Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Rahel." Sie sprach dies nicht in dem Sinn eines nahen Ab-
schiedes, sondern in dem eines Aufgebens von Schein und
Tand, wie ihr auch für das Weiterleben zu Muthe sei und
bleiben solle. Eine solche erhöhte Stimmung zeigte sich über-
haupt in der fast wehmüthigen Herzlichkeit, welche sie ihren
Nächsten und den Freunden bewies, deren Besuch sie empfing.
Die Gegenwart ihres jüngsten und nur noch einzigen Bruders
Moritz Robert, den sie immer besonders geliebt hatte, war ihr
jedesmal ein erquickender Trost; um ihn aufzumuntern, ver-
sicherte sie ihm freundlich, es gehe ihr gar nicht schlecht, und
wenn er sie vorwärts niedergebeugt sitzend fände, so sei das
bloß, weil es ihr so für den Augenblick bequem sei; sie könne
sich recht wohl grade halten, aber habe nur jetzt keinen Grund
es zu thun. Auch erfreute sie der Anblick des lieben Nichten-
Kindes Elise, das noch auf Augenblicke zum Besuch an ihr
Bette kam. Theure Freunde und Freundinnen nahten ihr
grüßend und heilwünschend, unter diesen noch am Abend der
Fürst und die Fürstin von Carolath, die am andern Morgen
abreisen wollten.

Der 6. März kam heran, die Beschwerden waten groß-
die Entbehrung jedes Labsals ungemein peinlich, das Verlan-
gen nach Erquickung und Ruhe sprach sich in gesteigerten
Klagen aus. Die fleißigen Besuche des Dr. von Necher, der
mehrmals im Tage wiederkam, und immer neuen Aufschub
seiner Abreise verkündigte, erfreuten sie jedesmal. Sie nahm
auch an diesem Tage noch jeden gewohnten Antheil an allem,
was vorging und gesprochen wurde, und die ungeschwächte

Rahel.“ Sie ſprach dies nicht in dem Sinn eines nahen Ab-
ſchiedes, ſondern in dem eines Aufgebens von Schein und
Tand, wie ihr auch für das Weiterleben zu Muthe ſei und
bleiben ſolle. Eine ſolche erhöhte Stimmung zeigte ſich über-
haupt in der faſt wehmüthigen Herzlichkeit, welche ſie ihren
Nächſten und den Freunden bewies, deren Beſuch ſie empfing.
Die Gegenwart ihres jüngſten und nur noch einzigen Bruders
Moritz Robert, den ſie immer beſonders geliebt hatte, war ihr
jedesmal ein erquickender Troſt; um ihn aufzumuntern, ver-
ſicherte ſie ihm freundlich, es gehe ihr gar nicht ſchlecht, und
wenn er ſie vorwärts niedergebeugt ſitzend fände, ſo ſei das
bloß, weil es ihr ſo für den Augenblick bequem ſei; ſie könne
ſich recht wohl grade halten, aber habe nur jetzt keinen Grund
es zu thun. Auch erfreute ſie der Anblick des lieben Nichten-
Kindes Eliſe, das noch auf Augenblicke zum Beſuch an ihr
Bette kam. Theure Freunde und Freundinnen nahten ihr
grüßend und heilwünſchend, unter dieſen noch am Abend der
Fürſt und die Fürſtin von Carolath, die am andern Morgen
abreiſen wollten.

Der 6. März kam heran, die Beſchwerden waten groß-
die Entbehrung jedes Labſals ungemein peinlich, das Verlan-
gen nach Erquickung und Ruhe ſprach ſich in geſteigerten
Klagen aus. Die fleißigen Beſuche des Dr. von Necher, der
mehrmals im Tage wiederkam, und immer neuen Aufſchub
ſeiner Abreiſe verkündigte, erfreuten ſie jedesmal. Sie nahm
auch an dieſem Tage noch jeden gewohnten Antheil an allem,
was vorging und geſprochen wurde, und die ungeſchwächte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0059" n="45"/>
Rahel.&#x201C; Sie &#x017F;prach dies nicht in dem Sinn eines nahen Ab-<lb/>
&#x017F;chiedes, &#x017F;ondern in dem eines Aufgebens von Schein und<lb/>
Tand, wie ihr auch für das Weiterleben zu Muthe &#x017F;ei und<lb/>
bleiben &#x017F;olle. Eine &#x017F;olche erhöhte Stimmung zeigte &#x017F;ich über-<lb/>
haupt in der fa&#x017F;t wehmüthigen Herzlichkeit, welche &#x017F;ie ihren<lb/>
Näch&#x017F;ten und den Freunden bewies, deren Be&#x017F;uch &#x017F;ie empfing.<lb/>
Die Gegenwart ihres jüng&#x017F;ten und nur noch einzigen Bruders<lb/>
Moritz Robert, den &#x017F;ie immer be&#x017F;onders geliebt hatte, war ihr<lb/>
jedesmal ein erquickender Tro&#x017F;t; um ihn aufzumuntern, ver-<lb/>
&#x017F;icherte &#x017F;ie ihm freundlich, es gehe ihr gar nicht &#x017F;chlecht, und<lb/>
wenn er &#x017F;ie vorwärts niedergebeugt &#x017F;itzend fände, &#x017F;o &#x017F;ei das<lb/>
bloß, weil es ihr &#x017F;o für den Augenblick bequem &#x017F;ei; &#x017F;ie könne<lb/>
&#x017F;ich recht wohl grade halten, aber habe nur jetzt keinen Grund<lb/>
es zu thun. Auch erfreute &#x017F;ie der Anblick des lieben Nichten-<lb/>
Kindes Eli&#x017F;e, das noch auf Augenblicke zum Be&#x017F;uch an ihr<lb/>
Bette kam. Theure Freunde und Freundinnen nahten ihr<lb/>
grüßend und heilwün&#x017F;chend, unter die&#x017F;en noch am Abend der<lb/>
Für&#x017F;t und die Für&#x017F;tin von Carolath, die am andern Morgen<lb/>
abrei&#x017F;en wollten.</p><lb/>
            <p>Der 6. März kam heran, die Be&#x017F;chwerden waten groß-<lb/>
die Entbehrung jedes Lab&#x017F;als ungemein peinlich, das Verlan-<lb/>
gen nach Erquickung und Ruhe &#x017F;prach &#x017F;ich in ge&#x017F;teigerten<lb/>
Klagen aus. Die fleißigen Be&#x017F;uche des Dr. von Necher, der<lb/>
mehrmals im Tage wiederkam, und immer neuen Auf&#x017F;chub<lb/>
&#x017F;einer Abrei&#x017F;e verkündigte, erfreuten &#x017F;ie jedesmal. Sie nahm<lb/>
auch an die&#x017F;em Tage noch jeden gewohnten Antheil an allem,<lb/>
was vorging und ge&#x017F;prochen wurde, und die unge&#x017F;chwächte<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0059] Rahel.“ Sie ſprach dies nicht in dem Sinn eines nahen Ab- ſchiedes, ſondern in dem eines Aufgebens von Schein und Tand, wie ihr auch für das Weiterleben zu Muthe ſei und bleiben ſolle. Eine ſolche erhöhte Stimmung zeigte ſich über- haupt in der faſt wehmüthigen Herzlichkeit, welche ſie ihren Nächſten und den Freunden bewies, deren Beſuch ſie empfing. Die Gegenwart ihres jüngſten und nur noch einzigen Bruders Moritz Robert, den ſie immer beſonders geliebt hatte, war ihr jedesmal ein erquickender Troſt; um ihn aufzumuntern, ver- ſicherte ſie ihm freundlich, es gehe ihr gar nicht ſchlecht, und wenn er ſie vorwärts niedergebeugt ſitzend fände, ſo ſei das bloß, weil es ihr ſo für den Augenblick bequem ſei; ſie könne ſich recht wohl grade halten, aber habe nur jetzt keinen Grund es zu thun. Auch erfreute ſie der Anblick des lieben Nichten- Kindes Eliſe, das noch auf Augenblicke zum Beſuch an ihr Bette kam. Theure Freunde und Freundinnen nahten ihr grüßend und heilwünſchend, unter dieſen noch am Abend der Fürſt und die Fürſtin von Carolath, die am andern Morgen abreiſen wollten. Der 6. März kam heran, die Beſchwerden waten groß- die Entbehrung jedes Labſals ungemein peinlich, das Verlan- gen nach Erquickung und Ruhe ſprach ſich in geſteigerten Klagen aus. Die fleißigen Beſuche des Dr. von Necher, der mehrmals im Tage wiederkam, und immer neuen Aufſchub ſeiner Abreiſe verkündigte, erfreuten ſie jedesmal. Sie nahm auch an dieſem Tage noch jeden gewohnten Antheil an allem, was vorging und geſprochen wurde, und die ungeſchwächte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/59
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/59>, abgerufen am 22.12.2024.