von Zichy den sichersten Anhalt fand, bei dem Staats¬ kanzler Freiherrn von Hardenberg die günstigste Auf¬ nahme genoß, ja sogar von dem Grafen von Saint- Marsan durch Einladungen ausgezeichnet wurde. Doch ungeachtet alles guten Anscheins blieb ich in der schwie¬ rigsten und bedenklichsten Lage, gehemmt bei jedem Schritt, in jeder Thätigkeit. Obgleich in glanzvoller Geselligkeit, verlebte ich einen traurigen Winter. Mein Trost war Rahel, in deren Nähe zu sein mir alle Widrigkeiten überwog. Ein andrer Trost erschien, und bildete sich zu immer helleren Hoffnungen aus, als der Brand von Moskau kund wurde, die Siegesrufe der Franzosen verstummten, die Nachricht von ihrem Rück¬ zug und Verderben erscholl, und dieses endlich vor Au¬ gen erschien in den jammervollen Trümmern des gro¬ ßen Heers. Die Russen rückten siegreich heran, über¬ schritten die Oder und standen schnell vor Berlin, wo der Oberst von Tettenborn mit seinen Kosaken im er¬ sten Anlaufe den Feind einige Stunden durch die Stra¬ ßen jagte, nach wenigen Tagen aber die verstärkten russischen Truppen entschieden einrückten.
Aus peinlichem Zwang aufathmend, im vollen Ge¬ fühl der Freiheit und neuen Lebens eilte ich zu Tet¬ tenborn. Ich fand hier Pfuel als Major vom Gene¬ ralstabe angestellt. Wir Alle freuten uns des Wieder¬ sehens. Mein Verhältniß war schnell entschieden, Tet¬ tenborn nahm mich sogleich als Hauptmann für den
14*
von Zichy den ſicherſten Anhalt fand, bei dem Staats¬ kanzler Freiherrn von Hardenberg die guͤnſtigſte Auf¬ nahme genoß, ja ſogar von dem Grafen von Saint- Marſan durch Einladungen ausgezeichnet wurde. Doch ungeachtet alles guten Anſcheins blieb ich in der ſchwie¬ rigſten und bedenklichſten Lage, gehemmt bei jedem Schritt, in jeder Thaͤtigkeit. Obgleich in glanzvoller Geſelligkeit, verlebte ich einen traurigen Winter. Mein Troſt war Rahel, in deren Naͤhe zu ſein mir alle Widrigkeiten uͤberwog. Ein andrer Troſt erſchien, und bildete ſich zu immer helleren Hoffnungen aus, als der Brand von Moskau kund wurde, die Siegesrufe der Franzoſen verſtummten, die Nachricht von ihrem Ruͤck¬ zug und Verderben erſcholl, und dieſes endlich vor Au¬ gen erſchien in den jammervollen Truͤmmern des gro¬ ßen Heers. Die Ruſſen ruͤckten ſiegreich heran, uͤber¬ ſchritten die Oder und ſtanden ſchnell vor Berlin, wo der Oberſt von Tettenborn mit ſeinen Koſaken im er¬ ſten Anlaufe den Feind einige Stunden durch die Stra¬ ßen jagte, nach wenigen Tagen aber die verſtaͤrkten ruſſiſchen Truppen entſchieden einruͤckten.
Aus peinlichem Zwang aufathmend, im vollen Ge¬ fuͤhl der Freiheit und neuen Lebens eilte ich zu Tet¬ tenborn. Ich fand hier Pfuel als Major vom Gene¬ ralſtabe angeſtellt. Wir Alle freuten uns des Wieder¬ ſehens. Mein Verhaͤltniß war ſchnell entſchieden, Tet¬ tenborn nahm mich ſogleich als Hauptmann fuͤr den
14*
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0223"n="211"/>
von Zichy den ſicherſten Anhalt fand, bei dem Staats¬<lb/>
kanzler Freiherrn von Hardenberg die guͤnſtigſte Auf¬<lb/>
nahme genoß, ja ſogar von dem Grafen von Saint-<lb/>
Marſan durch Einladungen ausgezeichnet wurde. Doch<lb/>
ungeachtet alles guten Anſcheins blieb ich in der ſchwie¬<lb/>
rigſten und bedenklichſten Lage, gehemmt bei jedem<lb/>
Schritt, in jeder Thaͤtigkeit. Obgleich in glanzvoller<lb/>
Geſelligkeit, verlebte ich einen traurigen Winter. Mein<lb/>
Troſt war Rahel, in deren Naͤhe zu ſein mir alle<lb/>
Widrigkeiten uͤberwog. Ein andrer Troſt erſchien, und<lb/>
bildete ſich zu immer helleren Hoffnungen aus, als der<lb/>
Brand von Moskau kund wurde, die Siegesrufe der<lb/>
Franzoſen verſtummten, die Nachricht von ihrem Ruͤck¬<lb/>
zug und Verderben erſcholl, und dieſes endlich vor Au¬<lb/>
gen erſchien in den jammervollen Truͤmmern des gro¬<lb/>
ßen Heers. Die Ruſſen ruͤckten ſiegreich heran, uͤber¬<lb/>ſchritten die Oder und ſtanden ſchnell vor Berlin, wo<lb/>
der Oberſt von Tettenborn mit ſeinen Koſaken im er¬<lb/>ſten Anlaufe den Feind einige Stunden durch die Stra¬<lb/>
ßen jagte, nach wenigen Tagen aber die verſtaͤrkten<lb/>
ruſſiſchen Truppen entſchieden einruͤckten.</p><lb/><p>Aus peinlichem Zwang aufathmend, im vollen Ge¬<lb/>
fuͤhl der Freiheit und neuen Lebens eilte ich zu Tet¬<lb/>
tenborn. Ich fand hier Pfuel als Major vom Gene¬<lb/>
ralſtabe angeſtellt. Wir Alle freuten uns des Wieder¬<lb/>ſehens. Mein Verhaͤltniß war ſchnell entſchieden, Tet¬<lb/>
tenborn nahm mich ſogleich als Hauptmann fuͤr den<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#b">14</hi>*<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[211/0223]
von Zichy den ſicherſten Anhalt fand, bei dem Staats¬
kanzler Freiherrn von Hardenberg die guͤnſtigſte Auf¬
nahme genoß, ja ſogar von dem Grafen von Saint-
Marſan durch Einladungen ausgezeichnet wurde. Doch
ungeachtet alles guten Anſcheins blieb ich in der ſchwie¬
rigſten und bedenklichſten Lage, gehemmt bei jedem
Schritt, in jeder Thaͤtigkeit. Obgleich in glanzvoller
Geſelligkeit, verlebte ich einen traurigen Winter. Mein
Troſt war Rahel, in deren Naͤhe zu ſein mir alle
Widrigkeiten uͤberwog. Ein andrer Troſt erſchien, und
bildete ſich zu immer helleren Hoffnungen aus, als der
Brand von Moskau kund wurde, die Siegesrufe der
Franzoſen verſtummten, die Nachricht von ihrem Ruͤck¬
zug und Verderben erſcholl, und dieſes endlich vor Au¬
gen erſchien in den jammervollen Truͤmmern des gro¬
ßen Heers. Die Ruſſen ruͤckten ſiegreich heran, uͤber¬
ſchritten die Oder und ſtanden ſchnell vor Berlin, wo
der Oberſt von Tettenborn mit ſeinen Koſaken im er¬
ſten Anlaufe den Feind einige Stunden durch die Stra¬
ßen jagte, nach wenigen Tagen aber die verſtaͤrkten
ruſſiſchen Truppen entſchieden einruͤckten.
Aus peinlichem Zwang aufathmend, im vollen Ge¬
fuͤhl der Freiheit und neuen Lebens eilte ich zu Tet¬
tenborn. Ich fand hier Pfuel als Major vom Gene¬
ralſtabe angeſtellt. Wir Alle freuten uns des Wieder¬
ſehens. Mein Verhaͤltniß war ſchnell entſchieden, Tet¬
tenborn nahm mich ſogleich als Hauptmann fuͤr den
14*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/223>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.