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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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"träumte mir einmal, ich sähe den lieben Gott ganz nahe, er
hatte sich über mir ausgebreitet, und sein Mantel war der
ganze Himmel; auf einer Ecke dieses Mantels durfte ich ruhen,
und lag in beglücktem Frieden zum Entschlummern da. Seit-
dem kehrte mir dieser Traum durch mein ganzes Leben immer
wieder, und in den schlimmsten Zeiten war mir dieselbe Vor-
stellung auch im Wachen gegenwärtig, und ein himmlischer
Trost: ich durfte mich zu den Füßen Gottes auf eine Ecke
seines Mantels legen, und da jeder Sorge frei werden; er
erlaubte es." Wie oft noch in der Folge hörte ich sie dann
mit dem ihr ganz eigenen, rührenden Stimmenlaute bei und
nach den angstvollsten Leiden vertrauend sagen: "Ich lege
mich auf Gottes Mantel, er erlaubt es. Wenn ich auch leide,
ich bin doch glücklich, Gott ist ja bei mir, ich bin in seiner
Hand, und er weiß alles am besten, was mir gut ist, und
warum es so sein muß!" Die erhabensten Gedanken und
die lieblichsten Kindervorstellungen waren ihr von jeher in
gleichem Maße angehörig und mit einander verknüpft.

Auch in Betreff naher und ferner Personen zeigten Rahels
Äußerungen eine erhöhte Innigkeit, jedes liebreiche und herz-
liche Verhältniß wurde ihr angelegener, jedes herbe und widrige
entrückter oder milder. Versöhnung lag in ihr zu allen Zeiten
schon immer für alles Geschehene bereit, ihr guter Wille war
schon begnügt, wenn nur der Andre sein Unrecht zu vergessen
schien; jetzt wollte sie für alles und jedes wechselseitige Ver-
zeihung ausgesprochen wissen. Bestätigt und gesegnet aber
sollte ihr jedes Wahre und Gute sein, und sie verhehlte es
nicht, daß jedes ächte Gebild ihres Lebens, jede wahre und

„träumte mir einmal, ich ſähe den lieben Gott ganz nahe, er
hatte ſich über mir ausgebreitet, und ſein Mantel war der
ganze Himmel; auf einer Ecke dieſes Mantels durfte ich ruhen,
und lag in beglücktem Frieden zum Entſchlummern da. Seit-
dem kehrte mir dieſer Traum durch mein ganzes Leben immer
wieder, und in den ſchlimmſten Zeiten war mir dieſelbe Vor-
ſtellung auch im Wachen gegenwärtig, und ein himmliſcher
Troſt: ich durfte mich zu den Füßen Gottes auf eine Ecke
ſeines Mantels legen, und da jeder Sorge frei werden; er
erlaubte es.“ Wie oft noch in der Folge hörte ich ſie dann
mit dem ihr ganz eigenen, rührenden Stimmenlaute bei und
nach den angſtvollſten Leiden vertrauend ſagen: „Ich lege
mich auf Gottes Mantel, er erlaubt es. Wenn ich auch leide,
ich bin doch glücklich, Gott iſt ja bei mir, ich bin in ſeiner
Hand, und er weiß alles am beſten, was mir gut iſt, und
warum es ſo ſein muß!“ Die erhabenſten Gedanken und
die lieblichſten Kindervorſtellungen waren ihr von jeher in
gleichem Maße angehörig und mit einander verknüpft.

Auch in Betreff naher und ferner Perſonen zeigten Rahels
Äußerungen eine erhöhte Innigkeit, jedes liebreiche und herz-
liche Verhältniß wurde ihr angelegener, jedes herbe und widrige
entrückter oder milder. Verſöhnung lag in ihr zu allen Zeiten
ſchon immer für alles Geſchehene bereit, ihr guter Wille war
ſchon begnügt, wenn nur der Andre ſein Unrecht zu vergeſſen
ſchien; jetzt wollte ſie für alles und jedes wechſelſeitige Ver-
zeihung ausgeſprochen wiſſen. Beſtätigt und geſegnet aber
ſollte ihr jedes Wahre und Gute ſein, und ſie verhehlte es
nicht, daß jedes ächte Gebild ihres Lebens, jede wahre und

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[37/0051] „träumte mir einmal, ich ſähe den lieben Gott ganz nahe, er hatte ſich über mir ausgebreitet, und ſein Mantel war der ganze Himmel; auf einer Ecke dieſes Mantels durfte ich ruhen, und lag in beglücktem Frieden zum Entſchlummern da. Seit- dem kehrte mir dieſer Traum durch mein ganzes Leben immer wieder, und in den ſchlimmſten Zeiten war mir dieſelbe Vor- ſtellung auch im Wachen gegenwärtig, und ein himmliſcher Troſt: ich durfte mich zu den Füßen Gottes auf eine Ecke ſeines Mantels legen, und da jeder Sorge frei werden; er erlaubte es.“ Wie oft noch in der Folge hörte ich ſie dann mit dem ihr ganz eigenen, rührenden Stimmenlaute bei und nach den angſtvollſten Leiden vertrauend ſagen: „Ich lege mich auf Gottes Mantel, er erlaubt es. Wenn ich auch leide, ich bin doch glücklich, Gott iſt ja bei mir, ich bin in ſeiner Hand, und er weiß alles am beſten, was mir gut iſt, und warum es ſo ſein muß!“ Die erhabenſten Gedanken und die lieblichſten Kindervorſtellungen waren ihr von jeher in gleichem Maße angehörig und mit einander verknüpft. Auch in Betreff naher und ferner Perſonen zeigten Rahels Äußerungen eine erhöhte Innigkeit, jedes liebreiche und herz- liche Verhältniß wurde ihr angelegener, jedes herbe und widrige entrückter oder milder. Verſöhnung lag in ihr zu allen Zeiten ſchon immer für alles Geſchehene bereit, ihr guter Wille war ſchon begnügt, wenn nur der Andre ſein Unrecht zu vergeſſen ſchien; jetzt wollte ſie für alles und jedes wechſelſeitige Ver- zeihung ausgeſprochen wiſſen. Beſtätigt und geſegnet aber ſollte ihr jedes Wahre und Gute ſein, und ſie verhehlte es nicht, daß jedes ächte Gebild ihres Lebens, jede wahre und

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/51>, abgerufen am 22.12.2024.