die erste Geliebte Sigurds, die da nichts traut, und das Ganze; wie ich nur Lady Macbeth und Einmal Juden die lange Nacht habe weinen sehen, so mußt' ich das Buch weg- legen, und Schleusen eröffneten sich innen, laut reden und ächzen mußt' ich dabei. Aufgelöst und geschlossen schien mir ganz klar auch mein Leben; -- es thut mir gut endlich! -- und das Ganze so schön! Du kennst meinen Haß gegen jede andere, als die olympische Mythologie, gegen nordische Sa- gen, Runen u. dgl. und die neue Hoffnung auf die alten Nebelgötter. Alles das that mir nichts: und dein lieber Freund, der liebe Fouque, traf richtig mein doch unbefange- nes Gemüth! --
Berlin, Freitag den 2. December 1808.
-- Alle Tage kommt mir das Erbärmliche erbärmlicher vor: und gar nicht mit Ingrimm, Zorn, oder Wehmuth. Nein, ganz in Zerstreuung verloren, wie über eine Sache, die so ge- wöhnlich ist, daß man sie zeitlebens schon weiß. Meine Lage bringt es auch mit sich; so paradox dies im Augenblick klingt. Meine Einsicht ist so tüchtig, meine Weltkenntniß so gereift, daß diese bestätigenden Entdeckungen meinen Geist nicht be- reichern noch stutzig machen; mein Gemüth kann nur noch von Edlem, Ausgezeichnetem, Geistvollem und Reichem affizirt werden: denn vom Schlechten bin ich im Äußern so sehr her- unter und zurück, als es nur mit mir ging: Neues ist hier nicht möglich; und diese Lage bleibt nun wohl ohne ungeheure Revo- lution -- im Schlechten -- wie sie ist. Gutes! Glück, du kannst mich entzücken und beschäftigen; und Einfluß auf mich haben!
die erſte Geliebte Sigurds, die da nichts traut, und das Ganze; wie ich nur Lady Macbeth und Einmal Juden die lange Nacht habe weinen ſehen, ſo mußt’ ich das Buch weg- legen, und Schleuſen eröffneten ſich innen, laut reden und ächzen mußt’ ich dabei. Aufgelöſt und geſchloſſen ſchien mir ganz klar auch mein Leben; — es thut mir gut endlich! — und das Ganze ſo ſchön! Du kennſt meinen Haß gegen jede andere, als die olympiſche Mythologie, gegen nordiſche Sa- gen, Runen u. dgl. und die neue Hoffnung auf die alten Nebelgötter. Alles das that mir nichts: und dein lieber Freund, der liebe Fouqué, traf richtig mein doch unbefange- nes Gemüth! —
Berlin, Freitag den 2. December 1808.
— Alle Tage kommt mir das Erbärmliche erbärmlicher vor: und gar nicht mit Ingrimm, Zorn, oder Wehmuth. Nein, ganz in Zerſtreuung verloren, wie über eine Sache, die ſo ge- wöhnlich iſt, daß man ſie zeitlebens ſchon weiß. Meine Lage bringt es auch mit ſich; ſo paradox dies im Augenblick klingt. Meine Einſicht iſt ſo tüchtig, meine Weltkenntniß ſo gereift, daß dieſe beſtätigenden Entdeckungen meinen Geiſt nicht be- reichern noch ſtutzig machen; mein Gemüth kann nur noch von Edlem, Ausgezeichnetem, Geiſtvollem und Reichem affizirt werden: denn vom Schlechten bin ich im Äußern ſo ſehr her- unter und zurück, als es nur mit mir ging: Neues iſt hier nicht möglich; und dieſe Lage bleibt nun wohl ohne ungeheure Revo- lution — im Schlechten — wie ſie iſt. Gutes! Glück, du kannſt mich entzücken und beſchäftigen; und Einfluß auf mich haben!
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0384"n="370"/>
die erſte Geliebte Sigurds, die da nichts traut, und das<lb/>
Ganze; wie ich nur Lady Macbeth und Einmal Juden die<lb/>
lange Nacht habe weinen ſehen, ſo mußt’ ich das Buch weg-<lb/>
legen, und Schleuſen eröffneten ſich innen, laut reden und<lb/>
ächzen mußt’ ich dabei. Aufgelöſt und geſchloſſen ſchien mir<lb/>
ganz klar auch mein Leben; — es thut mir gut endlich! —<lb/>
und das Ganze ſo ſchön! Du kennſt meinen Haß gegen jede<lb/>
andere, als die olympiſche Mythologie, gegen nordiſche Sa-<lb/>
gen, Runen u. dgl. und die neue Hoffnung auf die alten<lb/>
Nebelgötter. Alles das that mir nichts: und dein lieber<lb/>
Freund, der liebe Fouqu<hirendition="#aq">é</hi>, traf richtig mein doch unbefange-<lb/>
nes Gemüth! —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Berlin, Freitag den 2. December 1808.</hi></dateline><lb/><p>— Alle Tage kommt mir das Erbärmliche erbärmlicher<lb/>
vor: und gar nicht mit Ingrimm, Zorn, oder Wehmuth. Nein,<lb/>
ganz in Zerſtreuung verloren, wie über eine Sache, die ſo ge-<lb/>
wöhnlich iſt, daß man ſie zeitlebens ſchon weiß. Meine Lage<lb/>
bringt es auch mit ſich; ſo paradox dies im Augenblick klingt.<lb/>
Meine Einſicht iſt ſo tüchtig, meine Weltkenntniß ſo gereift,<lb/>
daß dieſe beſtätigenden Entdeckungen meinen Geiſt nicht be-<lb/>
reichern noch ſtutzig machen; mein Gemüth kann nur noch von<lb/>
Edlem, Ausgezeichnetem, Geiſ<hirendition="#g">tvollem</hi> und <hirendition="#g">Reichem</hi> affizirt<lb/>
werden: denn vom Schlechten bin ich im Äußern ſo ſehr her-<lb/>
unter und zurück, als es nur mit mir ging: Neues iſt hier nicht<lb/>
möglich; und dieſe Lage bleibt nun wohl ohne ungeheure Revo-<lb/>
lution — im Schlechten — wie ſie iſt. Gutes! Glück, du kannſt<lb/>
mich entzücken und beſchäftigen; und Einfluß auf mich haben!<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[370/0384]
die erſte Geliebte Sigurds, die da nichts traut, und das
Ganze; wie ich nur Lady Macbeth und Einmal Juden die
lange Nacht habe weinen ſehen, ſo mußt’ ich das Buch weg-
legen, und Schleuſen eröffneten ſich innen, laut reden und
ächzen mußt’ ich dabei. Aufgelöſt und geſchloſſen ſchien mir
ganz klar auch mein Leben; — es thut mir gut endlich! —
und das Ganze ſo ſchön! Du kennſt meinen Haß gegen jede
andere, als die olympiſche Mythologie, gegen nordiſche Sa-
gen, Runen u. dgl. und die neue Hoffnung auf die alten
Nebelgötter. Alles das that mir nichts: und dein lieber
Freund, der liebe Fouqué, traf richtig mein doch unbefange-
nes Gemüth! —
Berlin, Freitag den 2. December 1808.
— Alle Tage kommt mir das Erbärmliche erbärmlicher
vor: und gar nicht mit Ingrimm, Zorn, oder Wehmuth. Nein,
ganz in Zerſtreuung verloren, wie über eine Sache, die ſo ge-
wöhnlich iſt, daß man ſie zeitlebens ſchon weiß. Meine Lage
bringt es auch mit ſich; ſo paradox dies im Augenblick klingt.
Meine Einſicht iſt ſo tüchtig, meine Weltkenntniß ſo gereift,
daß dieſe beſtätigenden Entdeckungen meinen Geiſt nicht be-
reichern noch ſtutzig machen; mein Gemüth kann nur noch von
Edlem, Ausgezeichnetem, Geiſtvollem und Reichem affizirt
werden: denn vom Schlechten bin ich im Äußern ſo ſehr her-
unter und zurück, als es nur mit mir ging: Neues iſt hier nicht
möglich; und dieſe Lage bleibt nun wohl ohne ungeheure Revo-
lution — im Schlechten — wie ſie iſt. Gutes! Glück, du kannſt
mich entzücken und beſchäftigen; und Einfluß auf mich haben!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/384>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.