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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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hatte. Es ist hart, in einem stagnirenden kranken Lande mit
zu siechen: es ist hart, die kranken Freunde der pesthaften
Noth zu überlassen; und dereinst zu erfahren, oder nie, wer
blieb, was blieb, wer sank! Unmöglich kann und werde ich
Ihnen sagen, siechen Sie mit. Es giebt edle Gemüther, die
lieber sterben, rüstige, die den gesunden Bluttodt lieber suchen.
So sank Louis. Und sind Wissenschaften denn wirklich nichts
für Sie; so müssen Sie hinziehen wie er. Zwei Dinge er-
wägen Sie noch. Kann es Ihre Gesundheit? vermag sie es?
Und werden Sie nicht einsam ohne Krieg und Bewegung in
den fremden Ländern liegen bleiben? Dies müssen Sie, und
der Arzt, und die ersten zwei Monate -- die ersten zwei Mo-
nate dort -- bestimmen: und -- sollen wahrlich die Bessern
uns verlassen, und wie in einem Naturaufruhr, das Unterste
nach langem Pressen, Stillstand, und unsichtbarer Gährung
zu oben kommen, und das Ungefähr entscheiden, ob dies sich
bilden kann? Aber alles in diesem Brief hier Erwogene muß
nicht erwogen werden; und allein diese, allein wichtige Frage
gefragt werden: können Sie es aushalten, hier zu bleiben,
oder nicht? Müssen Sie sich selbst noch Beweise von Thätig-
keit geben; schämen Sie sich zu sehr, wie ein Alter, oder wie
ein Weib, oder wie ein Kind, oder "ein Pflastertreter", wie
Sie sich einmal ausdrückten, hier herum zu warten; können
Sie sich wartend nicht achten, und nicht achten lassen: so müs-
sen Sie dahin, je eher je lieber. So ist es ein Duell: und
mehr nicht: aber das ist in seinem Augenblick auch sehr
viel. Denn man kann nicht weiter leben. Und ich rathe es
Ihnen aus tiefster innerster Seele, aus dem Herzen voll von

hatte. Es iſt hart, in einem ſtagnirenden kranken Lande mit
zu ſiechen: es iſt hart, die kranken Freunde der peſthaften
Noth zu überlaſſen; und dereinſt zu erfahren, oder nie, wer
blieb, was blieb, wer ſank! Unmöglich kann und werde ich
Ihnen ſagen, ſiechen Sie mit. Es giebt edle Gemüther, die
lieber ſterben, rüſtige, die den geſunden Bluttodt lieber ſuchen.
So ſank Louis. Und ſind Wiſſenſchaften denn wirklich nichts
für Sie; ſo müſſen Sie hinziehen wie er. Zwei Dinge er-
wägen Sie noch. Kann es Ihre Geſundheit? vermag ſie es?
Und werden Sie nicht einſam ohne Krieg und Bewegung in
den fremden Ländern liegen bleiben? Dies müſſen Sie, und
der Arzt, und die erſten zwei Monate — die erſten zwei Mo-
nate dort — beſtimmen: und — ſollen wahrlich die Beſſern
uns verlaſſen, und wie in einem Naturaufruhr, das Unterſte
nach langem Preſſen, Stillſtand, und unſichtbarer Gährung
zu oben kommen, und das Ungefähr entſcheiden, ob dies ſich
bilden kann? Aber alles in dieſem Brief hier Erwogene muß
nicht erwogen werden; und allein dieſe, allein wichtige Frage
gefragt werden: können Sie es aushalten, hier zu bleiben,
oder nicht? Müſſen Sie ſich ſelbſt noch Beweiſe von Thätig-
keit geben; ſchämen Sie ſich zu ſehr, wie ein Alter, oder wie
ein Weib, oder wie ein Kind, oder „ein Pflaſtertreter“, wie
Sie ſich einmal ausdrückten, hier herum zu warten; können
Sie ſich wartend nicht achten, und nicht achten laſſen: ſo müſ-
ſen Sie dahin, je eher je lieber. So iſt es ein Duell: und
mehr nicht: aber das iſt in ſeinem Augenblick auch ſehr
viel. Denn man kann nicht weiter leben. Und ich rathe es
Ihnen aus tiefſter innerſter Seele, aus dem Herzen voll von

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[514/0528] hatte. Es iſt hart, in einem ſtagnirenden kranken Lande mit zu ſiechen: es iſt hart, die kranken Freunde der peſthaften Noth zu überlaſſen; und dereinſt zu erfahren, oder nie, wer blieb, was blieb, wer ſank! Unmöglich kann und werde ich Ihnen ſagen, ſiechen Sie mit. Es giebt edle Gemüther, die lieber ſterben, rüſtige, die den geſunden Bluttodt lieber ſuchen. So ſank Louis. Und ſind Wiſſenſchaften denn wirklich nichts für Sie; ſo müſſen Sie hinziehen wie er. Zwei Dinge er- wägen Sie noch. Kann es Ihre Geſundheit? vermag ſie es? Und werden Sie nicht einſam ohne Krieg und Bewegung in den fremden Ländern liegen bleiben? Dies müſſen Sie, und der Arzt, und die erſten zwei Monate — die erſten zwei Mo- nate dort — beſtimmen: und — ſollen wahrlich die Beſſern uns verlaſſen, und wie in einem Naturaufruhr, das Unterſte nach langem Preſſen, Stillſtand, und unſichtbarer Gährung zu oben kommen, und das Ungefähr entſcheiden, ob dies ſich bilden kann? Aber alles in dieſem Brief hier Erwogene muß nicht erwogen werden; und allein dieſe, allein wichtige Frage gefragt werden: können Sie es aushalten, hier zu bleiben, oder nicht? Müſſen Sie ſich ſelbſt noch Beweiſe von Thätig- keit geben; ſchämen Sie ſich zu ſehr, wie ein Alter, oder wie ein Weib, oder wie ein Kind, oder „ein Pflaſtertreter“, wie Sie ſich einmal ausdrückten, hier herum zu warten; können Sie ſich wartend nicht achten, und nicht achten laſſen: ſo müſ- ſen Sie dahin, je eher je lieber. So iſt es ein Duell: und mehr nicht: aber das iſt in ſeinem Augenblick auch ſehr viel. Denn man kann nicht weiter leben. Und ich rathe es Ihnen aus tiefſter innerſter Seele, aus dem Herzen voll von

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/528>, abgerufen am 23.12.2024.