ich stand in jedem Betracht hier
zu sehr im Nachtheil, um diese Erörterungen zu lieben,
welche doch jedesmal den ganzen Umgang auf's Spiel
setzten. Verschweigen wollt' ich meine Meinung nicht,
aber sie ganz herauszusagen war oft kaum thunlich.
Ich erinnre mich, Einmal gereizt und gedrängt zu Stein
gesagt zu haben, er sei ein Reichsfreiherr, ein Adlicher
und Vornehmer, und habe als solcher im gegebnen
Fall ein bestochenes Urtheil. Ich erschrack, als ich diese
Kühnheit ausgesprochen. Stein aber schwieg einen Au¬
genblick, wurde ganz gelassen, und sagte mit mildem
Ernst und großer Würde: ich machte ihm da einen
Vorwurf, der einigen Schein habe, jedoch um mir zu
zeigen, daß er ihn im Allgemeinen doch nicht so ganz
verdiene, wolle er mir beispielsweise nur sagen, daß,
wenn er auch zu dem ältesten Adel gehöre, und in
adlichen Gewöhnungen und Ansichten herangewachsen
sei, doch die eigentlichen vertrauten Freunde, die er in
seinem Leben gehabt, freilich aber später wieder habe
aufgeben müssen, beide bürgerlich gewesen; "Nicht
wahr?" fügte er hinzu, "das haben Sie wohl nicht
gedacht?" Meine Beschämung konnte mich so sehr nicht
beugen, daß nicht der Anblick des trefflichen und in
solchen Momenten wahrhaft liebenswürdigen Mannes
mich noch mehr erhoben hätte.

Eines Tages aber fand ich ihn wieder über dem
Moniteur und ganz ungewöhnlich aufgeregt. Er sprach

mißhandelte. Allein ich ſtand in jedem Betracht hier
zu ſehr im Nachtheil, um dieſe Eroͤrterungen zu lieben,
welche doch jedesmal den ganzen Umgang auf's Spiel
ſetzten. Verſchweigen wollt' ich meine Meinung nicht,
aber ſie ganz herauszuſagen war oft kaum thunlich.
Ich erinnre mich, Einmal gereizt und gedraͤngt zu Stein
geſagt zu haben, er ſei ein Reichsfreiherr, ein Adlicher
und Vornehmer, und habe als ſolcher im gegebnen
Fall ein beſtochenes Urtheil. Ich erſchrack, als ich dieſe
Kuͤhnheit ausgeſprochen. Stein aber ſchwieg einen Au¬
genblick, wurde ganz gelaſſen, und ſagte mit mildem
Ernſt und großer Wuͤrde: ich machte ihm da einen
Vorwurf, der einigen Schein habe, jedoch um mir zu
zeigen, daß er ihn im Allgemeinen doch nicht ſo ganz
verdiene, wolle er mir beiſpielsweiſe nur ſagen, daß,
wenn er auch zu dem aͤlteſten Adel gehoͤre, und in
adlichen Gewoͤhnungen und Anſichten herangewachſen
ſei, doch die eigentlichen vertrauten Freunde, die er in
ſeinem Leben gehabt, freilich aber ſpaͤter wieder habe
aufgeben muͤſſen, beide buͤrgerlich geweſen; „Nicht
wahr?“ fuͤgte er hinzu, „das haben Sie wohl nicht
gedacht?“ Meine Beſchaͤmung konnte mich ſo ſehr nicht
beugen, daß nicht der Anblick des trefflichen und in
ſolchen Momenten wahrhaft liebenswuͤrdigen Mannes
mich noch mehr erhoben haͤtte.

Eines Tages aber fand ich ihn wieder uͤber dem
Moniteur und ganz ungewoͤhnlich aufgeregt. Er ſprach

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0194" n="182"/>
mißhandelte. Allein ich &#x017F;tand in jedem Betracht hier<lb/>
zu &#x017F;ehr im Nachtheil, um die&#x017F;e Ero&#x0364;rterungen zu lieben,<lb/>
welche doch jedesmal den ganzen Umgang auf's Spiel<lb/>
&#x017F;etzten. Ver&#x017F;chweigen wollt' ich meine Meinung nicht,<lb/>
aber &#x017F;ie ganz herauszu&#x017F;agen war oft kaum thunlich.<lb/>
Ich erinnre mich, Einmal gereizt und gedra&#x0364;ngt zu Stein<lb/>
ge&#x017F;agt zu haben, er &#x017F;ei ein Reichsfreiherr, ein Adlicher<lb/>
und Vornehmer, und habe als &#x017F;olcher im gegebnen<lb/>
Fall ein be&#x017F;tochenes Urtheil. Ich er&#x017F;chrack, als ich die&#x017F;e<lb/>
Ku&#x0364;hnheit ausge&#x017F;prochen. Stein aber &#x017F;chwieg einen Au¬<lb/>
genblick, wurde ganz gela&#x017F;&#x017F;en, und &#x017F;agte mit mildem<lb/>
Ern&#x017F;t und großer Wu&#x0364;rde: ich machte ihm da einen<lb/>
Vorwurf, der einigen Schein habe, jedoch um mir zu<lb/>
zeigen, daß er ihn im Allgemeinen doch nicht &#x017F;o ganz<lb/>
verdiene, wolle er mir bei&#x017F;pielswei&#x017F;e nur &#x017F;agen, daß,<lb/>
wenn er auch zu dem a&#x0364;lte&#x017F;ten Adel geho&#x0364;re, und in<lb/>
adlichen Gewo&#x0364;hnungen und An&#x017F;ichten herangewach&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ei, doch die eigentlichen vertrauten Freunde, die er in<lb/>
&#x017F;einem Leben gehabt, freilich aber &#x017F;pa&#x0364;ter wieder habe<lb/>
aufgeben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, beide bu&#x0364;rgerlich gewe&#x017F;en; &#x201E;Nicht<lb/>
wahr?&#x201C; fu&#x0364;gte er hinzu, &#x201E;das haben Sie wohl nicht<lb/>
gedacht?&#x201C; Meine Be&#x017F;cha&#x0364;mung konnte mich &#x017F;o &#x017F;ehr nicht<lb/>
beugen, daß nicht der Anblick des trefflichen und in<lb/>
&#x017F;olchen Momenten wahrhaft liebenswu&#x0364;rdigen Mannes<lb/>
mich noch mehr erhoben ha&#x0364;tte.</p><lb/>
        <p>Eines Tages aber fand ich ihn wieder u&#x0364;ber dem<lb/>
Moniteur und ganz ungewo&#x0364;hnlich aufgeregt. Er &#x017F;prach<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0194] mißhandelte. Allein ich ſtand in jedem Betracht hier zu ſehr im Nachtheil, um dieſe Eroͤrterungen zu lieben, welche doch jedesmal den ganzen Umgang auf's Spiel ſetzten. Verſchweigen wollt' ich meine Meinung nicht, aber ſie ganz herauszuſagen war oft kaum thunlich. Ich erinnre mich, Einmal gereizt und gedraͤngt zu Stein geſagt zu haben, er ſei ein Reichsfreiherr, ein Adlicher und Vornehmer, und habe als ſolcher im gegebnen Fall ein beſtochenes Urtheil. Ich erſchrack, als ich dieſe Kuͤhnheit ausgeſprochen. Stein aber ſchwieg einen Au¬ genblick, wurde ganz gelaſſen, und ſagte mit mildem Ernſt und großer Wuͤrde: ich machte ihm da einen Vorwurf, der einigen Schein habe, jedoch um mir zu zeigen, daß er ihn im Allgemeinen doch nicht ſo ganz verdiene, wolle er mir beiſpielsweiſe nur ſagen, daß, wenn er auch zu dem aͤlteſten Adel gehoͤre, und in adlichen Gewoͤhnungen und Anſichten herangewachſen ſei, doch die eigentlichen vertrauten Freunde, die er in ſeinem Leben gehabt, freilich aber ſpaͤter wieder habe aufgeben muͤſſen, beide buͤrgerlich geweſen; „Nicht wahr?“ fuͤgte er hinzu, „das haben Sie wohl nicht gedacht?“ Meine Beſchaͤmung konnte mich ſo ſehr nicht beugen, daß nicht der Anblick des trefflichen und in ſolchen Momenten wahrhaft liebenswuͤrdigen Mannes mich noch mehr erhoben haͤtte. Eines Tages aber fand ich ihn wieder uͤber dem Moniteur und ganz ungewoͤhnlich aufgeregt. Er ſprach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/194
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/194>, abgerufen am 14.05.2024.