Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich beneide keinen Menschen mehr, als um Dinge, die
niemand hat.




Ich bin wie die geringste meiner Äußerungen; und die
unwillkommenste löst sich, bin ich überzeugt, für den, der's
sieht, in dem Zusammenhang meines Wesens auf. Dies ist
meine beste Eigenschaft: die ich zu oft selbst andeutete! --
und die einzige, die meine Ecken, vom harten Schicksal ange-
schlagen, allein verschlingt.




Wer immer nur an Geschichten, Vorfälle, denkt: hat
einen gemeinen Winkel in der Seele. Und der strahlt Fin-
sterniß, wie eine entgegengesetzte Sonne.




Zu dem reinen einzigen Enthusiasmus der edelsten höhe-
ren Theilnahme gehört guter Wille gar nicht allein: -- auch
die größte Verehrung gebiert sie nicht allein! Ein Auffassen,
ein Durchdringen, ein in jedem Punkte ansaugendes Begreifen
des innigsten Wesens unserer Freunde gehört vom Himmel
verliehen dazu! Ist er mir geworden, dieser Antheil? Ich
bin in Sehnsucht vergangen. Und bis jetzt, liebt' und haßte
ich mit regem Leben alles in den Menschen, was ich verstand,
und sah; und begnügte mich stückweise, mit dem was ich
in diesem und jenem für mich vorfand. Zerstreut, ehrlich,

Ich beneide keinen Menſchen mehr, als um Dinge, die
niemand hat.




Ich bin wie die geringſte meiner Äußerungen; und die
unwillkommenſte löſt ſich, bin ich überzeugt, für den, der’s
ſieht, in dem Zuſammenhang meines Weſens auf. Dies iſt
meine beſte Eigenſchaft: die ich zu oft ſelbſt andeutete! —
und die einzige, die meine Ecken, vom harten Schickſal ange-
ſchlagen, allein verſchlingt.




Wer immer nur an Geſchichten, Vorfälle, denkt: hat
einen gemeinen Winkel in der Seele. Und der ſtrahlt Fin-
ſterniß, wie eine entgegengeſetzte Sonne.




Zu dem reinen einzigen Enthuſiasmus der edelſten höhe-
ren Theilnahme gehört guter Wille gar nicht allein: — auch
die größte Verehrung gebiert ſie nicht allein! Ein Auffaſſen,
ein Durchdringen, ein in jedem Punkte anſaugendes Begreifen
des innigſten Weſens unſerer Freunde gehört vom Himmel
verliehen dazu! Iſt er mir geworden, dieſer Antheil? Ich
bin in Sehnſucht vergangen. Und bis jetzt, liebt’ und haßte
ich mit regem Leben alles in den Menſchen, was ich verſtand,
und ſah; und begnügte mich ſtückweiſe, mit dem was ich
in dieſem und jenem für mich vorfand. Zerſtreut, ehrlich,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0331" n="317"/>
            <p>Ich beneide keinen Men&#x017F;chen mehr, als um Dinge, die<lb/>
niemand hat.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Den 30. März 1807.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Ich bin wie die gering&#x017F;te meiner Äußerungen; und die<lb/>
unwillkommen&#x017F;te lö&#x017F;t &#x017F;ich, bin ich überzeugt, für den, der&#x2019;s<lb/>
&#x017F;ieht, in dem Zu&#x017F;ammenhang meines We&#x017F;ens auf. Dies i&#x017F;t<lb/>
meine be&#x017F;te Eigen&#x017F;chaft: die ich zu oft &#x017F;elb&#x017F;t andeutete! &#x2014;<lb/>
und die einzige, die meine Ecken, vom harten Schick&#x017F;al ange-<lb/>
&#x017F;chlagen, allein ver&#x017F;chlingt.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">1807.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Wer immer nur an <hi rendition="#g">Ge&#x017F;chichten</hi>, Vorfälle, denkt: hat<lb/>
einen gemeinen <hi rendition="#g">Winkel</hi> in der Seele. Und der &#x017F;trahlt Fin-<lb/>
&#x017F;terniß, wie eine entgegenge&#x017F;etzte Sonne.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Freitag, den 15. Mai 1807.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Zu dem reinen einzigen Enthu&#x017F;iasmus der edel&#x017F;ten höhe-<lb/>
ren Theilnahme gehört guter <hi rendition="#g">Wille</hi> gar nicht allein: &#x2014; auch<lb/>
die größte Verehrung gebiert &#x017F;ie nicht allein! Ein Auffa&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
ein Durchdringen, ein in jedem Punkte an&#x017F;augendes Begreifen<lb/>
des innig&#x017F;ten We&#x017F;ens un&#x017F;erer Freunde gehört vom <hi rendition="#g">Himmel</hi><lb/>
verliehen dazu! I&#x017F;t er <hi rendition="#g">mir</hi> geworden, <hi rendition="#g">die&#x017F;er</hi> Antheil? Ich<lb/><hi rendition="#g">bin</hi> in Sehn&#x017F;ucht vergangen. Und bis jetzt, liebt&#x2019; und haßte<lb/>
ich mit regem Leben alles in den Men&#x017F;chen, was ich ver&#x017F;tand,<lb/>
und &#x017F;ah; und begnügte mich <hi rendition="#g">&#x017F;tückwei&#x017F;e</hi>, mit dem was ich<lb/>
in die&#x017F;em und jenem <hi rendition="#g">für mich</hi> vorfand. Zer&#x017F;treut, ehrlich,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[317/0331] Ich beneide keinen Menſchen mehr, als um Dinge, die niemand hat. Den 30. März 1807. Ich bin wie die geringſte meiner Äußerungen; und die unwillkommenſte löſt ſich, bin ich überzeugt, für den, der’s ſieht, in dem Zuſammenhang meines Weſens auf. Dies iſt meine beſte Eigenſchaft: die ich zu oft ſelbſt andeutete! — und die einzige, die meine Ecken, vom harten Schickſal ange- ſchlagen, allein verſchlingt. 1807. Wer immer nur an Geſchichten, Vorfälle, denkt: hat einen gemeinen Winkel in der Seele. Und der ſtrahlt Fin- ſterniß, wie eine entgegengeſetzte Sonne. Freitag, den 15. Mai 1807. Zu dem reinen einzigen Enthuſiasmus der edelſten höhe- ren Theilnahme gehört guter Wille gar nicht allein: — auch die größte Verehrung gebiert ſie nicht allein! Ein Auffaſſen, ein Durchdringen, ein in jedem Punkte anſaugendes Begreifen des innigſten Weſens unſerer Freunde gehört vom Himmel verliehen dazu! Iſt er mir geworden, dieſer Antheil? Ich bin in Sehnſucht vergangen. Und bis jetzt, liebt’ und haßte ich mit regem Leben alles in den Menſchen, was ich verſtand, und ſah; und begnügte mich ſtückweiſe, mit dem was ich in dieſem und jenem für mich vorfand. Zerſtreut, ehrlich,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/331
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/331>, abgerufen am 23.12.2024.