deutschen Verhältnisse wichtige Wirksamkeit zu überneh¬ men. Stein war ohne viel Besinnen sogleich entschlos¬ sen, seine Familie sollte in Prag bleiben, er selbst machte sich reisefertig; aber die Sache hatte nicht ganz geheim bleiben können, und einige Tage gingen jedenfalls noch in unerläßlichen Anordnungen hin. Aengstlich blickten wir während dieser Tage nach Dresden hin, jeder Au¬ genblick brachte Gefahr, das Vorhaben Stein's konnte angezeigt werden, der Befehl ihn zu verhaften seiner Abreise zuvorkommen. Einmal in der Gewalt des Feindes, war sein Leben schwerlich zu retten. Stein selbst bestand diese Krisis mit voller Kenntniß der Ge¬ fahr, doch in unerschütterter Seelenstärke. Dabei ver¬ hehlte er sich nicht, welch zweifelhaften Schicksalen er entgegenging. Wurden die Russen überwunden, so war er für immer auch der letzten Zuflucht, die ihm in Deutschland noch geblieben war, beraubt, für immer von den heimathlichen Verhältnissen, Besitzungen, Hülfs¬ mitteln, ja sogar von seiner Familie getrennt, und selbst Rußland vielleicht gewährte keine Freistätte mehr für ihn. Doch nichts änderte seinen Entschluß. "Wun¬ dern Sie sich nicht, -- sagte er zu einem Bekannten, der im Vertrauen war, -- daß ich auf gut Glück, wie ein junger Mensch, eine neue ungewisse Bahn antrete! Wer sein Vaterland verloren hat, der ist nothwendig ein Abendtheurer. Ich habe keine Wahl; ich muß Frei¬ heit und Vaterland am Ende der Welt suchen!" Um
deutſchen Verhaͤltniſſe wichtige Wirkſamkeit zu uͤberneh¬ men. Stein war ohne viel Beſinnen ſogleich entſchloſ¬ ſen, ſeine Familie ſollte in Prag bleiben, er ſelbſt machte ſich reiſefertig; aber die Sache hatte nicht ganz geheim bleiben koͤnnen, und einige Tage gingen jedenfalls noch in unerlaͤßlichen Anordnungen hin. Aengſtlich blickten wir waͤhrend dieſer Tage nach Dresden hin, jeder Au¬ genblick brachte Gefahr, das Vorhaben Stein's konnte angezeigt werden, der Befehl ihn zu verhaften ſeiner Abreiſe zuvorkommen. Einmal in der Gewalt des Feindes, war ſein Leben ſchwerlich zu retten. Stein ſelbſt beſtand dieſe Kriſis mit voller Kenntniß der Ge¬ fahr, doch in unerſchuͤtterter Seelenſtaͤrke. Dabei ver¬ hehlte er ſich nicht, welch zweifelhaften Schickſalen er entgegenging. Wurden die Ruſſen uͤberwunden, ſo war er fuͤr immer auch der letzten Zuflucht, die ihm in Deutſchland noch geblieben war, beraubt, fuͤr immer von den heimathlichen Verhaͤltniſſen, Beſitzungen, Huͤlfs¬ mitteln, ja ſogar von ſeiner Familie getrennt, und ſelbſt Rußland vielleicht gewaͤhrte keine Freiſtaͤtte mehr fuͤr ihn. Doch nichts aͤnderte ſeinen Entſchluß. „Wun¬ dern Sie ſich nicht, — ſagte er zu einem Bekannten, der im Vertrauen war, — daß ich auf gut Gluͤck, wie ein junger Menſch, eine neue ungewiſſe Bahn antrete! Wer ſein Vaterland verloren hat, der iſt nothwendig ein Abendtheurer. Ich habe keine Wahl; ich muß Frei¬ heit und Vaterland am Ende der Welt ſuchen!“ Um
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[200/0212]
deutſchen Verhaͤltniſſe wichtige Wirkſamkeit zu uͤberneh¬
men. Stein war ohne viel Beſinnen ſogleich entſchloſ¬
ſen, ſeine Familie ſollte in Prag bleiben, er ſelbſt machte
ſich reiſefertig; aber die Sache hatte nicht ganz geheim
bleiben koͤnnen, und einige Tage gingen jedenfalls noch
in unerlaͤßlichen Anordnungen hin. Aengſtlich blickten
wir waͤhrend dieſer Tage nach Dresden hin, jeder Au¬
genblick brachte Gefahr, das Vorhaben Stein's konnte
angezeigt werden, der Befehl ihn zu verhaften ſeiner
Abreiſe zuvorkommen. Einmal in der Gewalt des
Feindes, war ſein Leben ſchwerlich zu retten. Stein
ſelbſt beſtand dieſe Kriſis mit voller Kenntniß der Ge¬
fahr, doch in unerſchuͤtterter Seelenſtaͤrke. Dabei ver¬
hehlte er ſich nicht, welch zweifelhaften Schickſalen er
entgegenging. Wurden die Ruſſen uͤberwunden, ſo war
er fuͤr immer auch der letzten Zuflucht, die ihm in
Deutſchland noch geblieben war, beraubt, fuͤr immer
von den heimathlichen Verhaͤltniſſen, Beſitzungen, Huͤlfs¬
mitteln, ja ſogar von ſeiner Familie getrennt, und ſelbſt
Rußland vielleicht gewaͤhrte keine Freiſtaͤtte mehr fuͤr
ihn. Doch nichts aͤnderte ſeinen Entſchluß. „Wun¬
dern Sie ſich nicht, — ſagte er zu einem Bekannten,
der im Vertrauen war, — daß ich auf gut Gluͤck, wie
ein junger Menſch, eine neue ungewiſſe Bahn antrete!
Wer ſein Vaterland verloren hat, der iſt nothwendig
ein Abendtheurer. Ich habe keine Wahl; ich muß Frei¬
heit und Vaterland am Ende der Welt ſuchen!“ Um
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/212>, abgerufen am 24.11.2024.
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