hier! wie in dem Maß, was wir Deutsche dulden können: denn wir dulden nicht viel Affektation; und so scheint uns gradezu alles, wozu ein Übereinkommen vorausgesetzt ist, wenn es sich auf Zierlichkeit, und Effekt bezieht. Auch angezogen waren sie sehr gut. Man kleidet sich jetzt in der Welt egal: und kleine Städte -- und -städter -- werden nur dem Lokal- maße nach bestimmt; ich fand's mit Anzügen so in Westpha- len, im Köthenschen, und in Sachsen. Nach dem Theater gin- gen wir in das Hotel de Baviere essen. Leider um ein Vier- tel auf zehn! ich hoffe noch einen Wacher zu entdecken. -- Wir reisten gut; ich sah Horizonte, Land, Luft, Menschen, Scheine! -- Apropos ich wohne in einer sehr lebhaften Straße vorn heraus, ein hübsches Zimmer mit einem großen Alkoven, einem kleinen Kabinet, alle Bequemlichkeit mit Wandschrän- ken; das Zimmer ist französisch, nicht brandenburgsch gebaut, also zum Wohnen! Es ist die größte Ordnung bei mir. Nur habe ich noch keine Gesellschaft. Auch Alleinsein fürchte ich nicht! Bücher, Sopha, Gesundheit. -- Die Stadt ist in Al- larm, Bürgerwache, Entgegenreiten, Ehrenpforten. Man er- wartet heute den König von Sachsen und Napoleon. Sie gehen nach Erfurt, passiren unsere Straße. --
An die Gräfin SunSunSun.
Berlin, Montag den 11. Oktober 1808
Dies ist mein zweiter Brief, liebe Gräfin, den ich Ihnen seit diesem Sommer schreibe. Mein erster war eine Antwort auf den von Ihnen, der mich so sehr freute, als ich es Ihnen doch eigentlich nicht bezeigen konnte; und indem ich Ihnen flüch-
hier! wie in dem Maß, was wir Deutſche dulden können: denn wir dulden nicht viel Affektation; und ſo ſcheint uns gradezu alles, wozu ein Übereinkommen vorausgeſetzt iſt, wenn es ſich auf Zierlichkeit, und Effekt bezieht. Auch angezogen waren ſie ſehr gut. Man kleidet ſich jetzt in der Welt egal: und kleine Städte — und -ſtädter — werden nur dem Lokal- maße nach beſtimmt; ich fand’s mit Anzügen ſo in Weſtpha- len, im Köthenſchen, und in Sachſen. Nach dem Theater gin- gen wir in das Hotel de Bavière eſſen. Leider um ein Vier- tel auf zehn! ich hoffe noch einen Wacher zu entdecken. — Wir reiſten gut; ich ſah Horizonte, Land, Luft, Menſchen, Scheine! — Apropos ich wohne in einer ſehr lebhaften Straße vorn heraus, ein hübſches Zimmer mit einem großen Alkoven, einem kleinen Kabinet, alle Bequemlichkeit mit Wandſchrän- ken; das Zimmer iſt franzöſiſch, nicht brandenburgſch gebaut, alſo zum Wohnen! Es iſt die größte Ordnung bei mir. Nur habe ich noch keine Geſellſchaft. Auch Alleinſein fürchte ich nicht! Bücher, Sopha, Geſundheit. — Die Stadt iſt in Al- larm, Bürgerwache, Entgegenreiten, Ehrenpforten. Man er- wartet heute den König von Sachſen und Napoleon. Sie gehen nach Erfurt, paſſiren unſere Straße. —
An die Gräfin ☉☉☉.
Berlin, Montag den 11. Oktober 1808
Dies iſt mein zweiter Brief, liebe Gräfin, den ich Ihnen ſeit dieſem Sommer ſchreibe. Mein erſter war eine Antwort auf den von Ihnen, der mich ſo ſehr freute, als ich es Ihnen doch eigentlich nicht bezeigen konnte; und indem ich Ihnen flüch-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0365"n="351"/>
hier! wie in dem Maß, was wir Deutſche dulden können:<lb/>
denn wir dulden nicht viel Affektation; und ſo ſcheint uns<lb/>
gradezu alles, wozu ein Übereinkommen vorausgeſetzt iſt, wenn<lb/>
es ſich auf Zierlichkeit, und Effekt bezieht. Auch angezogen<lb/>
waren ſie ſehr gut. Man kleidet ſich jetzt in der <hirendition="#g">Welt</hi> egal:<lb/>
und kleine Städte — und -ſtädter — werden nur dem Lokal-<lb/>
maße nach beſtimmt; ich fand’s mit Anzügen ſo in Weſtpha-<lb/>
len, im Köthenſchen, und in Sachſen. Nach dem Theater gin-<lb/>
gen wir in das Hotel de Bavi<hirendition="#aq">è</hi>re eſſen. Leider um ein Vier-<lb/>
tel auf zehn! ich hoffe noch einen Wacher zu entdecken. —<lb/>
Wir reiſten gut; ich ſah Horizonte, Land, Luft, Menſchen,<lb/>
Scheine! — Apropos ich wohne in einer ſehr lebhaften Straße<lb/>
vorn heraus, ein hübſches Zimmer mit einem großen Alkoven,<lb/>
einem kleinen Kabinet, alle Bequemlichkeit mit Wandſchrän-<lb/>
ken; das Zimmer iſt franzöſiſch, nicht brandenburgſch gebaut,<lb/>
alſo zum Wohnen! Es iſt die größte Ordnung bei mir. Nur<lb/>
habe ich noch keine Geſellſchaft. Auch Alleinſein fürchte ich<lb/>
nicht! Bücher, Sopha, Geſundheit. — Die Stadt iſt in Al-<lb/>
larm, Bürgerwache, Entgegenreiten, Ehrenpforten. Man er-<lb/>
wartet heute den König von Sachſen und Napoleon. Sie<lb/>
gehen nach Erfurt, paſſiren unſere Straße. —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An die Gräfin ☉☉☉.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Berlin, Montag den 11. Oktober 1808</hi></dateline><lb/><p>Dies iſt mein zweiter Brief, liebe Gräfin, den ich Ihnen<lb/>ſeit dieſem Sommer ſchreibe. Mein erſter war eine Antwort<lb/>
auf den von Ihnen, der mich ſo ſehr freute, als ich es Ihnen<lb/>
doch eigentlich nicht bezeigen konnte; und indem ich Ihnen flüch-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[351/0365]
hier! wie in dem Maß, was wir Deutſche dulden können:
denn wir dulden nicht viel Affektation; und ſo ſcheint uns
gradezu alles, wozu ein Übereinkommen vorausgeſetzt iſt, wenn
es ſich auf Zierlichkeit, und Effekt bezieht. Auch angezogen
waren ſie ſehr gut. Man kleidet ſich jetzt in der Welt egal:
und kleine Städte — und -ſtädter — werden nur dem Lokal-
maße nach beſtimmt; ich fand’s mit Anzügen ſo in Weſtpha-
len, im Köthenſchen, und in Sachſen. Nach dem Theater gin-
gen wir in das Hotel de Bavière eſſen. Leider um ein Vier-
tel auf zehn! ich hoffe noch einen Wacher zu entdecken. —
Wir reiſten gut; ich ſah Horizonte, Land, Luft, Menſchen,
Scheine! — Apropos ich wohne in einer ſehr lebhaften Straße
vorn heraus, ein hübſches Zimmer mit einem großen Alkoven,
einem kleinen Kabinet, alle Bequemlichkeit mit Wandſchrän-
ken; das Zimmer iſt franzöſiſch, nicht brandenburgſch gebaut,
alſo zum Wohnen! Es iſt die größte Ordnung bei mir. Nur
habe ich noch keine Geſellſchaft. Auch Alleinſein fürchte ich
nicht! Bücher, Sopha, Geſundheit. — Die Stadt iſt in Al-
larm, Bürgerwache, Entgegenreiten, Ehrenpforten. Man er-
wartet heute den König von Sachſen und Napoleon. Sie
gehen nach Erfurt, paſſiren unſere Straße. —
An die Gräfin ☉☉☉.
Berlin, Montag den 11. Oktober 1808
Dies iſt mein zweiter Brief, liebe Gräfin, den ich Ihnen
ſeit dieſem Sommer ſchreibe. Mein erſter war eine Antwort
auf den von Ihnen, der mich ſo ſehr freute, als ich es Ihnen
doch eigentlich nicht bezeigen konnte; und indem ich Ihnen flüch-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/365>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.