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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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mir schildern. Auf Reisen gehen, die Freunde finden, Schö-
nes mit ihnen vollbringen; und mit einemmale, eine zerbrochne
bürgerliche, eine krankhafte Existenz hinter sich lassen. Thun
Sie das, sag' ich Ihnen nach dieser Ansicht: und bald. Denn
hiebei giebt's kein Warten, wie bei Kammerdienste nehmen.
Nun stellen Sie sich einmal einen Augenblick vor, wie Ihnen
mitten, und zwischen den österreichischen Schlachten war, wie
hohl, wie leer, wie elend; wie alles sich in kleinen Mühselig-
keiten, Strapatzen und Unsinnigkeiten zerspaltete. Wie fremd,
und allein, Sie sich trotz der Freunde, unter den näher ver-
wandten Sprachgenossen fühlen mußten; bloß weil ein Gesetz,
eine Sitte, eine Ambition, uns doch mit ihnen nicht verbindet.
Nationales schaffen Jahrhunderte, und der beste Wille, des
besten Einzelnen kann es nur gründen, nicht schaffen. Dies
bedenken Sie! Wie wird es unter den zwei schon unter sich
verschiedenen Völkern sein [Engländern und Spaniern]; wo-
von das eine so sehr zur Nation gezimmert ist, daß es
glatt und fertig nichts Fremdes mehr aufnimmt? Ein ande-
res ist es, wenn der dringende Augenblick Nation mit Nation
aufregt, wie Sturm verschiedene Erden; dann ist solch Auf-
stehen natürlich, und gemächlich in seiner Noth. Ein Einzel-
ner reißt sich immer nur los, und fühlt, in oft wiederholten
Momenten dies Gerissene und dies Alleinsein. Wären Sie
Einmal auf der Insel dort, oder in jenem Lande! -- auch
dann ist ein Mitgehen oft natürlich; man hilft angegriffenen
Fremden, wo man als Gast Freund geworden ist; und er-
zählt nachher den Hausgenossen daheim, wie dem schlechten
Streich begegnet werden mußte, und was einen aufgehalten

I. 33

mir ſchildern. Auf Reiſen gehen, die Freunde finden, Schö-
nes mit ihnen vollbringen; und mit einemmale, eine zerbrochne
bürgerliche, eine krankhafte Exiſtenz hinter ſich laſſen. Thun
Sie das, ſag’ ich Ihnen nach dieſer Anſicht: und bald. Denn
hiebei giebt’s kein Warten, wie bei Kammerdienſte nehmen.
Nun ſtellen Sie ſich einmal einen Augenblick vor, wie Ihnen
mitten, und zwiſchen den öſterreichiſchen Schlachten war, wie
hohl, wie leer, wie elend; wie alles ſich in kleinen Mühſelig-
keiten, Strapatzen und Unſinnigkeiten zerſpaltete. Wie fremd,
und allein, Sie ſich trotz der Freunde, unter den näher ver-
wandten Sprachgenoſſen fühlen mußten; bloß weil ein Geſetz,
eine Sitte, eine Ambition, uns doch mit ihnen nicht verbindet.
Nationales ſchaffen Jahrhunderte, und der beſte Wille, des
beſten Einzelnen kann es nur gründen, nicht ſchaffen. Dies
bedenken Sie! Wie wird es unter den zwei ſchon unter ſich
verſchiedenen Völkern ſein [Engländern und Spaniern]; wo-
von das eine ſo ſehr zur Nation gezimmert iſt, daß es
glatt und fertig nichts Fremdes mehr aufnimmt? Ein ande-
res iſt es, wenn der dringende Augenblick Nation mit Nation
aufregt, wie Sturm verſchiedene Erden; dann iſt ſolch Auf-
ſtehen natürlich, und gemächlich in ſeiner Noth. Ein Einzel-
ner reißt ſich immer nur los, und fühlt, in oft wiederholten
Momenten dies Geriſſene und dies Alleinſein. Wären Sie
Einmal auf der Inſel dort, oder in jenem Lande! — auch
dann iſt ein Mitgehen oft natürlich; man hilft angegriffenen
Fremden, wo man als Gaſt Freund geworden iſt; und er-
zählt nachher den Hausgenoſſen daheim, wie dem ſchlechten
Streich begegnet werden mußte, und was einen aufgehalten

I. 33
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[513/0527] mir ſchildern. Auf Reiſen gehen, die Freunde finden, Schö- nes mit ihnen vollbringen; und mit einemmale, eine zerbrochne bürgerliche, eine krankhafte Exiſtenz hinter ſich laſſen. Thun Sie das, ſag’ ich Ihnen nach dieſer Anſicht: und bald. Denn hiebei giebt’s kein Warten, wie bei Kammerdienſte nehmen. Nun ſtellen Sie ſich einmal einen Augenblick vor, wie Ihnen mitten, und zwiſchen den öſterreichiſchen Schlachten war, wie hohl, wie leer, wie elend; wie alles ſich in kleinen Mühſelig- keiten, Strapatzen und Unſinnigkeiten zerſpaltete. Wie fremd, und allein, Sie ſich trotz der Freunde, unter den näher ver- wandten Sprachgenoſſen fühlen mußten; bloß weil ein Geſetz, eine Sitte, eine Ambition, uns doch mit ihnen nicht verbindet. Nationales ſchaffen Jahrhunderte, und der beſte Wille, des beſten Einzelnen kann es nur gründen, nicht ſchaffen. Dies bedenken Sie! Wie wird es unter den zwei ſchon unter ſich verſchiedenen Völkern ſein [Engländern und Spaniern]; wo- von das eine ſo ſehr zur Nation gezimmert iſt, daß es glatt und fertig nichts Fremdes mehr aufnimmt? Ein ande- res iſt es, wenn der dringende Augenblick Nation mit Nation aufregt, wie Sturm verſchiedene Erden; dann iſt ſolch Auf- ſtehen natürlich, und gemächlich in ſeiner Noth. Ein Einzel- ner reißt ſich immer nur los, und fühlt, in oft wiederholten Momenten dies Geriſſene und dies Alleinſein. Wären Sie Einmal auf der Inſel dort, oder in jenem Lande! — auch dann iſt ein Mitgehen oft natürlich; man hilft angegriffenen Fremden, wo man als Gaſt Freund geworden iſt; und er- zählt nachher den Hausgenoſſen daheim, wie dem ſchlechten Streich begegnet werden mußte, und was einen aufgehalten I. 33

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 513. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/527>, abgerufen am 28.06.2024.