die Mitte des Mai reiste er ab. Als wir nach einiger Zeit hörten, er sei durch Mähren und Galizien glück¬ lich nach Rußland gelangt, athmeten wir auf, denn noch immer hatten wir gefürchtet, noch unterweges möchte ein Unglück ihn anhalten. Seine Abreise machte einen ungeheuern Eindruck; daß man in Rußland an ihn gedacht hatte, gab einen hohen Begriff von der dortigen Einsicht und Umfassung, man sah in der rus¬ sischen Sache nun auch die deutsche, sie war in Stein gleichsam anerkannt und einverleibt.
Die österreichischen Behörden hatten die Sache ru¬ hig geschehen lassen; als in Dresden das Geschehene ruchtbar wurde, ließ der französische Kaiser mehr Ver¬ wunderung als Verdruß darüber aus, und that ver¬ ächtlich, als sei im Grunde nichts daran gelegen. Ein großer und verhängnißvoller Irrthum, der schwer zu büßen war! Stein's Anwesenheit in St. Petersburg war ein außerordentliches Gewicht auf der russischen Seite; sein Ansehn und Einfluß wirkten auf die Be¬ schlüsse des Kaisers, auf die Stimmung der höchsten Kreise, und überhaupt auf die Maßregeln und Anstal¬ ten des Krieges mit unwiderstehlicher Gewalt. In den schlimmsten Augenblicken, als die Franzosen in Moskau eingezogen waren, wankte sein Muth und seine Stärke nicht. Sein beredter Haß fachte zum Widerstande, zur Ausdauer an. Unter den Mächten, durch welche Na¬
die Mitte des Mai reiſte er ab. Als wir nach einiger Zeit hoͤrten, er ſei durch Maͤhren und Galizien gluͤck¬ lich nach Rußland gelangt, athmeten wir auf, denn noch immer hatten wir gefuͤrchtet, noch unterweges moͤchte ein Ungluͤck ihn anhalten. Seine Abreiſe machte einen ungeheuern Eindruck; daß man in Rußland an ihn gedacht hatte, gab einen hohen Begriff von der dortigen Einſicht und Umfaſſung, man ſah in der ruſ¬ ſiſchen Sache nun auch die deutſche, ſie war in Stein gleichſam anerkannt und einverleibt.
Die oͤſterreichiſchen Behoͤrden hatten die Sache ru¬ hig geſchehen laſſen; als in Dresden das Geſchehene ruchtbar wurde, ließ der franzoͤſiſche Kaiſer mehr Ver¬ wunderung als Verdruß daruͤber aus, und that ver¬ aͤchtlich, als ſei im Grunde nichts daran gelegen. Ein großer und verhaͤngnißvoller Irrthum, der ſchwer zu buͤßen war! Stein's Anweſenheit in St. Petersburg war ein außerordentliches Gewicht auf der ruſſiſchen Seite; ſein Anſehn und Einfluß wirkten auf die Be¬ ſchluͤſſe des Kaiſers, auf die Stimmung der hoͤchſten Kreiſe, und uͤberhaupt auf die Maßregeln und Anſtal¬ ten des Krieges mit unwiderſtehlicher Gewalt. In den ſchlimmſten Augenblicken, als die Franzoſen in Moskau eingezogen waren, wankte ſein Muth und ſeine Staͤrke nicht. Sein beredter Haß fachte zum Widerſtande, zur Ausdauer an. Unter den Maͤchten, durch welche Na¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0213"n="201"/>
die Mitte des Mai reiſte er ab. Als wir nach einiger<lb/>
Zeit hoͤrten, er ſei durch Maͤhren und Galizien gluͤck¬<lb/>
lich nach Rußland gelangt, athmeten wir auf, denn<lb/>
noch immer hatten wir gefuͤrchtet, noch unterweges<lb/>
moͤchte ein Ungluͤck ihn anhalten. Seine Abreiſe machte<lb/>
einen ungeheuern Eindruck; daß man in Rußland an<lb/>
ihn gedacht hatte, gab einen hohen Begriff von der<lb/>
dortigen Einſicht und Umfaſſung, man ſah in der ruſ¬<lb/>ſiſchen Sache nun auch die deutſche, ſie war in Stein<lb/>
gleichſam anerkannt und einverleibt.</p><lb/><p>Die oͤſterreichiſchen Behoͤrden hatten die Sache ru¬<lb/>
hig geſchehen laſſen; als in Dresden das Geſchehene<lb/>
ruchtbar wurde, ließ der franzoͤſiſche Kaiſer mehr Ver¬<lb/>
wunderung als Verdruß daruͤber aus, und that ver¬<lb/>
aͤchtlich, als ſei im Grunde nichts daran gelegen. Ein<lb/>
großer und verhaͤngnißvoller Irrthum, der ſchwer zu<lb/>
buͤßen war! Stein's Anweſenheit in St. Petersburg<lb/>
war ein außerordentliches Gewicht auf der ruſſiſchen<lb/>
Seite; ſein Anſehn und Einfluß wirkten auf die Be¬<lb/>ſchluͤſſe des Kaiſers, auf die Stimmung der hoͤchſten<lb/>
Kreiſe, und uͤberhaupt auf die Maßregeln und Anſtal¬<lb/>
ten des Krieges mit unwiderſtehlicher Gewalt. In den<lb/>ſchlimmſten Augenblicken, als die Franzoſen in Moskau<lb/>
eingezogen waren, wankte ſein Muth und ſeine Staͤrke<lb/>
nicht. Sein beredter Haß fachte zum Widerſtande, zur<lb/>
Ausdauer an. Unter den Maͤchten, durch welche Na¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[201/0213]
die Mitte des Mai reiſte er ab. Als wir nach einiger
Zeit hoͤrten, er ſei durch Maͤhren und Galizien gluͤck¬
lich nach Rußland gelangt, athmeten wir auf, denn
noch immer hatten wir gefuͤrchtet, noch unterweges
moͤchte ein Ungluͤck ihn anhalten. Seine Abreiſe machte
einen ungeheuern Eindruck; daß man in Rußland an
ihn gedacht hatte, gab einen hohen Begriff von der
dortigen Einſicht und Umfaſſung, man ſah in der ruſ¬
ſiſchen Sache nun auch die deutſche, ſie war in Stein
gleichſam anerkannt und einverleibt.
Die oͤſterreichiſchen Behoͤrden hatten die Sache ru¬
hig geſchehen laſſen; als in Dresden das Geſchehene
ruchtbar wurde, ließ der franzoͤſiſche Kaiſer mehr Ver¬
wunderung als Verdruß daruͤber aus, und that ver¬
aͤchtlich, als ſei im Grunde nichts daran gelegen. Ein
großer und verhaͤngnißvoller Irrthum, der ſchwer zu
buͤßen war! Stein's Anweſenheit in St. Petersburg
war ein außerordentliches Gewicht auf der ruſſiſchen
Seite; ſein Anſehn und Einfluß wirkten auf die Be¬
ſchluͤſſe des Kaiſers, auf die Stimmung der hoͤchſten
Kreiſe, und uͤberhaupt auf die Maßregeln und Anſtal¬
ten des Krieges mit unwiderſtehlicher Gewalt. In den
ſchlimmſten Augenblicken, als die Franzoſen in Moskau
eingezogen waren, wankte ſein Muth und ſeine Staͤrke
nicht. Sein beredter Haß fachte zum Widerſtande, zur
Ausdauer an. Unter den Maͤchten, durch welche Na¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/213>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.