Hause kommen. -- Halte diesen Brief nicht für unzärtlich, ich habe keine Zeit, und packte also das Wesentlichste für dich, so hieß mich meine Zärtlichkeit. -- Ich versäume die Galerie, und soll Nachmittag mit Marwitz nach der Meißner Gegend eine Meile von hier fahren. Bis jetzt haben wir alles zu Fuß abgemacht. Ich lebe sehr eingezogen. Abends immer bei mir mit Marwitz, dem Mahler Friedrich Meyer aus Rathenau, Lippe, oder den Dlls. Hebenstreit. Gestern war ich mit Marwitz allein, und da lasen wir Novalis, und hatten die tiefsinnigsten Gespräche. Wir leben wie zwei Stu- denten, wovon der eine eine Frau ist; er ißt Mittags mit mir, dann und wann Meyer auch. Lippe zankt sich gehörigst mit mir: und war gestern nicht da, weil ich vorgestern bei seinem sonderbaren Ernste lachen mußte. Marwitz ist mild und gehorsam, und wie ein jüngerer wahrer Bruder gegen mich; angeschlossen, aber ohne jede reizende und gereizte Ga- lanterie. Mir lieb, recht, bequem und angenehm; wir haben den vielseitigsten reichsten Wortwechsel. Er spricht außer- ordentlich richtig, gütig und unbefangen, und oft, von dir. Er denkt über Adel und des Bruders Geschichte anders, als ich glaubte; du weißt also wie!!! du würdest dich über die Ausdrücke todt wundern. --
Sei versichert, ich denke oft, oft, bei jedem Vorfall, Wet- ter, Schein, Bild, ja bei gutem Essen an dich. Wie sollt' ich nicht! Du hast mich gelehrt in einer Atmosphäre von Liebe zu wohnen; und alles berührt mich unheimisch und kalt ohne sie. Ich kenne dich ganz und liebe dich: und rechne auf dich; und auf dein Fortschreiten in jedem Sinn. --
I. 34
Hauſe kommen. — Halte dieſen Brief nicht für unzärtlich, ich habe keine Zeit, und packte alſo das Weſentlichſte für dich, ſo hieß mich meine Zärtlichkeit. — Ich verſäume die Galerie, und ſoll Nachmittag mit Marwitz nach der Meißner Gegend eine Meile von hier fahren. Bis jetzt haben wir alles zu Fuß abgemacht. Ich lebe ſehr eingezogen. Abends immer bei mir mit Marwitz, dem Mahler Friedrich Meyer aus Rathenau, Lippe, oder den Dlls. Hebenſtreit. Geſtern war ich mit Marwitz allein, und da laſen wir Novalis, und hatten die tiefſinnigſten Geſpräche. Wir leben wie zwei Stu- denten, wovon der eine eine Frau iſt; er ißt Mittags mit mir, dann und wann Meyer auch. Lippe zankt ſich gehörigſt mit mir: und war geſtern nicht da, weil ich vorgeſtern bei ſeinem ſonderbaren Ernſte lachen mußte. Marwitz iſt mild und gehorſam, und wie ein jüngerer wahrer Bruder gegen mich; angeſchloſſen, aber ohne jede reizende und gereizte Ga- lanterie. Mir lieb, recht, bequem und angenehm; wir haben den vielſeitigſten reichſten Wortwechſel. Er ſpricht außer- ordentlich richtig, gütig und unbefangen, und oft, von dir. Er denkt über Adel und des Bruders Geſchichte anders, als ich glaubte; du weißt alſo wie!!! du würdeſt dich über die Ausdrücke todt wundern. —
Sei verſichert, ich denke oft, oft, bei jedem Vorfall, Wet- ter, Schein, Bild, ja bei gutem Eſſen an dich. Wie ſollt’ ich nicht! Du haſt mich gelehrt in einer Atmoſphäre von Liebe zu wohnen; und alles berührt mich unheimiſch und kalt ohne ſie. Ich kenne dich ganz und liebe dich: und rechne auf dich; und auf dein Fortſchreiten in jedem Sinn. —
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Hauſe kommen. — Halte dieſen Brief nicht für unzärtlich,
ich habe keine Zeit, und packte alſo das Weſentlichſte für
dich, ſo hieß mich meine Zärtlichkeit. — Ich verſäume die
Galerie, und ſoll Nachmittag mit Marwitz nach der Meißner
Gegend eine Meile von hier fahren. Bis jetzt haben wir
alles zu Fuß abgemacht. Ich lebe ſehr eingezogen. Abends
immer bei mir mit Marwitz, dem Mahler Friedrich Meyer
aus Rathenau, Lippe, oder den Dlls. Hebenſtreit. Geſtern
war ich mit Marwitz allein, und da laſen wir Novalis, und
hatten die tiefſinnigſten Geſpräche. Wir leben wie zwei Stu-
denten, wovon der eine eine Frau iſt; er ißt Mittags mit
mir, dann und wann Meyer auch. Lippe zankt ſich gehörigſt
mit mir: und war geſtern nicht da, weil ich vorgeſtern bei
ſeinem ſonderbaren Ernſte lachen mußte. Marwitz iſt mild
und gehorſam, und wie ein jüngerer wahrer Bruder gegen
mich; angeſchloſſen, aber ohne jede reizende und gereizte Ga-
lanterie. Mir lieb, recht, bequem und angenehm; wir haben
den vielſeitigſten reichſten Wortwechſel. Er ſpricht außer-
ordentlich richtig, gütig und unbefangen, und oft, von dir.
Er denkt über Adel und des Bruders Geſchichte anders, als
ich glaubte; du weißt alſo wie!!! du würdeſt dich über die
Ausdrücke todt wundern. —
Sei verſichert, ich denke oft, oft, bei jedem Vorfall, Wet-
ter, Schein, Bild, ja bei gutem Eſſen an dich. Wie ſollt’ ich
nicht! Du haſt mich gelehrt in einer Atmoſphäre von Liebe
zu wohnen; und alles berührt mich unheimiſch und kalt ohne
ſie. Ich kenne dich ganz und liebe dich: und rechne auf dich;
und auf dein Fortſchreiten in jedem Sinn. —
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/543>, abgerufen am 23.12.2024.
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