Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

und zweifeln, ob es zum April ginge, oder der Tag wirklich
zum Oktober gehört.




Es giebt recht wenig Menschen, die Einfälle haben.



Die Andern plagen einen aber abscheulich mit ihrem bis-
chen Armuth.



Des wirklichen Unglücks schämt man sich.



Und man kann es eigentlich daran erkennen.



Von Menschen kommt kein Glück. Da erwartet man
es nur.



An Gustav von Brinckmann, in Berlin.


Mit Graf Voß und mir hat es sich plötzlich verändert.
Ich lieb' ihn nun, weil er ein unbekanntes tendre für mich
hat; für mich. Erstlich, lieb' ich die Leute, die ein tendre ha-
ben können, und dann, die wieder besonders, die ein unbe-
kanntes haben können; und noch besonders, die, die eins für
mich haben können. Ich bin so nichts, wenn man mich nicht
lange kennt, daß die schon etwas bei mir gelten, die mich nur
von Ansehen hassen. Welches Mitleid muß er in der Seele
tragen, welcher Aufmerksamkeit muß er fähig sein, für mich

und zweifeln, ob es zum April ginge, oder der Tag wirklich
zum Oktober gehört.




Es giebt recht wenig Menſchen, die Einfälle haben.



Die Andern plagen einen aber abſcheulich mit ihrem bis-
chen Armuth.



Des wirklichen Unglücks ſchämt man ſich.



Und man kann es eigentlich daran erkennen.



Von Menſchen kommt kein Glück. Da erwartet man
es nur.



An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.


Mit Graf Voß und mir hat es ſich plötzlich verändert.
Ich lieb’ ihn nun, weil er ein unbekanntes tendre für mich
hat; für mich. Erſtlich, lieb’ ich die Leute, die ein tendre ha-
ben können, und dann, die wieder beſonders, die ein unbe-
kanntes haben können; und noch beſonders, die, die eins für
mich haben können. Ich bin ſo nichts, wenn man mich nicht
lange kennt, daß die ſchon etwas bei mir gelten, die mich nur
von Anſehen haſſen. Welches Mitleid muß er in der Seele
tragen, welcher Aufmerkſamkeit muß er fähig ſein, für mich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0262" n="248"/>
und zweifeln, ob es zum April ginge, oder der Tag wirklich<lb/>
zum Oktober gehört.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">1801.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Es giebt recht wenig Men&#x017F;chen, die Einfälle haben.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Die Andern plagen einen aber ab&#x017F;cheulich mit ihrem bis-<lb/>
chen Armuth.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Des wirklichen Unglücks &#x017F;chämt man &#x017F;ich.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Und man kann es eigentlich daran erkennen.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Von Men&#x017F;chen kommt kein Glück. Da erwartet man<lb/>
es nur.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Gu&#x017F;tav von Brinckmann, in Berlin.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Dienstag, den 17. November 1801.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Mit Graf Voß und mir hat es &#x017F;ich plötzlich verändert.<lb/>
Ich lieb&#x2019; ihn nun, weil er ein unbekanntes <hi rendition="#aq">tendre</hi> für mich<lb/>
hat; für <hi rendition="#g">mich</hi>. Er&#x017F;tlich, lieb&#x2019; ich die Leute, die ein <hi rendition="#aq">tendre</hi> ha-<lb/>
ben können, und dann, die wieder be&#x017F;onders, die ein unbe-<lb/>
kanntes haben können; und noch be&#x017F;onders, die, die eins für<lb/>
mich haben können. Ich bin &#x017F;o nichts, wenn man mich nicht<lb/>
lange kennt, daß die &#x017F;chon etwas bei mir gelten, die mich nur<lb/>
von An&#x017F;ehen ha&#x017F;&#x017F;en. Welches Mitleid muß er in der Seele<lb/>
tragen, welcher Aufmerk&#x017F;amkeit muß er fähig &#x017F;ein, für mich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[248/0262] und zweifeln, ob es zum April ginge, oder der Tag wirklich zum Oktober gehört. 1801. Es giebt recht wenig Menſchen, die Einfälle haben. Die Andern plagen einen aber abſcheulich mit ihrem bis- chen Armuth. Des wirklichen Unglücks ſchämt man ſich. Und man kann es eigentlich daran erkennen. Von Menſchen kommt kein Glück. Da erwartet man es nur. An Guſtav von Brinckmann, in Berlin. Dienstag, den 17. November 1801. Mit Graf Voß und mir hat es ſich plötzlich verändert. Ich lieb’ ihn nun, weil er ein unbekanntes tendre für mich hat; für mich. Erſtlich, lieb’ ich die Leute, die ein tendre ha- ben können, und dann, die wieder beſonders, die ein unbe- kanntes haben können; und noch beſonders, die, die eins für mich haben können. Ich bin ſo nichts, wenn man mich nicht lange kennt, daß die ſchon etwas bei mir gelten, die mich nur von Anſehen haſſen. Welches Mitleid muß er in der Seele tragen, welcher Aufmerkſamkeit muß er fähig ſein, für mich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/262
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/262>, abgerufen am 23.12.2024.