Liebe, wie ich es mir selbst rathen würde. Sie müssen nicht elend leben. Hier ist der Platz, wo ich Ihnen Paulinens letz- ten Brief schicken muß. So ist es wenn Einer todt ist. Keine Kunde von ihm. Kein Laut: zu ihm, von ihm. Pauline hatte acht Tage ein Messer in ihrem Bette nach Louis Tod; und sie hat mir geschworen, und so daß ich's glaube, sie hätte sich erstochen, wenn sie hätte nur ein Zeichen kriegen können, daß es Louis weiß: aber so in der ewigen Stummheit, ewi- gen, vielleicht doppelten Getrenntheit! -- Mit seinen Briefen sitzt man dann, wenn Einer todt ist; nichts, nichts ist mehr; kein Zeichen des wühlendsten empörendsten Schmerzes, der all- gewaltigsten Liebe dringt mehr, durch keine Möglichkeit zu ihm. Aber alles müssen Sie thun, ehe Sie elend leben. Sie können ja auch Glück haben, leben bleiben; und vieles heilen in der Welt. Gehen Sie; sagt übernatürlich ruhig mein tief- ster Geist; ich mag mich untersuchen wie ich will. In meiner ganzen Liebe zu Ihnen sehe ich, ich mag's machen wie ich will, nur Sie: gewaltig lenken Sie von allem Eigennutz, von aller Beschauung und Befühlung meiner eignen Gefühle, meine ganze Seele auf Ihr Sein. Sie fühle ich. Wie Ihnen sein muß, immer. Gehen Sie; und wenn Sie todt sein werden; das Ärgste; so wissen Sie jetzt, werde ich denken: "Leben, so leben, elend leben, das konnte er nicht." Und kann sich jetzt in Ihnen und um Sie nichts ändern, so werd' ich nachher nicht denken: es hätte geschehen können. Dies sei Ihr Trost über mich: dies wird meiner sein. Ein herrliches Zusammen- leben giebt es doch nicht! Wäre ich Ihr Freund, so wie ich eine durchaus Elende bin, so verließ ich Sie jetzt nicht. Nun,
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Liebe, wie ich es mir ſelbſt rathen würde. Sie müſſen nicht elend leben. Hier iſt der Platz, wo ich Ihnen Paulinens letz- ten Brief ſchicken muß. So iſt es wenn Einer todt iſt. Keine Kunde von ihm. Kein Laut: zu ihm, von ihm. Pauline hatte acht Tage ein Meſſer in ihrem Bette nach Louis Tod; und ſie hat mir geſchworen, und ſo daß ich’s glaube, ſie hätte ſich erſtochen, wenn ſie hätte nur ein Zeichen kriegen können, daß es Louis weiß: aber ſo in der ewigen Stummheit, ewi- gen, vielleicht doppelten Getrenntheit! — Mit ſeinen Briefen ſitzt man dann, wenn Einer todt iſt; nichts, nichts iſt mehr; kein Zeichen des wühlendſten empörendſten Schmerzes, der all- gewaltigſten Liebe dringt mehr, durch keine Möglichkeit zu ihm. Aber alles müſſen Sie thun, ehe Sie elend leben. Sie können ja auch Glück haben, leben bleiben; und vieles heilen in der Welt. Gehen Sie; ſagt übernatürlich ruhig mein tief- ſter Geiſt; ich mag mich unterſuchen wie ich will. In meiner ganzen Liebe zu Ihnen ſehe ich, ich mag’s machen wie ich will, nur Sie: gewaltig lenken Sie von allem Eigennutz, von aller Beſchauung und Befühlung meiner eignen Gefühle, meine ganze Seele auf Ihr Sein. Sie fühle ich. Wie Ihnen ſein muß, immer. Gehen Sie; und wenn Sie todt ſein werden; das Ärgſte; ſo wiſſen Sie jetzt, werde ich denken: „Leben, ſo leben, elend leben, das konnte er nicht.“ Und kann ſich jetzt in Ihnen und um Sie nichts ändern, ſo werd’ ich nachher nicht denken: es hätte geſchehen können. Dies ſei Ihr Troſt über mich: dies wird meiner ſein. Ein herrliches Zuſammen- leben giebt es doch nicht! Wäre ich Ihr Freund, ſo wie ich eine durchaus Elende bin, ſo verließ ich Sie jetzt nicht. Nun,
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Liebe, wie ich es mir ſelbſt rathen würde. Sie müſſen nicht
elend leben. Hier iſt der Platz, wo ich Ihnen Paulinens letz-
ten Brief ſchicken muß. So iſt es wenn Einer todt iſt. Keine
Kunde von ihm. Kein Laut: zu ihm, von ihm. Pauline
hatte acht Tage ein Meſſer in ihrem Bette nach Louis Tod;
und ſie hat mir geſchworen, und ſo daß ich’s glaube, ſie hätte
ſich erſtochen, wenn ſie hätte nur ein Zeichen kriegen können,
daß es Louis weiß: aber ſo in der ewigen Stummheit, ewi-
gen, vielleicht doppelten Getrenntheit! — Mit ſeinen Briefen
ſitzt man dann, wenn Einer todt iſt; nichts, nichts iſt mehr;
kein Zeichen des wühlendſten empörendſten Schmerzes, der all-
gewaltigſten Liebe dringt mehr, durch keine Möglichkeit zu
ihm. Aber alles müſſen Sie thun, ehe Sie elend leben. Sie
können ja auch Glück haben, leben bleiben; und vieles heilen
in der Welt. Gehen Sie; ſagt übernatürlich ruhig mein tief-
ſter Geiſt; ich mag mich unterſuchen wie ich will. In meiner
ganzen Liebe zu Ihnen ſehe ich, ich mag’s machen wie ich
will, nur Sie: gewaltig lenken Sie von allem Eigennutz, von
aller Beſchauung und Befühlung meiner eignen Gefühle, meine
ganze Seele auf Ihr Sein. Sie fühle ich. Wie Ihnen ſein
muß, immer. Gehen Sie; und wenn Sie todt ſein werden;
das Ärgſte; ſo wiſſen Sie jetzt, werde ich denken: „Leben, ſo
leben, elend leben, das konnte er nicht.“ Und kann ſich jetzt
in Ihnen und um Sie nichts ändern, ſo werd’ ich nachher
nicht denken: es hätte geſchehen können. Dies ſei Ihr Troſt
über mich: dies wird meiner ſein. Ein herrliches Zuſammen-
leben giebt es doch nicht! Wäre ich Ihr Freund, ſo wie ich
eine durchaus Elende bin, ſo verließ ich Sie jetzt nicht. Nun,
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/529>, abgerufen am 23.12.2024.
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