augenblicklichen, doch zu ernst und oft ermüdeten Unmuths! Schreiben Sie mir, wenn ich Vergnügen haben soll. Und alles was Sie betrifft. Ich mache zwei Nachtlager bis Dres- den, bin den dritten Tag dort, und bleibe höchstens drei Tage, dann über den Geiersberg.
Rahel.
Anmerk. Marwitz antwortete noch hierauf:
Sonntag, den 9. Juni 1811.
O Verzeihung, meine theure Freundin, daß dieses Blatt Sie so lange hat warten lassen. Das einliegende war vor acht Tagen geschrieben, und sollte fort in dem Augenblick, da ich Ihren gen altigen Brief erhielt. Wie sinnlos, wenn ich jene Kleinigkeiten Ihnen gesandt, und auf die große lebenentscheidende Frage nicht grantwortet hatte. An jenem Tage selbst war nicht mehr Zeit dazu, an den sorgenden fühlte ich mich zu unwürdig. Wie Gentz muß ich sagen: was soll ich mein armes Wort gegen die don- nernde Musik Ihres Innern austauschen? So blieb ich stumm, bei vie- len innern Vorwürfen. Mit mir wird es besser. Zwar will mir das Herz noch zuweilen erkranken, aber ich gebiete ihm Rube. Wille und Thatigkeit bändigen es. Sie gehen nun, liebe Rahel. O seien Sie ja glücklich, machen Sie sich meinetwegen keinen Kummer. Untergehen kann ich, aber mir zum Ekel, Andern zur Last leben, oder auf eine un- auständige, gemeingrausame Art endigen, das kann ich nicht, und das ist doch noch sehr glücklich. Ich habe in dieser Zeit zuweilen an den Selbstmord gedacht, und immer ist es mir vorgekommen, wie eine ver- ruchte Rohheit, das heilige Gefaß so blutig, so überlegt zu zerstören. Auch die kann unvermeidlich werden durch Übermaß der Neth, das fühle ich wohl. Wunderlicher Zustand. Indem ich dies schreibe, wird es mir klar, wie bei jeder nicht gemeinen Natur der Körper nach muß, so wie es bloß ein Glück dieser Zeiten ist, daß andre äußerlich anständigere Wege offen stehn, die einen ablenken von dem gewöhnlichen grausamen. -- Die Bader thun mir sehr wohl. Sie erinnern sich der Mauer zwischen mir und der Natur, die mich an dem übrigens göttlichen Abend beim Hof- jäger ängstete. Die ist zerstört, meine Nerven sind rein und empfänglich gestimmt, und die Kämpfe gegen die "Herzens-morgue" werden seltner. Ich verstehe die Dichter Mirabeau, Goethe, Winckelmann, Pindar, freue mich an ihnen; nur der strengen Wissenschaft bin ich noch nicht gewach- sen. Adam Müller ist mir widerwartig, doch werde ich ihn wieder vor- nehmen; er selbst weiß zwar nichts recht, der hohle gemachte Gesell, doch
augenblicklichen, doch zu ernſt und oft ermüdeten Unmuths! Schreiben Sie mir, wenn ich Vergnügen haben ſoll. Und alles was Sie betrifft. Ich mache zwei Nachtlager bis Dres- den, bin den dritten Tag dort, und bleibe höchſtens drei Tage, dann über den Geiersberg.
Rahel.
Anmerk. Marwitz antwortete noch hierauf:
Sonntag, den 9. Juni 1811.
O Verzeihung, meine theure Freundin, daß dieſes Blatt Sie ſo lange hat warten laſſen. Das einliegende war vor acht Tagen geſchrieben, und ſollte fort in dem Augenblick, da ich Ihren gen altigen Brief erhielt. Wie ſinnlos, wenn ich jene Kleinigkeiten Ihnen geſandt, und auf die große lebenentſcheidende Frage nicht grantwortet hatte. An jenem Tage ſelbſt war nicht mehr Zeit dazu, an den ſorgenden fühlte ich mich zu unwürdig. Wie Gentz muß ich ſagen: was ſoll ich mein armes Wort gegen die don- nernde Muſik Ihres Innern austauſchen? So blieb ich ſtumm, bei vie- len innern Vorwürfen. Mit mir wird es beſſer. Zwar will mir das Herz noch zuweilen erkranken, aber ich gebiete ihm Rube. Wille und Thatigkeit bändigen es. Sie gehen nun, liebe Rahel. O ſeien Sie ja glücklich, machen Sie ſich meinetwegen keinen Kummer. Untergehen kann ich, aber mir zum Ekel, Andern zur Laſt leben, oder auf eine un- auſtändige, gemeingrauſame Art endigen, das kann ich nicht, und das iſt doch noch ſehr glücklich. Ich habe in dieſer Zeit zuweilen an den Selbſtmord gedacht, und immer iſt es mir vorgekommen, wie eine ver- ruchte Rohheit, das heilige Gefaß ſo blutig, ſo überlegt zu zerſtören. Auch die kann unvermeidlich werden durch Übermaß der Neth, das fühle ich wohl. Wunderlicher Zuſtand. Indem ich dies ſchreibe, wird es mir klar, wie bei jeder nicht gemeinen Natur der Körper nach muß, ſo wie es bloß ein Glück dieſer Zeiten iſt, daß andre äußerlich anſtändigere Wege offen ſtehn, die einen ablenken von dem gewöhnlichen grauſamen. — Die Bader thun mir ſehr wohl. Sie erinnern ſich der Mauer zwiſchen mir und der Natur, die mich an dem übrigens göttlichen Abend beim Hof- jäger ängſtete. Die iſt zerſtört, meine Nerven ſind rein und empfänglich geſtimmt, und die Kämpfe gegen die „Herzens-morgue“ werden ſeltner. Ich verſtehe die Dichter Mirabeau, Goethe, Winckelmann, Pindar, freue mich an ihnen; nur der ſtrengen Wiſſenſchaft bin ich noch nicht gewach- ſen. Adam Müller iſt mir widerwartig, doch werde ich ihn wieder vor- nehmen; er ſelbſt weiß zwar nichts recht, der hohle gemachte Geſell, doch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0533"n="519"/>
augenblicklichen, doch zu ernſt und oft ermüdeten Unmuths!<lb/>
Schreiben Sie mir, wenn ich Vergnügen haben ſoll. Und<lb/><hirendition="#g">alles</hi> was Sie betrifft. Ich mache zwei Nachtlager bis Dres-<lb/>
den, bin den dritten Tag dort, und bleibe <hirendition="#g">höchſtens</hi> drei<lb/>
Tage, dann über den Geiersberg.</p><closer><salute><hirendition="#et">Rahel.</hi></salute></closer></div><lb/><divn="3"><p><hirendition="#g">Anmerk</hi>. Marwitz antwortete noch hierauf:</p><lb/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Sonntag, den 9. Juni 1811.</hi></dateline><lb/><p>O Verzeihung, meine theure Freundin, daß dieſes Blatt Sie ſo lange<lb/>
hat warten laſſen. Das einliegende war vor acht Tagen geſchrieben, und<lb/>ſollte fort in dem Augenblick, da ich Ihren gen altigen Brief erhielt. Wie<lb/>ſinnlos, wenn ich jene Kleinigkeiten Ihnen geſandt, und auf die große<lb/>
lebenentſcheidende Frage nicht grantwortet hatte. An jenem Tage ſelbſt<lb/>
war nicht mehr Zeit dazu, an den ſorgenden fühlte ich mich zu unwürdig.<lb/>
Wie Gentz muß ich ſagen: was ſoll ich mein armes Wort gegen die don-<lb/>
nernde Muſik Ihres Innern austauſchen? So blieb ich ſtumm, bei vie-<lb/>
len innern Vorwürfen. Mit mir wird es beſſer. Zwar will mir das<lb/>
Herz noch zuweilen erkranken, aber ich gebiete ihm Rube. Wille und<lb/>
Thatigkeit bändigen es. Sie gehen nun, liebe Rahel. O ſeien Sie ja<lb/>
glücklich, machen Sie ſich meinetwegen keinen Kummer. Untergehen<lb/><hirendition="#g">kann</hi> ich, aber mir zum Ekel, Andern zur Laſt leben, oder auf eine un-<lb/>
auſtändige, gemeingrauſame Art endigen, das <hirendition="#g">kann</hi> ich nicht, und das<lb/>
iſt doch noch ſehr glücklich. Ich habe in dieſer Zeit zuweilen an den<lb/>
Selbſtmord gedacht, und immer iſt es mir vorgekommen, wie eine ver-<lb/>
ruchte Rohheit, das heilige Gefaß ſo blutig, ſo überlegt zu zerſtören.<lb/>
Auch <hirendition="#g">die</hi> kann unvermeidlich werden durch Übermaß der Neth, das fühle<lb/>
ich wohl. Wunderlicher Zuſtand. Indem ich dies ſchreibe, wird es mir<lb/>
klar, wie bei jeder nicht gemeinen Natur der Körper nach muß, ſo wie<lb/>
es bloß ein Glück dieſer Zeiten iſt, daß andre äußerlich anſtändigere Wege<lb/>
offen ſtehn, die einen ablenken von dem gewöhnlichen grauſamen. — Die<lb/>
Bader thun mir ſehr wohl. Sie erinnern ſich der Mauer zwiſchen mir<lb/>
und der Natur, die mich an dem übrigens göttlichen Abend beim Hof-<lb/>
jäger ängſtete. Die iſt zerſtört, meine Nerven ſind rein und empfänglich<lb/>
geſtimmt, und die Kämpfe gegen die „Herzens-<hirendition="#aq">morgue</hi>“ werden ſeltner.<lb/>
Ich verſtehe die Dichter Mirabeau, Goethe, Winckelmann, Pindar, freue<lb/>
mich an ihnen; nur der ſtrengen Wiſſenſchaft bin ich noch nicht gewach-<lb/>ſen. Adam Müller iſt mir widerwartig, doch werde ich ihn wieder vor-<lb/>
nehmen; er ſelbſt weiß zwar nichts recht, der hohle gemachte Geſell, doch<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[519/0533]
augenblicklichen, doch zu ernſt und oft ermüdeten Unmuths!
Schreiben Sie mir, wenn ich Vergnügen haben ſoll. Und
alles was Sie betrifft. Ich mache zwei Nachtlager bis Dres-
den, bin den dritten Tag dort, und bleibe höchſtens drei
Tage, dann über den Geiersberg.
Rahel.
Anmerk. Marwitz antwortete noch hierauf:
Sonntag, den 9. Juni 1811.
O Verzeihung, meine theure Freundin, daß dieſes Blatt Sie ſo lange
hat warten laſſen. Das einliegende war vor acht Tagen geſchrieben, und
ſollte fort in dem Augenblick, da ich Ihren gen altigen Brief erhielt. Wie
ſinnlos, wenn ich jene Kleinigkeiten Ihnen geſandt, und auf die große
lebenentſcheidende Frage nicht grantwortet hatte. An jenem Tage ſelbſt
war nicht mehr Zeit dazu, an den ſorgenden fühlte ich mich zu unwürdig.
Wie Gentz muß ich ſagen: was ſoll ich mein armes Wort gegen die don-
nernde Muſik Ihres Innern austauſchen? So blieb ich ſtumm, bei vie-
len innern Vorwürfen. Mit mir wird es beſſer. Zwar will mir das
Herz noch zuweilen erkranken, aber ich gebiete ihm Rube. Wille und
Thatigkeit bändigen es. Sie gehen nun, liebe Rahel. O ſeien Sie ja
glücklich, machen Sie ſich meinetwegen keinen Kummer. Untergehen
kann ich, aber mir zum Ekel, Andern zur Laſt leben, oder auf eine un-
auſtändige, gemeingrauſame Art endigen, das kann ich nicht, und das
iſt doch noch ſehr glücklich. Ich habe in dieſer Zeit zuweilen an den
Selbſtmord gedacht, und immer iſt es mir vorgekommen, wie eine ver-
ruchte Rohheit, das heilige Gefaß ſo blutig, ſo überlegt zu zerſtören.
Auch die kann unvermeidlich werden durch Übermaß der Neth, das fühle
ich wohl. Wunderlicher Zuſtand. Indem ich dies ſchreibe, wird es mir
klar, wie bei jeder nicht gemeinen Natur der Körper nach muß, ſo wie
es bloß ein Glück dieſer Zeiten iſt, daß andre äußerlich anſtändigere Wege
offen ſtehn, die einen ablenken von dem gewöhnlichen grauſamen. — Die
Bader thun mir ſehr wohl. Sie erinnern ſich der Mauer zwiſchen mir
und der Natur, die mich an dem übrigens göttlichen Abend beim Hof-
jäger ängſtete. Die iſt zerſtört, meine Nerven ſind rein und empfänglich
geſtimmt, und die Kämpfe gegen die „Herzens-morgue“ werden ſeltner.
Ich verſtehe die Dichter Mirabeau, Goethe, Winckelmann, Pindar, freue
mich an ihnen; nur der ſtrengen Wiſſenſchaft bin ich noch nicht gewach-
ſen. Adam Müller iſt mir widerwartig, doch werde ich ihn wieder vor-
nehmen; er ſelbſt weiß zwar nichts recht, der hohle gemachte Geſell, doch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/533>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.