Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Unwürdige darf's doch nicht übergehen? Adieu! Bedauer mich
nicht! du wirst doch nicht klug daraus. Die Vagabunden ha-
ben die häuslichste Seele: das glaub! Wenn ich etwas Be-
sonderes thu', glaub mit dem Pöbel nicht: ich habe mich ver-
ändert
; ich war lange dazu fähig, es sei auch noch so
alltäglich (das Übrige würde mir schon ausgelegt werden)
oder besonders. Adieu! -- Und sterb' ich -- such' alle meine
Briefe -- durch List etwa -- von allen meinen Freunden
und Bekannten zu bekommen (und K'n sag', ich befehl' es
ihm als eine Todte und Getödtete -- nicht just von ihm --
daß er sie gebe) -- und ordne sie mit Brinckmann. Es wird
eine Original-Geschichte und poetisch. Adieu! Grüß Luise.
Ich glaube L. liebt sie. Giebt das bloß Thränen, oder Traue?

Dies, Freundin, bind' ich dir als eine Pflicht auf. Ich
will es. Das darf man doch von einer Freundin fordern.
Leb' wohl! -- Beim Schlimmsten aber -- beim Tode selbst --
lass' uns denken -- daß wir zu den Edelsten gehörten, und
mit offnen Augen lebten. Adieu, liebe Freundin. Versichre
dich doch endlich meiner Liebe! Adieu! --



An Frau von Boye, in Stralsund.


Wie kömmst du darauf, meine liebe Freundin, nicht zu
wissen, daß ich von deiner Treue und Liebe überzeugt bin?!
-- Jeder Mensch trägt sein Schicksal in sich: das sind Wünsche,
nach Dingen, ohne die wir nicht weiter leben können. So,
mußtest du fort; und mich verlassen; oder vielmehr aus den

Augen

Unwürdige darf’s doch nicht übergehen? Adieu! Bedauer mich
nicht! du wirſt doch nicht klug daraus. Die Vagabunden ha-
ben die häuslichſte Seele: das glaub! Wenn ich etwas Be-
ſonderes thu’, glaub mit dem Pöbel nicht: ich habe mich ver-
ändert
; ich war lange dazu fähig, es ſei auch noch ſo
alltäglich (das Übrige würde mir ſchon ausgelegt werden)
oder beſonders. Adieu! — Und ſterb’ ich — ſuch’ alle meine
Briefe — durch Liſt etwa — von allen meinen Freunden
und Bekannten zu bekommen (und K’n ſag’, ich befehl’ es
ihm als eine Todte und Getödtete — nicht juſt von ihm —
daß er ſie gebe) — und ordne ſie mit Brinckmann. Es wird
eine Original-Geſchichte und poetiſch. Adieu! Grüß Luiſe.
Ich glaube L. liebt ſie. Giebt das bloß Thränen, oder Traue?

Dies, Freundin, bind’ ich dir als eine Pflicht auf. Ich
will es. Das darf man doch von einer Freundin fordern.
Leb’ wohl! — Beim Schlimmſten aber — beim Tode ſelbſt —
laſſ’ uns denken — daß wir zu den Edelſten gehörten, und
mit offnen Augen lebten. Adieu, liebe Freundin. Verſichre
dich doch endlich meiner Liebe! Adieu! —



An Frau von Boye, in Stralſund.


Wie kömmſt du darauf, meine liebe Freundin, nicht zu
wiſſen, daß ich von deiner Treue und Liebe überzeugt bin?!
— Jeder Menſch trägt ſein Schickſal in ſich: das ſind Wünſche,
nach Dingen, ohne die wir nicht weiter leben können. So,
mußteſt du fort; und mich verlaſſen; oder vielmehr aus den

Augen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0222" n="208"/>
Unwürdige darf&#x2019;s doch nicht übergehen? Adieu! Bedauer mich<lb/>
nicht! du wir&#x017F;t doch nicht klug daraus. Die Vagabunden ha-<lb/>
ben die häuslich&#x017F;te Seele: <hi rendition="#g">das</hi> glaub! Wenn ich etwas Be-<lb/>
&#x017F;onderes thu&#x2019;, glaub mit dem Pöbel nicht: ich habe mich <hi rendition="#g">ver-<lb/>
ändert</hi>; ich war lange dazu fähig, es &#x017F;ei auch noch &#x017F;o<lb/><hi rendition="#g">allt</hi>äglich (das Übrige würde mir &#x017F;chon ausgelegt werden)<lb/>
oder be&#x017F;onders. Adieu! &#x2014; Und &#x017F;terb&#x2019; ich &#x2014; &#x017F;uch&#x2019; <hi rendition="#g">alle</hi> meine<lb/>
Briefe &#x2014; durch Li&#x017F;t etwa &#x2014; von <hi rendition="#g">allen</hi> meinen Freunden<lb/>
und Bekannten zu bekommen (und K&#x2019;n &#x017F;ag&#x2019;, ich <hi rendition="#g">befehl</hi>&#x2019; es<lb/>
ihm als eine Todte und Getödtete &#x2014; nicht ju&#x017F;t von ihm &#x2014;<lb/>
daß er &#x017F;ie gebe) &#x2014; und ordne &#x017F;ie mit Brinckmann. Es wird<lb/>
eine Original-Ge&#x017F;chichte und poeti&#x017F;ch. Adieu! Grüß Lui&#x017F;e.<lb/>
Ich glaube L. liebt &#x017F;ie. Giebt das bloß Thränen, oder Traue?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Dies</hi>, Freundin, bind&#x2019; ich dir als eine <hi rendition="#g">Pflicht</hi> auf. Ich<lb/><hi rendition="#g">will es</hi>. Das darf man doch von einer Freundin fordern.<lb/>
Leb&#x2019; wohl! &#x2014; Beim Schlimm&#x017F;ten aber &#x2014; beim Tode &#x017F;elb&#x017F;t &#x2014;<lb/>
la&#x017F;&#x017F;&#x2019; uns denken &#x2014; daß wir zu den Edel&#x017F;ten gehörten, und<lb/>
mit offnen Augen lebten. Adieu, liebe Freundin. Ver&#x017F;ichre<lb/>
dich doch endlich meiner Liebe! Adieu! &#x2014;</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Frau von Boye, in Stral&#x017F;und.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Berlin, Mitte Juli&#x2019;s 1800.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Wie kömm&#x017F;t du darauf, meine liebe Freundin, nicht zu<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en, daß ich von <hi rendition="#g">deiner</hi> Treue und Liebe <hi rendition="#g">überzeugt</hi> bin?!<lb/>
&#x2014; Jeder Men&#x017F;ch trägt &#x017F;ein Schick&#x017F;al <hi rendition="#g">in</hi> &#x017F;ich: das &#x017F;ind Wün&#x017F;che,<lb/>
nach Dingen, ohne die wir nicht weiter leben können. <hi rendition="#g">So</hi>,<lb/>
mußte&#x017F;t du fort; und mich verla&#x017F;&#x017F;en; oder vielmehr aus den<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Augen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0222] Unwürdige darf’s doch nicht übergehen? Adieu! Bedauer mich nicht! du wirſt doch nicht klug daraus. Die Vagabunden ha- ben die häuslichſte Seele: das glaub! Wenn ich etwas Be- ſonderes thu’, glaub mit dem Pöbel nicht: ich habe mich ver- ändert; ich war lange dazu fähig, es ſei auch noch ſo alltäglich (das Übrige würde mir ſchon ausgelegt werden) oder beſonders. Adieu! — Und ſterb’ ich — ſuch’ alle meine Briefe — durch Liſt etwa — von allen meinen Freunden und Bekannten zu bekommen (und K’n ſag’, ich befehl’ es ihm als eine Todte und Getödtete — nicht juſt von ihm — daß er ſie gebe) — und ordne ſie mit Brinckmann. Es wird eine Original-Geſchichte und poetiſch. Adieu! Grüß Luiſe. Ich glaube L. liebt ſie. Giebt das bloß Thränen, oder Traue? Dies, Freundin, bind’ ich dir als eine Pflicht auf. Ich will es. Das darf man doch von einer Freundin fordern. Leb’ wohl! — Beim Schlimmſten aber — beim Tode ſelbſt — laſſ’ uns denken — daß wir zu den Edelſten gehörten, und mit offnen Augen lebten. Adieu, liebe Freundin. Verſichre dich doch endlich meiner Liebe! Adieu! — An Frau von Boye, in Stralſund. Berlin, Mitte Juli’s 1800. Wie kömmſt du darauf, meine liebe Freundin, nicht zu wiſſen, daß ich von deiner Treue und Liebe überzeugt bin?! — Jeder Menſch trägt ſein Schickſal in ſich: das ſind Wünſche, nach Dingen, ohne die wir nicht weiter leben können. So, mußteſt du fort; und mich verlaſſen; oder vielmehr aus den Augen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/222
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/222>, abgerufen am 22.12.2024.