nun ist es mir wieder lieb, daß er in Kassel, in einem sich zurecht rückenden Staate, ist! Es geht zwar karg mit ihm her, und man sieht selten sein Gemüth in reichen Bewegun- gen: aber er spricht wohl nur nicht davon; und geht einen andern Weg- (wozu ich die Veranlassung in seiner Seele und eigentlichen Geschichte wohl auffinden möchte;) aber ein- zelne und auch sehr schön ausgedrückte Äußerungen sind mir unumstößliche Beweise, und bürgen mir für die schönsten Re- gungen in ihm. In seinen körperlichen Anlagen ist gewiß das Wesentlichste und die Wurzel von vielem zu suchen; aber dem früh sich entwickelnden Geiste muß doch auch auf die Spur zu kommen sein, und das möchte ich. Wüßt' ich nur mehr von ihm, ich wollte schon! Auch gelesen habe ich nur Schlechteres von ihm, und beinahe nichts.
An Meritz Robert, in Hamburg.
Montag Abend, den 18 December 1808.
Hier hast du einen Brief, den dir die arme alte Frau- schon den Sonnabend geschrieben hat. Als ich deinen Brief bei ihr bekam und auch las, mußt' ich so ungezähmt lachen, daß ich ihr vieles verlas. Sie lachte auch sehr: und ist sehr froh, daß du vergnügt bist; sie hatte mir aufgetragen dir zu sagen, daß sie sich ein Vergnügen draus macht, dir die Hem- den zu verehren; hat es dir aber indessen selbst geschrieben. Ich kann dir versichern, daß ich gar nicht lache, und dein Brief eine Komödie (Kommedje, wie die Juden auf der Gasse sagten) für mich war. Ich dächte, du könntest es den wenigen Wor-
nun iſt es mir wieder lieb, daß er in Kaſſel, in einem ſich zurecht rückenden Staate, iſt! Es geht zwar karg mit ihm her, und man ſieht ſelten ſein Gemüth in reichen Bewegun- gen: aber er ſpricht wohl nur nicht davon; und geht einen andern Weg- (wozu ich die Veranlaſſung in ſeiner Seele und eigentlichen Geſchichte wohl auffinden möchte;) aber ein- zelne und auch ſehr ſchön ausgedrückte Äußerungen ſind mir unumſtößliche Beweiſe, und bürgen mir für die ſchönſten Re- gungen in ihm. In ſeinen körperlichen Anlagen iſt gewiß das Weſentlichſte und die Wurzel von vielem zu ſuchen; aber dem früh ſich entwickelnden Geiſte muß doch auch auf die Spur zu kommen ſein, und das möchte ich. Wüßt’ ich nur mehr von ihm, ich wollte ſchon! Auch geleſen habe ich nur Schlechteres von ihm, und beinahe nichts.
An Meritz Robert, in Hamburg.
Montag Abend, den 18 December 1808.
Hier haſt du einen Brief, den dir die arme alte Frau- ſchon den Sonnabend geſchrieben hat. Als ich deinen Brief bei ihr bekam und auch las, mußt’ ich ſo ungezähmt lachen, daß ich ihr vieles verlas. Sie lachte auch ſehr: und iſt ſehr froh, daß du vergnügt biſt; ſie hatte mir aufgetragen dir zu ſagen, daß ſie ſich ein Vergnügen draus macht, dir die Hem- den zu verehren; hat es dir aber indeſſen ſelbſt geſchrieben. Ich kann dir verſichern, daß ich gar nicht lache, und dein Brief eine Komödie (Kommedje, wie die Juden auf der Gaſſe ſagten) für mich war. Ich dächte, du könnteſt es den wenigen Wor-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0400"n="386"/>
nun iſt es mir wieder lieb, daß er in Kaſſel, in einem ſich<lb/>
zurecht rückenden Staate, iſt! Es geht zwar karg mit ihm<lb/>
her, und man ſieht ſelten ſein Gemüth in reichen Bewegun-<lb/>
gen: aber er ſpricht wohl nur nicht davon; und geht einen<lb/>
andern Weg- (wozu ich die Veranlaſſung in ſeiner Seele und<lb/><hirendition="#g">eigentlichen</hi> Geſchichte wohl auffinden möchte;) aber ein-<lb/>
zelne und auch ſehr ſchön ausgedrückte Äußerungen ſind mir<lb/>
unumſtößliche Beweiſe, und bürgen mir für die ſchönſten Re-<lb/>
gungen in ihm. In ſeinen körperlichen Anlagen iſt gewiß<lb/>
das Weſentlichſte und die Wurzel von vielem zu ſuchen; aber<lb/>
dem früh ſich entwickelnden Geiſte muß doch auch auf die<lb/>
Spur zu kommen ſein, und das möchte ich. Wüßt’ ich nur<lb/>
mehr von ihm, ich wollte ſchon! Auch geleſen habe ich nur<lb/>
Schlechteres von ihm, und beinahe nichts.</p></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An Meritz Robert, in Hamburg.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Montag Abend, den 18 December 1808.</hi></dateline><lb/><p>Hier haſt du einen Brief, den dir die arme alte Frau-<lb/>ſchon den Sonnabend geſchrieben hat. Als ich deinen Brief<lb/>
bei ihr bekam und auch las, mußt’ ich ſo ungezähmt lachen,<lb/>
daß ich ihr vieles verlas. Sie lachte auch ſehr: und iſt ſehr<lb/>
froh, daß du vergnügt biſt; ſie hatte mir aufgetragen dir zu<lb/>ſagen, daß ſie ſich ein Vergnügen draus macht, dir die Hem-<lb/>
den zu verehren; hat es dir aber indeſſen ſelbſt geſchrieben.<lb/>
Ich kann dir verſichern, daß ich gar nicht lache, und dein Brief<lb/>
eine Komödie (Kommedje, wie die Juden auf der Gaſſe ſagten)<lb/>
für mich war. Ich dächte, du könnteſt es den wenigen Wor-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[386/0400]
nun iſt es mir wieder lieb, daß er in Kaſſel, in einem ſich
zurecht rückenden Staate, iſt! Es geht zwar karg mit ihm
her, und man ſieht ſelten ſein Gemüth in reichen Bewegun-
gen: aber er ſpricht wohl nur nicht davon; und geht einen
andern Weg- (wozu ich die Veranlaſſung in ſeiner Seele und
eigentlichen Geſchichte wohl auffinden möchte;) aber ein-
zelne und auch ſehr ſchön ausgedrückte Äußerungen ſind mir
unumſtößliche Beweiſe, und bürgen mir für die ſchönſten Re-
gungen in ihm. In ſeinen körperlichen Anlagen iſt gewiß
das Weſentlichſte und die Wurzel von vielem zu ſuchen; aber
dem früh ſich entwickelnden Geiſte muß doch auch auf die
Spur zu kommen ſein, und das möchte ich. Wüßt’ ich nur
mehr von ihm, ich wollte ſchon! Auch geleſen habe ich nur
Schlechteres von ihm, und beinahe nichts.
An Meritz Robert, in Hamburg.
Montag Abend, den 18 December 1808.
Hier haſt du einen Brief, den dir die arme alte Frau-
ſchon den Sonnabend geſchrieben hat. Als ich deinen Brief
bei ihr bekam und auch las, mußt’ ich ſo ungezähmt lachen,
daß ich ihr vieles verlas. Sie lachte auch ſehr: und iſt ſehr
froh, daß du vergnügt biſt; ſie hatte mir aufgetragen dir zu
ſagen, daß ſie ſich ein Vergnügen draus macht, dir die Hem-
den zu verehren; hat es dir aber indeſſen ſelbſt geſchrieben.
Ich kann dir verſichern, daß ich gar nicht lache, und dein Brief
eine Komödie (Kommedje, wie die Juden auf der Gaſſe ſagten)
für mich war. Ich dächte, du könnteſt es den wenigen Wor-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/400>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.