bedeutendsten Sachen mit der alten Welt, das lebendige Interesse der neuen aber drängte sich immer dazwischen, und ließ keine Pedanterie aufkommen. Gurlitt und der alte Biesterfeld freuten sich an mir als ihrem ehe¬ maligen Schüler und der von ihnen ausgegangenen, wohlgelungenen Wirkung. Besonderes Interesse und Gefallen aber hatte Gurlitt an Chamisso's Deutschheit, über deren Grund und Art er in steter Verwunderung blieb, und dessen frische Nachrichten aus Frankreich und eigenthümliche politische Ansicht einen außerordentlichen Reiz für diese Männer hatte, welche nur gar zu sehr fühlten, daß auch dem geistigen Grund ihres Lebens, dem innern Wesen ihrer Thätigkeit, so gut wie der äußern Gestalt ihres Bürgerthums, mit jedem Tage bedenklicher die Eingriffe der fremden Herrschergewalt nahten. Daß dieser Franzose den Aeußerungen in Be¬ treff des Kaiser Napoleon keine Rücksicht auferlege, wagte man nicht sogleich vorauszusetzen, sondern ver¬ suchte sich anfangs in allerlei Wendungen, bis man mit frohem Staunen gewahr wurde, man könne mit gutem Vertrauen darin weiter und weiter gehen. Da¬ mit in dieser Hinsicht gar kein Zweifel mehr bliebe, mußte Chamisso selber mich auffordern, die Ode von Stägemann vorzulesen, worin der Untergang der Napo¬ leonischen Macht durch Preußen und Rußland geweissaget worden, und die ich in feiner Abschrift bei mir führte. Der Eindruck war unbeschreiblich, man bewunderte und
III. 4
bedeutendſten Sachen mit der alten Welt, das lebendige Intereſſe der neuen aber draͤngte ſich immer dazwiſchen, und ließ keine Pedanterie aufkommen. Gurlitt und der alte Bieſterfeld freuten ſich an mir als ihrem ehe¬ maligen Schuͤler und der von ihnen ausgegangenen, wohlgelungenen Wirkung. Beſonderes Intereſſe und Gefallen aber hatte Gurlitt an Chamiſſo's Deutſchheit, uͤber deren Grund und Art er in ſteter Verwunderung blieb, und deſſen friſche Nachrichten aus Frankreich und eigenthuͤmliche politiſche Anſicht einen außerordentlichen Reiz fuͤr dieſe Maͤnner hatte, welche nur gar zu ſehr fuͤhlten, daß auch dem geiſtigen Grund ihres Lebens, dem innern Weſen ihrer Thaͤtigkeit, ſo gut wie der aͤußern Geſtalt ihres Buͤrgerthums, mit jedem Tage bedenklicher die Eingriffe der fremden Herrſchergewalt nahten. Daß dieſer Franzoſe den Aeußerungen in Be¬ treff des Kaiſer Napoleon keine Ruͤckſicht auferlege, wagte man nicht ſogleich vorauszuſetzen, ſondern ver¬ ſuchte ſich anfangs in allerlei Wendungen, bis man mit frohem Staunen gewahr wurde, man koͤnne mit gutem Vertrauen darin weiter und weiter gehen. Da¬ mit in dieſer Hinſicht gar kein Zweifel mehr bliebe, mußte Chamiſſo ſelber mich auffordern, die Ode von Staͤgemann vorzuleſen, worin der Untergang der Napo¬ leoniſchen Macht durch Preußen und Rußland geweiſſaget worden, und die ich in feiner Abſchrift bei mir fuͤhrte. Der Eindruck war unbeſchreiblich, man bewunderte und
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bedeutendſten Sachen mit der alten Welt, das lebendige
Intereſſe der neuen aber draͤngte ſich immer dazwiſchen,
und ließ keine Pedanterie aufkommen. Gurlitt und
der alte Bieſterfeld freuten ſich an mir als ihrem ehe¬
maligen Schuͤler und der von ihnen ausgegangenen,
wohlgelungenen Wirkung. Beſonderes Intereſſe und
Gefallen aber hatte Gurlitt an Chamiſſo's Deutſchheit,
uͤber deren Grund und Art er in ſteter Verwunderung
blieb, und deſſen friſche Nachrichten aus Frankreich und
eigenthuͤmliche politiſche Anſicht einen außerordentlichen
Reiz fuͤr dieſe Maͤnner hatte, welche nur gar zu ſehr
fuͤhlten, daß auch dem geiſtigen Grund ihres Lebens,
dem innern Weſen ihrer Thaͤtigkeit, ſo gut wie der
aͤußern Geſtalt ihres Buͤrgerthums, mit jedem Tage
bedenklicher die Eingriffe der fremden Herrſchergewalt
nahten. Daß dieſer Franzoſe den Aeußerungen in Be¬
treff des Kaiſer Napoleon keine Ruͤckſicht auferlege,
wagte man nicht ſogleich vorauszuſetzen, ſondern ver¬
ſuchte ſich anfangs in allerlei Wendungen, bis man
mit frohem Staunen gewahr wurde, man koͤnne mit
gutem Vertrauen darin weiter und weiter gehen. Da¬
mit in dieſer Hinſicht gar kein Zweifel mehr bliebe,
mußte Chamiſſo ſelber mich auffordern, die Ode von
Staͤgemann vorzuleſen, worin der Untergang der Napo¬
leoniſchen Macht durch Preußen und Rußland geweiſſaget
worden, und die ich in feiner Abſchrift bei mir fuͤhrte.
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/61>, abgerufen am 28.11.2024.
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