nicht geschehen. Ich schrieb aus Furcht nicht! denn niemand hat wohl die mehr ausgestanden, als ich. Wer glaubt wohl auch an mehr Möglichkeiten! Alles ist nicht geschehen, als bis es beim Thee erzählt, in den Zeitungen gelesen wird. Ich getraute mir den gleichgültigsten Brief nicht zu schreiben: und jedes freundschaftliche Wort erstockte mir im Herzen; der ein- zige Gedanke, daß die Briefe gelesen würden, machte es mir unmöglich zu schreiben. Unser dicker Freund brachte mir zwar Ihren großen Brief, und versprach mir eine Gelegenheit, Ih- nen antworten zu können; aber er hielt mir nicht Wort; und weiß sich vielleicht noch gar in seiner Seele etwas damit. - - - Bei meinem "Theetisch," wie Sie es nennen, sitze nur ich mit Wörterbüchern; Thee wird gar nicht bei mir gemacht, außer alle acht oder zehn Tage, wenn sich Schack, der mich nicht verlassen hat, welchen fordert. So ist alles anders! Nie war ich so allein. Absolut. Nie so durchaus und bestimmt ennuyirt. Denken Sie sich, ennuyirt! Denn nur Geistreiches, Gütiges, Hoffnunggebendes, kann eine so Gekränkte, eine so Getödtete noch hinhalten. Alles ist aber vorbei! Im Winter, und im Sommer auch noch, kannt' ich einige Franzosen: mit denen sprach ich hin und her, und wir sprachen das ab, was fremde gesittete, litteraturliebende und übende Menschen, die nicht Eines Landes sind, absprechen und abstreiten können. Die sind Alle weg. Meine deutschen Freunde, wie lange schon; wie gestorben, wie zerstreut! In diesem Augenblick sehe ich nur meinen zweiten Bruder, der mit mir bei meiner Mutter wohnt, und den Mann, der bei uns einquartirt ist. Eine Art von Gualtieri. (Er heißt Bribes.) Ohne Deutsch natürlich; aber
nicht geſchehen. Ich ſchrieb aus Furcht nicht! denn niemand hat wohl die mehr ausgeſtanden, als ich. Wer glaubt wohl auch an mehr Möglichkeiten! Alles iſt nicht geſchehen, als bis es beim Thee erzählt, in den Zeitungen geleſen wird. Ich getraute mir den gleichgültigſten Brief nicht zu ſchreiben: und jedes freundſchaftliche Wort erſtockte mir im Herzen; der ein- zige Gedanke, daß die Briefe geleſen würden, machte es mir unmöglich zu ſchreiben. Unſer dicker Freund brachte mir zwar Ihren großen Brief, und verſprach mir eine Gelegenheit, Ih- nen antworten zu können; aber er hielt mir nicht Wort; und weiß ſich vielleicht noch gar in ſeiner Seele etwas damit. ‒ ‒ ‒ Bei meinem „Theetiſch,“ wie Sie es nennen, ſitze nur ich mit Wörterbüchern; Thee wird gar nicht bei mir gemacht, außer alle acht oder zehn Tage, wenn ſich Schack, der mich nicht verlaſſen hat, welchen fordert. So iſt alles anders! Nie war ich ſo allein. Abſolut. Nie ſo durchaus und beſtimmt ennuyirt. Denken Sie ſich, ennuyirt! Denn nur Geiſtreiches, Gütiges, Hoffnunggebendes, kann eine ſo Gekränkte, eine ſo Getödtete noch hinhalten. Alles iſt aber vorbei! Im Winter, und im Sommer auch noch, kannt’ ich einige Franzoſen: mit denen ſprach ich hin und her, und wir ſprachen das ab, was fremde geſittete, litteraturliebende und übende Menſchen, die nicht Eines Landes ſind, abſprechen und abſtreiten können. Die ſind Alle weg. Meine deutſchen Freunde, wie lange ſchon; wie geſtorben, wie zerſtreut! In dieſem Augenblick ſehe ich nur meinen zweiten Bruder, der mit mir bei meiner Mutter wohnt, und den Mann, der bei uns einquartirt iſt. Eine Art von Gualtieri. (Er heißt Bribes.) Ohne Deutſch natürlich; aber
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0342"n="328"/>
nicht geſchehen. Ich ſchrieb aus <hirendition="#g">Furcht</hi> nicht! denn niemand<lb/>
hat wohl die mehr ausgeſtanden, als ich. Wer glaubt wohl<lb/>
auch an mehr Möglichkeiten! Alles iſt nicht geſchehen, als<lb/>
bis es beim Thee erzählt, in den Zeitungen geleſen wird. Ich<lb/>
getraute mir den gleichgültigſten Brief nicht zu ſchreiben: und<lb/>
jedes freundſchaftliche Wort erſtockte mir im Herzen; der ein-<lb/>
zige Gedanke, daß die Briefe geleſen würden, machte es mir<lb/>
unmöglich zu ſchreiben. Unſer dicker Freund brachte mir zwar<lb/>
Ihren großen Brief, und verſprach mir eine Gelegenheit, Ih-<lb/>
nen antworten zu können; aber er hielt mir nicht Wort; und<lb/>
weiß ſich vielleicht noch gar in ſeiner Seele etwas damit. ‒‒‒<lb/>
Bei meinem „Theetiſch,“ wie Sie es nennen, ſitze nur <hirendition="#g">ich</hi> mit<lb/>
Wörterbüchern; Thee wird gar nicht bei mir gemacht, außer<lb/>
alle acht oder zehn Tage, wenn ſich Schack, der mich <hirendition="#g">nicht</hi><lb/>
verlaſſen hat, welchen fordert. <hirendition="#g">So</hi> iſt alles anders! Nie war<lb/>
ich ſo allein. Abſolut. Nie ſo durchaus und beſtimmt ennuyirt.<lb/>
Denken Sie ſich, ennuyirt! Denn nur Geiſtreiches, Gütiges,<lb/>
Hoffnunggebendes, kann eine ſo Gekränkte, eine ſo Getödtete<lb/>
noch hinhalten. Alles iſt aber vorbei! Im Winter, und im<lb/>
Sommer auch noch, kannt’ ich einige Franzoſen: mit denen<lb/>ſprach ich hin und her, und wir ſprachen das ab, was fremde<lb/>
geſittete, litteraturliebende und übende Menſchen, die <hirendition="#g">nicht</hi><lb/>
Eines Landes ſind, abſprechen und abſtreiten können. Die<lb/>ſind Alle weg. Meine deutſchen Freunde, wie lange ſchon;<lb/>
wie geſtorben, wie zerſtreut! In dieſem Augenblick ſehe ich<lb/>
nur meinen zweiten Bruder, der mit mir bei meiner Mutter<lb/>
wohnt, und den Mann, der bei uns einquartirt iſt. Eine Art<lb/>
von Gualtieri. (Er heißt Bribes.) Ohne Deutſch natürlich; aber<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[328/0342]
nicht geſchehen. Ich ſchrieb aus Furcht nicht! denn niemand
hat wohl die mehr ausgeſtanden, als ich. Wer glaubt wohl
auch an mehr Möglichkeiten! Alles iſt nicht geſchehen, als
bis es beim Thee erzählt, in den Zeitungen geleſen wird. Ich
getraute mir den gleichgültigſten Brief nicht zu ſchreiben: und
jedes freundſchaftliche Wort erſtockte mir im Herzen; der ein-
zige Gedanke, daß die Briefe geleſen würden, machte es mir
unmöglich zu ſchreiben. Unſer dicker Freund brachte mir zwar
Ihren großen Brief, und verſprach mir eine Gelegenheit, Ih-
nen antworten zu können; aber er hielt mir nicht Wort; und
weiß ſich vielleicht noch gar in ſeiner Seele etwas damit. ‒ ‒ ‒
Bei meinem „Theetiſch,“ wie Sie es nennen, ſitze nur ich mit
Wörterbüchern; Thee wird gar nicht bei mir gemacht, außer
alle acht oder zehn Tage, wenn ſich Schack, der mich nicht
verlaſſen hat, welchen fordert. So iſt alles anders! Nie war
ich ſo allein. Abſolut. Nie ſo durchaus und beſtimmt ennuyirt.
Denken Sie ſich, ennuyirt! Denn nur Geiſtreiches, Gütiges,
Hoffnunggebendes, kann eine ſo Gekränkte, eine ſo Getödtete
noch hinhalten. Alles iſt aber vorbei! Im Winter, und im
Sommer auch noch, kannt’ ich einige Franzoſen: mit denen
ſprach ich hin und her, und wir ſprachen das ab, was fremde
geſittete, litteraturliebende und übende Menſchen, die nicht
Eines Landes ſind, abſprechen und abſtreiten können. Die
ſind Alle weg. Meine deutſchen Freunde, wie lange ſchon;
wie geſtorben, wie zerſtreut! In dieſem Augenblick ſehe ich
nur meinen zweiten Bruder, der mit mir bei meiner Mutter
wohnt, und den Mann, der bei uns einquartirt iſt. Eine Art
von Gualtieri. (Er heißt Bribes.) Ohne Deutſch natürlich; aber
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/342>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.