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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

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die politischen Gegenstände zu berühren; die mündliche
Mittheilung aber war frei und kühn, und hatte in der
That wenig zu fürchten, da ein Verräther oder Ange¬
ber in diesem Gedränge gleichartiger Gesinnung schnell
erstickt worden wäre. Die Nachrichten aus Spanien
von den Unfällen der Franzosen konnten in England
nicht freudiger aufgenommen, die Hoffnungen für Oester¬
reich und Deutschland nirgends eifriger genährt werden,
als in diesen Lebenskreisen, und die Aussicht eines
Krieges zwischen Frankreich und Rußland erhöhte die
Spannung der Gemüther durch die wichtigen Fragen,
welche dieser Fall für Oesterreich zur Entscheidung
bringen mußte. Einen solchen Krieg an der Seite der
Franzosen mitmachen zu sollen, dünkte Vielen uner¬
träglich, während Andre behaupteten, im Vertrauen auf
ein künftiges Ziel dürfe man keine Verläugnung scheuen,
und müsse jede Zwischenstufe getrost betreten. So ru¬
hig, wie jetzt, ließen sich aber diese entgegengesetzten
Meinungen damals nicht ansehen und verfolgen; in
ihnen lag allerdings die Möglichkeit, welche auch wirk¬
lich geworden, daß Männer, welche noch eben als Waf¬
fenbrüder denselben Fahnen angehörten, künftig unter
feindlichen mit dem Degen einander gegenüber stünden,
und so war es natürlich, daß in diesem Zwiespalt viel¬
fach Anklage und Mißtrauen wechselseitig ausgesprochen
wurde. Der Gedanke, in russische Dienste zu treten,
keimte schon in manchem Gemüth, und besonders die

die politiſchen Gegenſtaͤnde zu beruͤhren; die muͤndliche
Mittheilung aber war frei und kuͤhn, und hatte in der
That wenig zu fuͤrchten, da ein Verraͤther oder Ange¬
ber in dieſem Gedraͤnge gleichartiger Geſinnung ſchnell
erſtickt worden waͤre. Die Nachrichten aus Spanien
von den Unfaͤllen der Franzoſen konnten in England
nicht freudiger aufgenommen, die Hoffnungen fuͤr Oeſter¬
reich und Deutſchland nirgends eifriger genaͤhrt werden,
als in dieſen Lebenskreiſen, und die Ausſicht eines
Krieges zwiſchen Frankreich und Rußland erhoͤhte die
Spannung der Gemuͤther durch die wichtigen Fragen,
welche dieſer Fall fuͤr Oeſterreich zur Entſcheidung
bringen mußte. Einen ſolchen Krieg an der Seite der
Franzoſen mitmachen zu ſollen, duͤnkte Vielen uner¬
traͤglich, waͤhrend Andre behaupteten, im Vertrauen auf
ein kuͤnftiges Ziel duͤrfe man keine Verlaͤugnung ſcheuen,
und muͤſſe jede Zwiſchenſtufe getroſt betreten. So ru¬
hig, wie jetzt, ließen ſich aber dieſe entgegengeſetzten
Meinungen damals nicht anſehen und verfolgen; in
ihnen lag allerdings die Moͤglichkeit, welche auch wirk¬
lich geworden, daß Maͤnner, welche noch eben als Waf¬
fenbruͤder denſelben Fahnen angehoͤrten, kuͤnftig unter
feindlichen mit dem Degen einander gegenuͤber ſtuͤnden,
und ſo war es natuͤrlich, daß in dieſem Zwieſpalt viel¬
fach Anklage und Mißtrauen wechſelſeitig ausgeſprochen
wurde. Der Gedanke, in ruſſiſche Dienſte zu treten,
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[188/0200] die politiſchen Gegenſtaͤnde zu beruͤhren; die muͤndliche Mittheilung aber war frei und kuͤhn, und hatte in der That wenig zu fuͤrchten, da ein Verraͤther oder Ange¬ ber in dieſem Gedraͤnge gleichartiger Geſinnung ſchnell erſtickt worden waͤre. Die Nachrichten aus Spanien von den Unfaͤllen der Franzoſen konnten in England nicht freudiger aufgenommen, die Hoffnungen fuͤr Oeſter¬ reich und Deutſchland nirgends eifriger genaͤhrt werden, als in dieſen Lebenskreiſen, und die Ausſicht eines Krieges zwiſchen Frankreich und Rußland erhoͤhte die Spannung der Gemuͤther durch die wichtigen Fragen, welche dieſer Fall fuͤr Oeſterreich zur Entſcheidung bringen mußte. Einen ſolchen Krieg an der Seite der Franzoſen mitmachen zu ſollen, duͤnkte Vielen uner¬ traͤglich, waͤhrend Andre behaupteten, im Vertrauen auf ein kuͤnftiges Ziel duͤrfe man keine Verlaͤugnung ſcheuen, und muͤſſe jede Zwiſchenſtufe getroſt betreten. So ru¬ hig, wie jetzt, ließen ſich aber dieſe entgegengeſetzten Meinungen damals nicht anſehen und verfolgen; in ihnen lag allerdings die Moͤglichkeit, welche auch wirk¬ lich geworden, daß Maͤnner, welche noch eben als Waf¬ fenbruͤder denſelben Fahnen angehoͤrten, kuͤnftig unter feindlichen mit dem Degen einander gegenuͤber ſtuͤnden, und ſo war es natuͤrlich, daß in dieſem Zwieſpalt viel¬ fach Anklage und Mißtrauen wechſelſeitig ausgeſprochen wurde. Der Gedanke, in ruſſiſche Dienſte zu treten, keimte ſchon in manchem Gemuͤth, und beſonders die

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/200>, abgerufen am 14.05.2024.