Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Sie bringen die hohe Freiheit der Dichtkunst in die Gebiete der Wirklich-
keit, und wollen die Schönheiten dort, auch als Schönheiten hier wieder-
finden; -- aber die poetischen Schmerzen sind, in die Prosa des Lebens
übersetzt, rechte wahre Schmerzen. -- Vor der Muse ist der Teufel schön
und die Parze, aber sie wohnet nur in uns, und der Teufel so oft außer
uns, und hat dann keine milde Beleuchtung.

Leben Sie froh unter einem Volke, das sie besser fassen werden, als
dieses Sie.

Schreiben Sie mir, aber kein Brief wird mir gefallen, als der
längste. --

J. P. F. Richter.


2.


Mit Zuneigung und Freudigkeit hab' ich Ihren Brief an mich und
Ihr vortreffliches Votivgemählde von Paris gelesen, und mit herzlichen
Wünschen für Ihre rasche, kräftige, geflügelte Nutur. Mög' Ihr Herz
nicht verkannt werden, auch nicht von -- Ihnen! Mögen die Menschen,
da Sie oft, glaub' ich, ohne Orthographie handeln so wie schreiben, dar-
über den geistigen Werth nicht übersehen! -- Aber gerade, wenn die Seele
am schönsten spricht und tönt, wird sie Andern unsichtbar, wie die Saite
verschwindet, wenn sie tönt. -- Jedes Blättchen, und noch mehr jedes
Blatt von Ihnen wird mich erfreuen. Friede und Freude sei mit Ihnen!

Richter.


An Varnhagen, in Tübingen.

Gestern Abend habe ich den Sigurd gelesen. -- Lange,
lange nicht hat mir etwas so gefallen! So schön kam es mir
vor, so fest, so eigen, so ächt, so still ersonnen, frisch mit Ge-
sundheit ausgeführt: so wenig Überflüssiges gesagt darin: zu-
sammenhängend und neu, von einem neuen Menschen endlich
glücklich gefertigt. Indem ich's las, freut' ich mich immer
schon des Lobes, und deiner Freude und Zufriedenheit, welches
ich dir aus vollem Herzen spenden würde. Seine Runen
kamen mir bis in den innersten Sinn, mit ihren Reden, und

I. 24

Sie bringen die hohe Freiheit der Dichtkunſt in die Gebiete der Wirklich-
keit, und wollen die Schönheiten dort, auch als Schönheiten hier wieder-
finden; — aber die poetiſchen Schmerzen ſind, in die Proſa des Lebens
überſetzt, rechte wahre Schmerzen. — Vor der Muſe iſt der Teufel ſchön
und die Parze, aber ſie wohnet nur in uns, und der Teufel ſo oft außer
uns, und hat dann keine milde Beleuchtung.

Leben Sie froh unter einem Volke, das ſie beſſer faſſen werden, als
dieſes Sie.

Schreiben Sie mir, aber kein Brief wird mir gefallen, als der
längſte. —

J. P. F. Richter.


2.


Mit Zuneigung und Freudigkeit hab’ ich Ihren Brief an mich und
Ihr vortreffliches Votivgemählde von Paris geleſen, und mit herzlichen
Wünſchen für Ihre raſche, kräftige, geflügelte Nutur. Mög’ Ihr Herz
nicht verkannt werden, auch nicht von — Ihnen! Mögen die Menſchen,
da Sie oft, glaub’ ich, ohne Orthographie handeln ſo wie ſchreiben, dar-
über den geiſtigen Werth nicht überſehen! — Aber gerade, wenn die Seele
am ſchönſten ſpricht und tönt, wird ſie Andern unſichtbar, wie die Saite
verſchwindet, wenn ſie tönt. — Jedes Blättchen, und noch mehr jedes
Blatt von Ihnen wird mich erfreuen. Friede und Freude ſei mit Ihnen!

Richter.


An Varnhagen, in Tübingen.

Geſtern Abend habe ich den Sigurd geleſen. — Lange,
lange nicht hat mir etwas ſo gefallen! So ſchön kam es mir
vor, ſo feſt, ſo eigen, ſo ächt, ſo ſtill erſonnen, friſch mit Ge-
ſundheit ausgeführt: ſo wenig Überflüſſiges geſagt darin: zu-
ſammenhängend und neu, von einem neuen Menſchen endlich
glücklich gefertigt. Indem ich’s las, freut’ ich mich immer
ſchon des Lobes, und deiner Freude und Zufriedenheit, welches
ich dir aus vollem Herzen ſpenden würde. Seine Runen
kamen mir bis in den innerſten Sinn, mit ihren Reden, und

I. 24
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0383" n="369"/>
Sie bringen die hohe Freiheit der Dichtkun&#x017F;t in die Gebiete der Wirklich-<lb/>
keit, und wollen die Schönheiten dort, auch als Schönheiten hier wieder-<lb/>
finden; &#x2014; aber die poeti&#x017F;chen Schmerzen &#x017F;ind, in die Pro&#x017F;a des Lebens<lb/>
über&#x017F;etzt, rechte wahre Schmerzen. &#x2014; Vor der Mu&#x017F;e i&#x017F;t der Teufel &#x017F;chön<lb/>
und die Parze, aber &#x017F;ie wohnet nur in uns, und der Teufel &#x017F;o oft außer<lb/>
uns, und hat dann keine milde Beleuchtung.</p><lb/>
            <p>Leben Sie froh unter einem Volke, das &#x017F;ie be&#x017F;&#x017F;er fa&#x017F;&#x017F;en werden, als<lb/>
die&#x017F;es Sie.</p><lb/>
            <p>Schreiben Sie mir, aber kein Brief wird mir gefallen, als der<lb/>
läng&#x017F;te. &#x2014;</p>
            <closer>
              <salute> <hi rendition="#et">J. P. F. <hi rendition="#g">Richter</hi>.</hi> </salute>
            </closer>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#c">2.</hi> </head><lb/>
            <dateline> <hi rendition="#et">Berlin, den 9. Jänner 1801.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Mit Zuneigung und Freudigkeit hab&#x2019; ich Ihren Brief an mich und<lb/>
Ihr vortreffliches Votivgemählde von Paris gele&#x017F;en, und mit herzlichen<lb/>
Wün&#x017F;chen für Ihre ra&#x017F;che, kräftige, geflügelte Nutur. Mög&#x2019; Ihr Herz<lb/>
nicht verkannt werden, auch nicht von &#x2014; Ihnen! Mögen die Men&#x017F;chen,<lb/>
da Sie oft, glaub&#x2019; ich, ohne Orthographie handeln &#x017F;o wie &#x017F;chreiben, dar-<lb/>
über den gei&#x017F;tigen Werth nicht über&#x017F;ehen! &#x2014; Aber gerade, wenn die Seele<lb/>
am &#x017F;chön&#x017F;ten &#x017F;pricht und tönt, wird &#x017F;ie Andern un&#x017F;ichtbar, wie die Saite<lb/>
ver&#x017F;chwindet, wenn &#x017F;ie tönt. &#x2014; Jedes Blättchen, und noch mehr jedes<lb/>
Blatt von Ihnen wird mich erfreuen. Friede und Freude &#x017F;ei mit Ihnen!</p><lb/>
            <closer>
              <salute> <hi rendition="#et"><hi rendition="#g">Richter</hi>.</hi> </salute>
            </closer>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Varnhagen, in Tübingen.</head><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Freitag früh um 10 Uhr, den 18. November 1808.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Ge&#x017F;tern Abend habe ich den Sigurd gele&#x017F;en. &#x2014; Lange,<lb/>
lange nicht hat mir etwas &#x017F;o gefallen! So &#x017F;chön kam es mir<lb/>
vor, &#x017F;o fe&#x017F;t, &#x017F;o eigen, &#x017F;o ächt, &#x017F;o &#x017F;till er&#x017F;onnen, fri&#x017F;ch mit Ge-<lb/>
&#x017F;undheit ausgeführt: &#x017F;o wenig Überflü&#x017F;&#x017F;iges ge&#x017F;agt darin: zu-<lb/>
&#x017F;ammenhängend und neu, von einem neuen Men&#x017F;chen endlich<lb/>
glücklich gefertigt. Indem ich&#x2019;s las, freut&#x2019; ich mich immer<lb/>
&#x017F;chon des Lobes, und deiner Freude und Zufriedenheit, welches<lb/>
ich dir aus vollem Herzen &#x017F;penden würde. Seine Runen<lb/>
kamen mir bis in den inner&#x017F;ten Sinn, mit ihren Reden, und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">I.</hi> 24</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[369/0383] Sie bringen die hohe Freiheit der Dichtkunſt in die Gebiete der Wirklich- keit, und wollen die Schönheiten dort, auch als Schönheiten hier wieder- finden; — aber die poetiſchen Schmerzen ſind, in die Proſa des Lebens überſetzt, rechte wahre Schmerzen. — Vor der Muſe iſt der Teufel ſchön und die Parze, aber ſie wohnet nur in uns, und der Teufel ſo oft außer uns, und hat dann keine milde Beleuchtung. Leben Sie froh unter einem Volke, das ſie beſſer faſſen werden, als dieſes Sie. Schreiben Sie mir, aber kein Brief wird mir gefallen, als der längſte. — J. P. F. Richter. 2. Berlin, den 9. Jänner 1801. Mit Zuneigung und Freudigkeit hab’ ich Ihren Brief an mich und Ihr vortreffliches Votivgemählde von Paris geleſen, und mit herzlichen Wünſchen für Ihre raſche, kräftige, geflügelte Nutur. Mög’ Ihr Herz nicht verkannt werden, auch nicht von — Ihnen! Mögen die Menſchen, da Sie oft, glaub’ ich, ohne Orthographie handeln ſo wie ſchreiben, dar- über den geiſtigen Werth nicht überſehen! — Aber gerade, wenn die Seele am ſchönſten ſpricht und tönt, wird ſie Andern unſichtbar, wie die Saite verſchwindet, wenn ſie tönt. — Jedes Blättchen, und noch mehr jedes Blatt von Ihnen wird mich erfreuen. Friede und Freude ſei mit Ihnen! Richter. An Varnhagen, in Tübingen. Freitag früh um 10 Uhr, den 18. November 1808. Geſtern Abend habe ich den Sigurd geleſen. — Lange, lange nicht hat mir etwas ſo gefallen! So ſchön kam es mir vor, ſo feſt, ſo eigen, ſo ächt, ſo ſtill erſonnen, friſch mit Ge- ſundheit ausgeführt: ſo wenig Überflüſſiges geſagt darin: zu- ſammenhängend und neu, von einem neuen Menſchen endlich glücklich gefertigt. Indem ich’s las, freut’ ich mich immer ſchon des Lobes, und deiner Freude und Zufriedenheit, welches ich dir aus vollem Herzen ſpenden würde. Seine Runen kamen mir bis in den innerſten Sinn, mit ihren Reden, und I. 24

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/383
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/383>, abgerufen am 23.12.2024.