ist eine einzige Pflanze in ihrer Art, von der kein Geschlecht existirt: es ist die Dürftigkeit in Blüthe. Die Natur konnte die auch nur Einmal hervorbringen. Es ist ganz richtig. --
An Frau von F., in Töplitz.
Donnerstag, den 6. September 1810.
Ich muß Ihnen, Liebe, sehr in Hast antworten auf einige, und auf einen dicken Brief, den ich heute durch Mlle Cramer von Ihnen erhielt. Beruhigen Sie sich. Ein Gewissen ist so etwas Intimes, daß nichts anderes, als es selbst, mitsprechen kann, wo von ihm die Rede ist. Geschehene Dinge zu ändern liegt außer der Sphäre menschlichen Vermögens! Ich verzeihe Ihnen willigst, so oft ich den "Schmerz der Liebe" vergesse. Das ist unsere größere Lebenszeit; aber auch ich kann ein fait nicht ändern; höchstens die Handlungen nicht begehen, die mir meine Gefühle darüber diktirten, und das will ich, und thue es. Sie sagen aber selbst, Sie mußten Ihrem Herzen Luft machen; wodurch, Liebe? -- wenn Sie mich in der Baronin nicht schilderten; und thaten Sie es, so bin ich doch getrof- fen! Verwirren Sie sich in Ihrer Reue nicht: sondern, vergessen Sie einen Flecken! und suchen Sie in Ihrem eigenen Herzen über mich, und was ich Ihnen sein kann, einig zu werden, das allein wird Ihnen heilsam sein, und kann Ihnen Ruhe hierüber geben. Durch strenge Selbstsichtung kann man sie überall nur erlangen. Drum unterstehe ich mich, Ihnen diesen Rath zu geben. Ich bin mit mir über meine Men- schen im Reinen; und alle meine Arbeit geht nur dahin, dies
iſt eine einzige Pflanze in ihrer Art, von der kein Geſchlecht exiſtirt: es iſt die Dürftigkeit in Blüthe. Die Natur konnte die auch nur Einmal hervorbringen. Es iſt ganz richtig. —
An Frau von F., in Töplitz.
Donnerstag, den 6. September 1810.
Ich muß Ihnen, Liebe, ſehr in Haſt antworten auf einige, und auf einen dicken Brief, den ich heute durch Mlle Cramer von Ihnen erhielt. Beruhigen Sie ſich. Ein Gewiſſen iſt ſo etwas Intimes, daß nichts anderes, als es ſelbſt, mitſprechen kann, wo von ihm die Rede iſt. Geſchehene Dinge zu ändern liegt außer der Sphäre menſchlichen Vermögens! Ich verzeihe Ihnen willigſt, ſo oft ich den „Schmerz der Liebe“ vergeſſe. Das iſt unſere größere Lebenszeit; aber auch ich kann ein fait nicht ändern; höchſtens die Handlungen nicht begehen, die mir meine Gefühle darüber diktirten, und das will ich, und thue es. Sie ſagen aber ſelbſt, Sie mußten Ihrem Herzen Luft machen; wodurch, Liebe? — wenn Sie mich in der Baronin nicht ſchilderten; und thaten Sie es, ſo bin ich doch getrof- fen! Verwirren Sie ſich in Ihrer Reue nicht: ſondern, vergeſſen Sie einen Flecken! und ſuchen Sie in Ihrem eigenen Herzen über mich, und was ich Ihnen ſein kann, einig zu werden, das allein wird Ihnen heilſam ſein, und kann Ihnen Ruhe hierüber geben. Durch ſtrenge Selbſtſichtung kann man ſie überall nur erlangen. Drum unterſtehe ich mich, Ihnen dieſen Rath zu geben. Ich bin mit mir über meine Men- ſchen im Reinen; und alle meine Arbeit geht nur dahin, dies
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iſt eine einzige Pflanze in ihrer Art, von der kein Geſchlecht
exiſtirt: es iſt die Dürftigkeit in Blüthe. Die Natur konnte
die auch nur Einmal hervorbringen. Es iſt ganz richtig. —
An Frau von F., in Töplitz.
Donnerstag, den 6. September 1810.
Ich muß Ihnen, Liebe, ſehr in Haſt antworten auf einige,
und auf einen dicken Brief, den ich heute durch Mlle Cramer
von Ihnen erhielt. Beruhigen Sie ſich. Ein Gewiſſen iſt ſo
etwas Intimes, daß nichts anderes, als es ſelbſt, mitſprechen
kann, wo von ihm die Rede iſt. Geſchehene Dinge zu ändern
liegt außer der Sphäre menſchlichen Vermögens! Ich verzeihe
Ihnen willigſt, ſo oft ich den „Schmerz der Liebe“ vergeſſe.
Das iſt unſere größere Lebenszeit; aber auch ich kann ein fait
nicht ändern; höchſtens die Handlungen nicht begehen, die mir
meine Gefühle darüber diktirten, und das will ich, und thue
es. Sie ſagen aber ſelbſt, Sie mußten Ihrem Herzen Luft
machen; wodurch, Liebe? — wenn Sie mich in der Baronin
nicht ſchilderten; und thaten Sie es, ſo bin ich doch getrof-
fen! Verwirren Sie ſich in Ihrer Reue nicht: ſondern,
vergeſſen Sie einen Flecken! und ſuchen Sie in Ihrem eigenen
Herzen über mich, und was ich Ihnen ſein kann, einig zu
werden, das allein wird Ihnen heilſam ſein, und kann Ihnen
Ruhe hierüber geben. Durch ſtrenge Selbſtſichtung kann man
ſie überall nur erlangen. Drum unterſtehe ich mich, Ihnen
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/492>, abgerufen am 23.12.2024.
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