Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

doch eine Einmischung; denn er ist von der spanischen Gränze;
ganz südlich, schöne Anlagen, sogar zum Denken, aber höchst ver-
schlagen, ich meine wie ein Schiff; weit weg, und wieder sehr nah.
Unsere, ich kann sagen meine Deutschheit, macht ihn sehr
stutzig, und des Streitens über alle Gegenstände in der Welt,
und des Geistes, hat gar kein Ende! Er hat auch Geist,
aber meiner beunruhigt ihn; und jeder Frau ihrer könnte ihn
ärgern. Nun sehen Sie ihn vor sich! nicht wahr? Er wohnt
beinah schon seit drei Monaten bei uns, und es ist nicht ab-
zusehen, wann er geht. Er ist hübsch, sehr natürlich, nie
affektirt. Äußerst empfindlich; ich gehe wie ein Löwenwächter
mit ihm um. Sehen Sie es nicht? Er haßt mich etwas;
aber er braucht mich doch. -- Wie sehr mir dies alles Seele,
Herz, Geist und alles was man sonst noch hat, brach läßt,
beweist mir mein unsäglicher, unausdrückbarer Ennui! denn
außer diesen beiden Menschen, darum beschrieb ich auch den
Ihnen Unbekannten, und Mad. F., die noch immer krank ist,
sehe ich niemand. Pauline sah ich bis jetzt; nun auch nicht
mehr. Dies alles mündlich, - - Ihre Grüße an sie hab' ich
bestellt.

Wann, Brinckmann, kommen Sie denn her! Wird
denn das nicht wieder? Glauben Sie wenigstens, lieber
Freund, daß kein Wort in Ihren vier himmlischen Briefen
verloren ging; Spaß, Ernst, Trauer, alles ging nach seinem
Orte in meiner Seele. Ich bin wie ich war, Brinckmann;
die Schläge haben das Alte in mir gestählt, und bewährt,
und mich wahrlich neu, und weiter urbar gemacht, Ich bin
noch des Scherzes, der Freude und des höchsten Leides fähig,

doch eine Einmiſchung; denn er iſt von der ſpaniſchen Gränze;
ganz ſüdlich, ſchöne Anlagen, ſogar zum Denken, aber höchſt ver-
ſchlagen, ich meine wie ein Schiff; weit weg, und wieder ſehr nah.
Unſere, ich kann ſagen meine Deutſchheit, macht ihn ſehr
ſtutzig, und des Streitens über alle Gegenſtände in der Welt,
und des Geiſtes, hat gar kein Ende! Er hat auch Geiſt,
aber meiner beunruhigt ihn; und jeder Frau ihrer könnte ihn
ärgern. Nun ſehen Sie ihn vor ſich! nicht wahr? Er wohnt
beinah ſchon ſeit drei Monaten bei uns, und es iſt nicht ab-
zuſehen, wann er geht. Er iſt hübſch, ſehr natürlich, nie
affektirt. Äußerſt empfindlich; ich gehe wie ein Löwenwächter
mit ihm um. Sehen Sie es nicht? Er haßt mich etwas;
aber er braucht mich doch. — Wie ſehr mir dies alles Seele,
Herz, Geiſt und alles was man ſonſt noch hat, brach läßt,
beweiſt mir mein unſäglicher, unausdrückbarer Ennui! denn
außer dieſen beiden Menſchen, darum beſchrieb ich auch den
Ihnen Unbekannten, und Mad. F., die noch immer krank iſt,
ſehe ich niemand. Pauline ſah ich bis jetzt; nun auch nicht
mehr. Dies alles mündlich, ‒ ‒ Ihre Grüße an ſie hab’ ich
beſtellt.

Wann, Brinckmann, kommen Sie denn her! Wird
denn das nicht wieder? Glauben Sie wenigſtens, lieber
Freund, daß kein Wort in Ihren vier himmliſchen Briefen
verloren ging; Spaß, Ernſt, Trauer, alles ging nach ſeinem
Orte in meiner Seele. Ich bin wie ich war, Brinckmann;
die Schläge haben das Alte in mir geſtählt, und bewährt,
und mich wahrlich neu, und weiter urbar gemacht, Ich bin
noch des Scherzes, der Freude und des höchſten Leides fähig,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0343" n="329"/>
doch eine Einmi&#x017F;chung; denn er i&#x017F;t von der &#x017F;pani&#x017F;chen Gränze;<lb/>
ganz &#x017F;üdlich, &#x017F;chöne Anlagen, &#x017F;ogar zum Denken, aber höch&#x017F;t ver-<lb/>
&#x017F;chlagen, ich meine wie ein Schiff; weit weg, und wieder &#x017F;ehr nah.<lb/>
Un&#x017F;ere, ich kann &#x017F;agen meine Deut&#x017F;chheit, macht ihn &#x017F;ehr<lb/>
&#x017F;tutzig, und des Streitens über alle Gegen&#x017F;tände in der Welt,<lb/>
und des Gei&#x017F;tes, hat gar kein Ende! Er hat auch Gei&#x017F;t,<lb/>
aber meiner beunruhigt ihn; und jeder Frau ihrer könnte ihn<lb/>
ärgern. Nun &#x017F;ehen Sie ihn vor &#x017F;ich! nicht wahr? Er wohnt<lb/>
beinah &#x017F;chon &#x017F;eit drei Monaten bei uns, und es i&#x017F;t nicht ab-<lb/>
zu&#x017F;ehen, wann er geht. Er i&#x017F;t hüb&#x017F;ch, &#x017F;ehr natürlich, nie<lb/>
affektirt. Äußer&#x017F;t empfindlich; ich gehe wie ein Löwenwächter<lb/>
mit ihm um. <hi rendition="#g">Sehen</hi> Sie es nicht? Er haßt mich etwas;<lb/>
aber er braucht mich doch. &#x2014; Wie &#x017F;ehr mir dies alles Seele,<lb/>
Herz, Gei&#x017F;t und alles was man &#x017F;on&#x017F;t noch hat, brach läßt,<lb/>
bewei&#x017F;t mir mein un&#x017F;äglicher, unausdrückbarer Ennui! denn<lb/>
außer die&#x017F;en beiden Men&#x017F;chen, darum be&#x017F;chrieb ich auch den<lb/>
Ihnen Unbekannten, und Mad. F., die noch immer krank i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;ehe ich <hi rendition="#g">niemand</hi>. Pauline &#x017F;ah ich <hi rendition="#g">bis</hi> jetzt; nun auch nicht<lb/>
mehr. Dies alles mündlich, &#x2012; &#x2012; Ihre Grüße an &#x017F;ie hab&#x2019; ich<lb/>
be&#x017F;tellt.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Wann</hi>, Brinckmann, kommen Sie denn <hi rendition="#g">her</hi>! Wird<lb/>
denn das nicht wieder? Glauben Sie wenig&#x017F;tens, lieber<lb/>
Freund, daß kein Wort in Ihren vier himmli&#x017F;chen Briefen<lb/>
verloren ging; Spaß, Ern&#x017F;t, Trauer, alles ging nach &#x017F;einem<lb/>
Orte in meiner Seele. Ich bin wie ich war, Brinckmann;<lb/>
die Schläge haben das Alte in mir ge&#x017F;tählt, und bewährt,<lb/>
und mich wahrlich neu, und weiter urbar gemacht, Ich bin<lb/>
noch des Scherzes, der Freude und des höch&#x017F;ten Leides fähig,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[329/0343] doch eine Einmiſchung; denn er iſt von der ſpaniſchen Gränze; ganz ſüdlich, ſchöne Anlagen, ſogar zum Denken, aber höchſt ver- ſchlagen, ich meine wie ein Schiff; weit weg, und wieder ſehr nah. Unſere, ich kann ſagen meine Deutſchheit, macht ihn ſehr ſtutzig, und des Streitens über alle Gegenſtände in der Welt, und des Geiſtes, hat gar kein Ende! Er hat auch Geiſt, aber meiner beunruhigt ihn; und jeder Frau ihrer könnte ihn ärgern. Nun ſehen Sie ihn vor ſich! nicht wahr? Er wohnt beinah ſchon ſeit drei Monaten bei uns, und es iſt nicht ab- zuſehen, wann er geht. Er iſt hübſch, ſehr natürlich, nie affektirt. Äußerſt empfindlich; ich gehe wie ein Löwenwächter mit ihm um. Sehen Sie es nicht? Er haßt mich etwas; aber er braucht mich doch. — Wie ſehr mir dies alles Seele, Herz, Geiſt und alles was man ſonſt noch hat, brach läßt, beweiſt mir mein unſäglicher, unausdrückbarer Ennui! denn außer dieſen beiden Menſchen, darum beſchrieb ich auch den Ihnen Unbekannten, und Mad. F., die noch immer krank iſt, ſehe ich niemand. Pauline ſah ich bis jetzt; nun auch nicht mehr. Dies alles mündlich, ‒ ‒ Ihre Grüße an ſie hab’ ich beſtellt. Wann, Brinckmann, kommen Sie denn her! Wird denn das nicht wieder? Glauben Sie wenigſtens, lieber Freund, daß kein Wort in Ihren vier himmliſchen Briefen verloren ging; Spaß, Ernſt, Trauer, alles ging nach ſeinem Orte in meiner Seele. Ich bin wie ich war, Brinckmann; die Schläge haben das Alte in mir geſtählt, und bewährt, und mich wahrlich neu, und weiter urbar gemacht, Ich bin noch des Scherzes, der Freude und des höchſten Leides fähig,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/343
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/343>, abgerufen am 23.12.2024.