Als wir Gäste endlich wieder abziehen wollten, mußte ich dennoch einen tief verstimmenden Eindruck hinnehmen, den ich aber in mir verschloß. Wir hatten zum be¬ stimmten Tag einen Wagen aus Berlin nach Münche¬ berg bestellt, bis dahin wollten wir zu Fuß wandern. Dies aber gab Marwitz nicht zu, sondern nöthigte uns, für diesen Theil des Weges sein Fuhrwerk anzu¬ nehmen. Worin aber bestand dieses? Den Wagen freilich gab er selbst, den Vorspann aber mußten die Bauern liefern, vier Pferde wurden eben so viel Land¬ leuten in der Zeit der dringendsten Feldarbeit zur Frohn¬ fuhre für die Herrschaft abgefordert, und als einige Beschwerde darüber und sogar eine halbdreiste Erkundi¬ gung, wie so diese offenbar nicht landwirthschaftliche Leistung jetzt von ihnen gefordert werde, unter den Bauern laut wurde, bedeutete man ihnen gebieterisch, sie sollten "zur Tanzfuhre" anspannen, denn allerdings waren sie durch ein altes Herkommen verbunden, wenn die Herrschaft zum Tanz fahre, sie mit vier Pferden hin und zurück zu schaffen. Die herrschaftliche Berech¬ tigung war schon drückend genug, in diesem Fall aber noch mehr die Anwendung, denn die armen Leute hatten doch klar vor Augen, daß nicht die Herrschaft, und eben so wenig zum Tanze, gefahren wurde! So kamen wir also mit der Tanzfuhre, über die noch genug gescherzt wurde, nach Müncheberg, wo wir die guten Leute, die mit ihren Pferden einen ganzen Arbeitstag versäumt
Als wir Gaͤſte endlich wieder abziehen wollten, mußte ich dennoch einen tief verſtimmenden Eindruck hinnehmen, den ich aber in mir verſchloß. Wir hatten zum be¬ ſtimmten Tag einen Wagen aus Berlin nach Muͤnche¬ berg beſtellt, bis dahin wollten wir zu Fuß wandern. Dies aber gab Marwitz nicht zu, ſondern noͤthigte uns, fuͤr dieſen Theil des Weges ſein Fuhrwerk anzu¬ nehmen. Worin aber beſtand dieſes? Den Wagen freilich gab er ſelbſt, den Vorſpann aber mußten die Bauern liefern, vier Pferde wurden eben ſo viel Land¬ leuten in der Zeit der dringendſten Feldarbeit zur Frohn¬ fuhre fuͤr die Herrſchaft abgefordert, und als einige Beſchwerde daruͤber und ſogar eine halbdreiſte Erkundi¬ gung, wie ſo dieſe offenbar nicht landwirthſchaftliche Leiſtung jetzt von ihnen gefordert werde, unter den Bauern laut wurde, bedeutete man ihnen gebieteriſch, ſie ſollten „zur Tanzfuhre“ anſpannen, denn allerdings waren ſie durch ein altes Herkommen verbunden, wenn die Herrſchaft zum Tanz fahre, ſie mit vier Pferden hin und zuruͤck zu ſchaffen. Die herrſchaftliche Berech¬ tigung war ſchon druͤckend genug, in dieſem Fall aber noch mehr die Anwendung, denn die armen Leute hatten doch klar vor Augen, daß nicht die Herrſchaft, und eben ſo wenig zum Tanze, gefahren wurde! So kamen wir alſo mit der Tanzfuhre, uͤber die noch genug geſcherzt wurde, nach Muͤncheberg, wo wir die guten Leute, die mit ihren Pferden einen ganzen Arbeitstag verſaͤumt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0042"n="30"/><p>Als wir Gaͤſte endlich wieder abziehen wollten, mußte<lb/>
ich dennoch einen tief verſtimmenden Eindruck hinnehmen,<lb/>
den ich aber in mir verſchloß. Wir hatten zum be¬<lb/>ſtimmten Tag einen Wagen aus Berlin nach Muͤnche¬<lb/>
berg beſtellt, bis dahin wollten wir zu Fuß wandern.<lb/>
Dies aber gab Marwitz nicht zu, ſondern noͤthigte<lb/>
uns, fuͤr dieſen Theil des Weges ſein Fuhrwerk anzu¬<lb/>
nehmen. Worin aber beſtand dieſes? Den Wagen<lb/>
freilich gab er ſelbſt, den Vorſpann aber mußten die<lb/>
Bauern liefern, vier Pferde wurden eben ſo viel Land¬<lb/>
leuten in der Zeit der dringendſten Feldarbeit zur Frohn¬<lb/>
fuhre fuͤr die Herrſchaft abgefordert, und als einige<lb/>
Beſchwerde daruͤber und ſogar eine halbdreiſte Erkundi¬<lb/>
gung, wie ſo dieſe offenbar nicht landwirthſchaftliche<lb/>
Leiſtung jetzt von ihnen gefordert werde, unter den<lb/>
Bauern laut wurde, bedeutete man ihnen gebieteriſch,<lb/>ſie ſollten „zur Tanzfuhre“ anſpannen, denn allerdings<lb/>
waren ſie durch ein altes Herkommen verbunden, wenn<lb/>
die Herrſchaft zum Tanz fahre, ſie mit vier Pferden<lb/>
hin und zuruͤck zu ſchaffen. Die herrſchaftliche Berech¬<lb/>
tigung war ſchon druͤckend genug, in dieſem Fall aber<lb/>
noch mehr die Anwendung, denn die armen Leute hatten<lb/>
doch klar vor Augen, daß nicht die Herrſchaft, und eben<lb/>ſo wenig zum Tanze, gefahren wurde! So kamen wir<lb/>
alſo mit der Tanzfuhre, uͤber die noch genug geſcherzt<lb/>
wurde, nach Muͤncheberg, wo wir die guten Leute, die<lb/>
mit ihren Pferden einen ganzen Arbeitstag verſaͤumt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[30/0042]
Als wir Gaͤſte endlich wieder abziehen wollten, mußte
ich dennoch einen tief verſtimmenden Eindruck hinnehmen,
den ich aber in mir verſchloß. Wir hatten zum be¬
ſtimmten Tag einen Wagen aus Berlin nach Muͤnche¬
berg beſtellt, bis dahin wollten wir zu Fuß wandern.
Dies aber gab Marwitz nicht zu, ſondern noͤthigte
uns, fuͤr dieſen Theil des Weges ſein Fuhrwerk anzu¬
nehmen. Worin aber beſtand dieſes? Den Wagen
freilich gab er ſelbſt, den Vorſpann aber mußten die
Bauern liefern, vier Pferde wurden eben ſo viel Land¬
leuten in der Zeit der dringendſten Feldarbeit zur Frohn¬
fuhre fuͤr die Herrſchaft abgefordert, und als einige
Beſchwerde daruͤber und ſogar eine halbdreiſte Erkundi¬
gung, wie ſo dieſe offenbar nicht landwirthſchaftliche
Leiſtung jetzt von ihnen gefordert werde, unter den
Bauern laut wurde, bedeutete man ihnen gebieteriſch,
ſie ſollten „zur Tanzfuhre“ anſpannen, denn allerdings
waren ſie durch ein altes Herkommen verbunden, wenn
die Herrſchaft zum Tanz fahre, ſie mit vier Pferden
hin und zuruͤck zu ſchaffen. Die herrſchaftliche Berech¬
tigung war ſchon druͤckend genug, in dieſem Fall aber
noch mehr die Anwendung, denn die armen Leute hatten
doch klar vor Augen, daß nicht die Herrſchaft, und eben
ſo wenig zum Tanze, gefahren wurde! So kamen wir
alſo mit der Tanzfuhre, uͤber die noch genug geſcherzt
wurde, nach Muͤncheberg, wo wir die guten Leute, die
mit ihren Pferden einen ganzen Arbeitstag verſaͤumt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/42>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.