durch Untersuchung, Überlegung, Zerstreuung -- welches alles in der Zeit geschieht, darum nennen's die Menschen "mit der Zeit" -- vergehen muß. Hätte ich nur das letztemal mit Ihnen aussprechen können! aber ich glaube, obgleich ich noch zwei sehr gute Dinge zu sagen hatte, daß es so gut wie ge- schehen ist. Sie haben es geendigt! "Kein Zug, der dem Urbilde gleich käme," sagen Sie ja, den Göttern gelobt, selbst! Sein Sie getrost, arme Leidenerwählte! Solche Gedanken hat man nie umsonst! Ja, ja, es sind die herbsten Leiden! einen solchen selbstgeschaffenen Gegenstand zu lieben, der einem nur das bischen Eindruck verleiht, und einen solchen Gegen- stand nicht mehr zu lieben! Alles gleich. Alles Schmerz, Verneinung. Diese ist der reinste Schmerz. Aber nun alle andern scheuslichen Gemüthsbewegungen, welche daraus ent- springen! O welcher innerliche Jammer, welche Noth! wel- cher wahre Krieg mit allen seinen Folgen und Gefolge, in der tiefsten Ähnlichkeit. Wer kennt dies besser als ich. Aber unendliche Kraft soll man dagegen anwenden; ich bin zernichtet, und ich rathe noch zur Vernichtung; alles ist besser als ein Spott seiner selbst sein, und ein selbstgeschaffenes Werk anzuschmachten. Todtes erlangt man nie! man kann es nicht besitzen. Auch so scharf braucht es nicht immer her- zugehn, und man stößt unverhofft auf sanftere Mittel; nur scheuen soll man auch Verzweiflung nicht, die unbekannt ist. -- Sie sagen gut: "Ich werde gar nichts gethan haben, und es wird mit einemmale alles fertig da stehn;" so ist es immer, alles, ich behaupte ja, auch das Alter, kommt plötzlich, -- das Fertigwerden ist nur immer ein Moment! Nun setz' ich
durch Unterſuchung, Überlegung, Zerſtreuung — welches alles in der Zeit geſchieht, darum nennen’s die Menſchen „mit der Zeit“ — vergehen muß. Hätte ich nur das letztemal mit Ihnen ausſprechen können! aber ich glaube, obgleich ich noch zwei ſehr gute Dinge zu ſagen hatte, daß es ſo gut wie ge- ſchehen iſt. Sie haben es geendigt! „Kein Zug, der dem Urbilde gleich käme,“ ſagen Sie ja, den Göttern gelobt, ſelbſt! Sein Sie getroſt, arme Leidenerwählte! Solche Gedanken hat man nie umſonſt! Ja, ja, es ſind die herbſten Leiden! einen ſolchen ſelbſtgeſchaffenen Gegenſtand zu lieben, der einem nur das bischen Eindruck verleiht, und einen ſolchen Gegen- ſtand nicht mehr zu lieben! Alles gleich. Alles Schmerz, Verneinung. Dieſe iſt der reinſte Schmerz. Aber nun alle andern ſcheuslichen Gemüthsbewegungen, welche daraus ent- ſpringen! O welcher innerliche Jammer, welche Noth! wel- cher wahre Krieg mit allen ſeinen Folgen und Gefolge, in der tiefſten Ähnlichkeit. Wer kennt dies beſſer als ich. Aber unendliche Kraft ſoll man dagegen anwenden; ich bin zernichtet, und ich rathe noch zur Vernichtung; alles iſt beſſer als ein Spott ſeiner ſelbſt ſein, und ein ſelbſtgeſchaffenes Werk anzuſchmachten. Todtes erlangt man nie! man kann es nicht beſitzen. Auch ſo ſcharf braucht es nicht immer her- zugehn, und man ſtößt unverhofft auf ſanftere Mittel; nur ſcheuen ſoll man auch Verzweiflung nicht, die unbekannt iſt. — Sie ſagen gut: „Ich werde gar nichts gethan haben, und es wird mit einemmale alles fertig da ſtehn;“ ſo iſt es immer, alles, ich behaupte ja, auch das Alter, kommt plötzlich, — das Fertigwerden iſt nur immer ein Moment! Nun ſetz’ ich
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durch Unterſuchung, Überlegung, Zerſtreuung — welches alles
in der Zeit geſchieht, darum nennen’s die Menſchen „mit der
Zeit“ — vergehen muß. Hätte ich nur das letztemal mit
Ihnen ausſprechen können! aber ich glaube, obgleich ich noch
zwei ſehr gute Dinge zu ſagen hatte, daß es ſo gut wie ge-
ſchehen iſt. Sie haben es geendigt! „Kein Zug, der dem
Urbilde gleich käme,“ ſagen Sie ja, den Göttern gelobt, ſelbſt!
Sein Sie getroſt, arme Leidenerwählte! Solche Gedanken
hat man nie umſonſt! Ja, ja, es ſind die herbſten Leiden!
einen ſolchen ſelbſtgeſchaffenen Gegenſtand zu lieben, der einem
nur das bischen Eindruck verleiht, und einen ſolchen Gegen-
ſtand nicht mehr zu lieben! Alles gleich. Alles Schmerz,
Verneinung. Dieſe iſt der reinſte Schmerz. Aber nun alle
andern ſcheuslichen Gemüthsbewegungen, welche daraus ent-
ſpringen! O welcher innerliche Jammer, welche Noth! wel-
cher wahre Krieg mit allen ſeinen Folgen und Gefolge, in
der tiefſten Ähnlichkeit. Wer kennt dies beſſer als ich. Aber
unendliche Kraft ſoll man dagegen anwenden; ich bin
zernichtet, und ich rathe noch zur Vernichtung; alles iſt beſſer
als ein Spott ſeiner ſelbſt ſein, und ein ſelbſtgeſchaffenes
Werk anzuſchmachten. Todtes erlangt man nie! man kann
es nicht beſitzen. Auch ſo ſcharf braucht es nicht immer her-
zugehn, und man ſtößt unverhofft auf ſanftere Mittel; nur
ſcheuen ſoll man auch Verzweiflung nicht, die unbekannt iſt.
— Sie ſagen gut: „Ich werde gar nichts gethan haben, und
es wird mit einemmale alles fertig da ſtehn;“ ſo iſt es immer,
alles, ich behaupte ja, auch das Alter, kommt plötzlich, —
das Fertigwerden iſt nur immer ein Moment! Nun ſetz’ ich
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/314>, abgerufen am 23.12.2024.
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