Ausdrücke und Formen geläufig, und ich brachte sie zuweilen anstatt der gewöhnlichern, im Gespräch mit an. So sagte ich ohne Umlaut, nicht nur "es kommt," was auch bei Andern schon häufiger gehört wird, als "es kömmt," sondern auch eben so gern "fallt, fahrt, schlagt, tragt," wo freilich jetzt Gebrauch und Regel "fällt, fährt," u. s. w. verlangen. Hierüber schalt mich Schleiermacher mit beißenden Worten, ganz unverhält¬ nißmäßig, und um mich recht zu beschämen, meinte er: die Juden sprächen so, und es hätten schon Leute wegen meines Mitmachens dieser kauderwelschen Art ihn ge¬ fragt, ob ich denn ein Jude sei? Dieser Verdacht aber, der mich ganz niederdonnern sollte, war mir nur zum Vergnügen, ich lachte herzlich darüber, und sagte, das sei so was böses nicht, und wir beide hätten ja gemeinsame Freunde und Freundinnen, von denen wir, weil der Pöbel sie so schimpfen könne, nicht geringer dächten. Diesmal war Schleiermacher der Abgefertigte. Der Sprachstreit über jene Form aber dauerte noch späthin fort, und gab in unsrem Kreise noch mehrmals zu Erörterungen und Neckereien Anlaß, die mich indeß nicht irre machten. Lange nachher, beim Wiedersehen nach einer Abwesenheit, in welcher sich viel an mir ge¬ ändert hatte, fragte mich Chamisso mit Lustigkeit: "Sagst Du noch, es fallt?" -- Wie's fällt! erwie¬ derte ich.
Ausdruͤcke und Formen gelaͤufig, und ich brachte ſie zuweilen anſtatt der gewoͤhnlichern, im Geſpraͤch mit an. So ſagte ich ohne Umlaut, nicht nur „es kommt,“ was auch bei Andern ſchon haͤufiger gehoͤrt wird, als „es koͤmmt,“ ſondern auch eben ſo gern „fallt, fahrt, ſchlagt, tragt,“ wo freilich jetzt Gebrauch und Regel „faͤllt, faͤhrt,“ u. ſ. w. verlangen. Hieruͤber ſchalt mich Schleiermacher mit beißenden Worten, ganz unverhaͤlt¬ nißmaͤßig, und um mich recht zu beſchaͤmen, meinte er: die Juden ſpraͤchen ſo, und es haͤtten ſchon Leute wegen meines Mitmachens dieſer kauderwelſchen Art ihn ge¬ fragt, ob ich denn ein Jude ſei? Dieſer Verdacht aber, der mich ganz niederdonnern ſollte, war mir nur zum Vergnuͤgen, ich lachte herzlich daruͤber, und ſagte, das ſei ſo was boͤſes nicht, und wir beide haͤtten ja gemeinſame Freunde und Freundinnen, von denen wir, weil der Poͤbel ſie ſo ſchimpfen koͤnne, nicht geringer daͤchten. Diesmal war Schleiermacher der Abgefertigte. Der Sprachſtreit uͤber jene Form aber dauerte noch ſpaͤthin fort, und gab in unſrem Kreiſe noch mehrmals zu Eroͤrterungen und Neckereien Anlaß, die mich indeß nicht irre machten. Lange nachher, beim Wiederſehen nach einer Abweſenheit, in welcher ſich viel an mir ge¬ aͤndert hatte, fragte mich Chamiſſo mit Luſtigkeit: „Sagſt Du noch, es fallt?“ — Wie's faͤllt! erwie¬ derte ich.
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Ausdruͤcke und Formen gelaͤufig, und ich brachte ſie
zuweilen anſtatt der gewoͤhnlichern, im Geſpraͤch mit
an. So ſagte ich ohne Umlaut, nicht nur „es kommt,“
was auch bei Andern ſchon haͤufiger gehoͤrt wird, als
„es koͤmmt,“ ſondern auch eben ſo gern „fallt, fahrt,
ſchlagt, tragt,“ wo freilich jetzt Gebrauch und Regel
„faͤllt, faͤhrt,“ u. ſ. w. verlangen. Hieruͤber ſchalt mich
Schleiermacher mit beißenden Worten, ganz unverhaͤlt¬
nißmaͤßig, und um mich recht zu beſchaͤmen, meinte er:
die Juden ſpraͤchen ſo, und es haͤtten ſchon Leute wegen
meines Mitmachens dieſer kauderwelſchen Art ihn ge¬
fragt, ob ich denn ein Jude ſei? Dieſer Verdacht
aber, der mich ganz niederdonnern ſollte, war mir nur
zum Vergnuͤgen, ich lachte herzlich daruͤber, und ſagte,
das ſei ſo was boͤſes nicht, und wir beide haͤtten ja
gemeinſame Freunde und Freundinnen, von denen wir,
weil der Poͤbel ſie ſo ſchimpfen koͤnne, nicht geringer
daͤchten. Diesmal war Schleiermacher der Abgefertigte.
Der Sprachſtreit uͤber jene Form aber dauerte noch
ſpaͤthin fort, und gab in unſrem Kreiſe noch mehrmals
zu Eroͤrterungen und Neckereien Anlaß, die mich indeß
nicht irre machten. Lange nachher, beim Wiederſehen
nach einer Abweſenheit, in welcher ſich viel an mir ge¬
aͤndert hatte, fragte mich Chamiſſo mit Luſtigkeit:
„Sagſt Du noch, es fallt?“ — Wie's faͤllt! erwie¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/41>, abgerufen am 21.11.2024.
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