Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

gegen mich: weil man in ihrer Gesellschaft mich verantwort-
lich für die Wege, die sich seine Leidenschaft erlaubt hatte,
machen wollte; und sie war es auch; nun hat sie eine Kata-
strophe, sie übergeht all ihren Umgang, und stürzt weinend
in mein Zimmer, ich fange sie auf; und auf meinem Sopha
findet sie Trost, Rath, Zusprechen; kurz, eine Freundin. Ge-
rührt war ich nicht. Auch nicht schmeichlend, aber thätig; und
sehr wie ein Mann. Mir war so. So plagt mich jetzt noch
eine andere Matte, deren Geliebter heirathet. Ein Lothario,
ohne Jarno's, seine Liddy's zu heirathen, ohne Zweikampf für
mißbrauchte Gattinnen, ohne Güter und Geld für seine Ba-
starde! -- Als ich nachmittags wegging, schien plötzlich nach
vielen Tagen die Sonne. Die beschienenen Bäume lockten
mich weiter. Wie Frühling war's; und auch wie ein stiller,
fester, mit Schnee schon eingestampfter (aber nicht abgeschmol-
zen) Januarabend. So zogen mir auch Wetter, allerhand
erlebte, durch das Gemüthe, wie durch die Brust; alle Gänge,
die ich je gemacht hatte, mit ihren Bildern und meinen un-
schuldigen Herzenslagen, zogen recht schnell, und doch sehr
vernehmlich, und wie mit einemmale, wie eine zu übersehende
Reihe -- Banco's Geschlechte in etwas ähnlich -- vor mei-
nem Geiste vorüber. Ich wußte das selbst, und es war mir
doch so sonderbar! Nur die Zukunft blieb ganz verschlossen,
auch das dacht' ich auch nur einen Augenblick, (die schließt
in der That nur wirkliche Hoffnung, Narrheit oder Jugend
auf.) Die milde Luft des Augenblicks erweiterte sehr meine
Augen, ich sah weit. George's Garten, des Prinzen Haus --
wahre Grabstätten -- lockten mich. -- Der Garten war schon

gegen mich: weil man in ihrer Geſellſchaft mich verantwort-
lich für die Wege, die ſich ſeine Leidenſchaft erlaubt hatte,
machen wollte; und ſie war es auch; nun hat ſie eine Kata-
ſtrophe, ſie übergeht all ihren Umgang, und ſtürzt weinend
in mein Zimmer, ich fange ſie auf; und auf meinem Sopha
findet ſie Troſt, Rath, Zuſprechen; kurz, eine Freundin. Ge-
rührt war ich nicht. Auch nicht ſchmeichlend, aber thätig; und
ſehr wie ein Mann. Mir war ſo. So plagt mich jetzt noch
eine andere Matte, deren Geliebter heirathet. Ein Lothario,
ohne Jarno’s, ſeine Liddy’s zu heirathen, ohne Zweikampf für
mißbrauchte Gattinnen, ohne Güter und Geld für ſeine Ba-
ſtarde! — Als ich nachmittags wegging, ſchien plötzlich nach
vielen Tagen die Sonne. Die beſchienenen Bäume lockten
mich weiter. Wie Frühling war’s; und auch wie ein ſtiller,
feſter, mit Schnee ſchon eingeſtampfter (aber nicht abgeſchmol-
zen) Januarabend. So zogen mir auch Wetter, allerhand
erlebte, durch das Gemüthe, wie durch die Bruſt; alle Gänge,
die ich je gemacht hatte, mit ihren Bildern und meinen un-
ſchuldigen Herzenslagen, zogen recht ſchnell, und doch ſehr
vernehmlich, und wie mit einemmale, wie eine zu überſehende
Reihe — Banco’s Geſchlechte in etwas ähnlich — vor mei-
nem Geiſte vorüber. Ich wußte das ſelbſt, und es war mir
doch ſo ſonderbar! Nur die Zukunft blieb ganz verſchloſſen,
auch das dacht’ ich auch nur einen Augenblick, (die ſchließt
in der That nur wirkliche Hoffnung, Narrheit oder Jugend
auf.) Die milde Luft des Augenblicks erweiterte ſehr meine
Augen, ich ſah weit. George’s Garten, des Prinzen Haus —
wahre Grabſtätten — lockten mich. — Der Garten war ſchon

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0374" n="360"/>
gegen mich: weil man in ihrer Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft mich verantwort-<lb/>
lich für die Wege, die &#x017F;ich &#x017F;eine Leiden&#x017F;chaft erlaubt hatte,<lb/>
machen wollte; und &#x017F;ie war es auch; nun hat &#x017F;ie eine Kata-<lb/>
&#x017F;trophe, &#x017F;ie übergeht all ihren Umgang, und &#x017F;türzt weinend<lb/>
in mein Zimmer, ich fange &#x017F;ie auf; und auf meinem Sopha<lb/>
findet &#x017F;ie Tro&#x017F;t, Rath, Zu&#x017F;prechen; kurz, eine Freundin. Ge-<lb/>
rührt war ich nicht. Auch nicht &#x017F;chmeichlend, aber thätig; und<lb/>
&#x017F;ehr wie ein Mann. Mir war &#x017F;o. So plagt mich jetzt noch<lb/>
eine andere Matte, deren Geliebter heirathet. Ein Lothario,<lb/>
ohne Jarno&#x2019;s, &#x017F;eine Liddy&#x2019;s zu heirathen, ohne Zweikampf für<lb/>
mißbrauchte Gattinnen, ohne Güter und Geld für &#x017F;eine Ba-<lb/>
&#x017F;tarde! &#x2014; Als ich nachmittags wegging, &#x017F;chien plötzlich nach<lb/>
vielen Tagen die Sonne. Die be&#x017F;chienenen Bäume lockten<lb/>
mich weiter. Wie Frühling war&#x2019;s; und auch wie ein &#x017F;tiller,<lb/>
fe&#x017F;ter, mit Schnee &#x017F;chon einge&#x017F;tampfter (aber nicht abge&#x017F;chmol-<lb/>
zen) Januarabend. So zogen mir auch Wetter, allerhand<lb/>
erlebte, durch das Gemüthe, wie durch die Bru&#x017F;t; alle Gänge,<lb/>
die ich je gemacht hatte, mit ihren Bildern und meinen un-<lb/>
&#x017F;chuldigen Herzenslagen, zogen recht &#x017F;chnell, und doch &#x017F;ehr<lb/>
vernehmlich, und wie mit einemmale, wie eine zu über&#x017F;ehende<lb/>
Reihe &#x2014; Banco&#x2019;s Ge&#x017F;chlechte in etwas ähnlich &#x2014; vor mei-<lb/>
nem Gei&#x017F;te vorüber. Ich wußte das &#x017F;elb&#x017F;t, und es war mir<lb/>
doch &#x017F;o &#x017F;onderbar! Nur die Zukunft blieb ganz ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
auch das dacht&#x2019; ich auch nur einen Augenblick, (die &#x017F;chließt<lb/>
in der That nur wirkliche Hoffnung, Narrheit oder Jugend<lb/>
auf.) Die milde Luft des Augenblicks erweiterte &#x017F;ehr meine<lb/>
Augen, ich &#x017F;ah weit. George&#x2019;s Garten, des Prinzen Haus &#x2014;<lb/>
wahre Grab&#x017F;tätten &#x2014; lockten mich. &#x2014; Der Garten war &#x017F;chon<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[360/0374] gegen mich: weil man in ihrer Geſellſchaft mich verantwort- lich für die Wege, die ſich ſeine Leidenſchaft erlaubt hatte, machen wollte; und ſie war es auch; nun hat ſie eine Kata- ſtrophe, ſie übergeht all ihren Umgang, und ſtürzt weinend in mein Zimmer, ich fange ſie auf; und auf meinem Sopha findet ſie Troſt, Rath, Zuſprechen; kurz, eine Freundin. Ge- rührt war ich nicht. Auch nicht ſchmeichlend, aber thätig; und ſehr wie ein Mann. Mir war ſo. So plagt mich jetzt noch eine andere Matte, deren Geliebter heirathet. Ein Lothario, ohne Jarno’s, ſeine Liddy’s zu heirathen, ohne Zweikampf für mißbrauchte Gattinnen, ohne Güter und Geld für ſeine Ba- ſtarde! — Als ich nachmittags wegging, ſchien plötzlich nach vielen Tagen die Sonne. Die beſchienenen Bäume lockten mich weiter. Wie Frühling war’s; und auch wie ein ſtiller, feſter, mit Schnee ſchon eingeſtampfter (aber nicht abgeſchmol- zen) Januarabend. So zogen mir auch Wetter, allerhand erlebte, durch das Gemüthe, wie durch die Bruſt; alle Gänge, die ich je gemacht hatte, mit ihren Bildern und meinen un- ſchuldigen Herzenslagen, zogen recht ſchnell, und doch ſehr vernehmlich, und wie mit einemmale, wie eine zu überſehende Reihe — Banco’s Geſchlechte in etwas ähnlich — vor mei- nem Geiſte vorüber. Ich wußte das ſelbſt, und es war mir doch ſo ſonderbar! Nur die Zukunft blieb ganz verſchloſſen, auch das dacht’ ich auch nur einen Augenblick, (die ſchließt in der That nur wirkliche Hoffnung, Narrheit oder Jugend auf.) Die milde Luft des Augenblicks erweiterte ſehr meine Augen, ich ſah weit. George’s Garten, des Prinzen Haus — wahre Grabſtätten — lockten mich. — Der Garten war ſchon

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/374
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/374>, abgerufen am 23.12.2024.