den: Gott sei gelobt in Ewigkeit. Was mag der denken! Manches denk' ich mir. -- Die Sonne duckt: heute gehe ich zu Kommandanten-Bouche. Mlle. Schmalz reist morgen zu der hohen Gesellschaft nach Dresden, auf drei Wochen. So schließt sich das Lebensinteresse selbst an den Tod. -- Man sagt so eben, Niebuhr habe den Befehl, nach Dresden zu kommen. --
An Varnhagen, in Hamburg.
Reinerz, Donnerstag den 20. Mai 1813.
Hier sitze ich, lieber August, in einem himmlischen Ge- birgskessel, in einem an Bergen angeklebten Badeorte, mit den idealischesten Spazirgängen; nicht im Bade selbst, sondern auf dem Markte wohnend. -- Alle Berliner sind in Breslau. Ich zog es vor, hier im stillen Winkel an der Gränze wohl- feil im Sommerleben zu sitzen. -- Gott, August! könnt' ich diese Gegend, diese Einsiedler-Ruhe, diese Schlünde, Ge- birgsgewässer, diese Blüthen und diese Grasmatten, ohne Angst für alles was ich liebe, genießen. Mit dir. Wie könnten wir uns hier von der verkehrten Lage, von der drük- kenden Sorge, von den leeren Gängen, vom verkehrten Da- sein erholen! Der Frühling, die Stille, das Feld, will mir die Gedanken an Preußens, an Berlins Zustand, an den un- natürlichen Krieg wegwehen; und mein Gewissen drückt sie mir wieder an's Herz! Mit Vorwürfen zugleich, daß ich noch leben und genießen will! So sah ich hierherzu kein friedlich Dorf, kein Schloß, keinen Garten, kein wohlbestelltes Land: ohne
II. 7
den: Gott ſei gelobt in Ewigkeit. Was mag der denken! Manches denk’ ich mir. — Die Sonne duckt: heute gehe ich zu Kommandanten-Bouché. Mlle. Schmalz reiſt morgen zu der hohen Geſellſchaft nach Dresden, auf drei Wochen. So ſchließt ſich das Lebensintereſſe ſelbſt an den Tod. — Man ſagt ſo eben, Niebuhr habe den Befehl, nach Dresden zu kommen. —
An Varnhagen, in Hamburg.
Reinerz, Donnerstag den 20. Mai 1813.
Hier ſitze ich, lieber Auguſt, in einem himmliſchen Ge- birgskeſſel, in einem an Bergen angeklebten Badeorte, mit den idealiſcheſten Spazirgängen; nicht im Bade ſelbſt, ſondern auf dem Markte wohnend. — Alle Berliner ſind in Breslau. Ich zog es vor, hier im ſtillen Winkel an der Gränze wohl- feil im Sommerleben zu ſitzen. — Gott, Auguſt! könnt’ ich dieſe Gegend, dieſe Einſiedler-Ruhe, dieſe Schlünde, Ge- birgsgewäſſer, dieſe Blüthen und dieſe Grasmatten, ohne Angſt für alles was ich liebe, genießen. Mit dir. Wie könnten wir uns hier von der verkehrten Lage, von der drük- kenden Sorge, von den leeren Gängen, vom verkehrten Da- ſein erholen! Der Frühling, die Stille, das Feld, will mir die Gedanken an Preußens, an Berlins Zuſtand, an den un- natürlichen Krieg wegwehen; und mein Gewiſſen drückt ſie mir wieder an’s Herz! Mit Vorwürfen zugleich, daß ich noch leben und genießen will! So ſah ich hierherzu kein friedlich Dorf, kein Schloß, keinen Garten, kein wohlbeſtelltes Land: ohne
II. 7
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0105"n="97"/>
den: Gott ſei gelobt in Ewigkeit. Was mag <hirendition="#g">der</hi> denken!<lb/>
Manches denk’ ich mir. — Die Sonne duckt: heute gehe ich<lb/>
zu Kommandanten-Bouch<hirendition="#aq">é</hi>. Mlle. Schmalz reiſt morgen zu<lb/>
der hohen Geſellſchaft nach Dresden, auf drei Wochen. So<lb/>ſchließt ſich das Lebensintereſſe ſelbſt an den Tod. — Man ſagt<lb/>ſo eben, Niebuhr habe den Befehl, nach Dresden zu kommen. —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head><hirendition="#et">An Varnhagen, in Hamburg.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#et">Reinerz, Donnerstag den 20. Mai 1813.</hi></dateline><lb/><p>Hier ſitze ich, lieber Auguſt, in einem himmliſchen Ge-<lb/>
birgskeſſel, in einem an Bergen angeklebten Badeorte, mit den<lb/>
idealiſcheſten Spazirgängen; nicht im Bade ſelbſt, ſondern auf<lb/>
dem Markte wohnend. — Alle Berliner ſind in Breslau.<lb/>
Ich zog es vor, hier im ſtillen Winkel an der Gränze wohl-<lb/>
feil im Sommerleben zu ſitzen. — Gott, Auguſt! könnt’ ich<lb/><hirendition="#g">dieſe</hi> Gegend, dieſe Einſiedler-Ruhe, dieſe Schlünde, Ge-<lb/>
birgsgewäſſer, dieſe Blüthen und dieſe Grasmatten, ohne<lb/>
Angſt für alles was ich liebe, genießen. <hirendition="#g">Mit dir</hi>. Wie<lb/>
könnten wir uns hier von der verkehrten Lage, von der drük-<lb/>
kenden Sorge, von den leeren Gängen, vom verkehrten Da-<lb/>ſein erholen! Der Frühling, die Stille, das Feld, will mir<lb/>
die Gedanken an Preußens, an Berlins Zuſtand, an den un-<lb/>
natürlichen Krieg wegwehen; und mein Gewiſſen drückt ſie mir<lb/>
wieder an’s Herz! Mit Vorwürfen zugleich, daß ich noch leben<lb/>
und genießen will! So ſah ich hierherzu kein friedlich Dorf,<lb/>
kein Schloß, keinen Garten, kein wohlbeſtelltes Land: ohne<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#aq">II.</hi> 7</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[97/0105]
den: Gott ſei gelobt in Ewigkeit. Was mag der denken!
Manches denk’ ich mir. — Die Sonne duckt: heute gehe ich
zu Kommandanten-Bouché. Mlle. Schmalz reiſt morgen zu
der hohen Geſellſchaft nach Dresden, auf drei Wochen. So
ſchließt ſich das Lebensintereſſe ſelbſt an den Tod. — Man ſagt
ſo eben, Niebuhr habe den Befehl, nach Dresden zu kommen. —
An Varnhagen, in Hamburg.
Reinerz, Donnerstag den 20. Mai 1813.
Hier ſitze ich, lieber Auguſt, in einem himmliſchen Ge-
birgskeſſel, in einem an Bergen angeklebten Badeorte, mit den
idealiſcheſten Spazirgängen; nicht im Bade ſelbſt, ſondern auf
dem Markte wohnend. — Alle Berliner ſind in Breslau.
Ich zog es vor, hier im ſtillen Winkel an der Gränze wohl-
feil im Sommerleben zu ſitzen. — Gott, Auguſt! könnt’ ich
dieſe Gegend, dieſe Einſiedler-Ruhe, dieſe Schlünde, Ge-
birgsgewäſſer, dieſe Blüthen und dieſe Grasmatten, ohne
Angſt für alles was ich liebe, genießen. Mit dir. Wie
könnten wir uns hier von der verkehrten Lage, von der drük-
kenden Sorge, von den leeren Gängen, vom verkehrten Da-
ſein erholen! Der Frühling, die Stille, das Feld, will mir
die Gedanken an Preußens, an Berlins Zuſtand, an den un-
natürlichen Krieg wegwehen; und mein Gewiſſen drückt ſie mir
wieder an’s Herz! Mit Vorwürfen zugleich, daß ich noch leben
und genießen will! So ſah ich hierherzu kein friedlich Dorf,
kein Schloß, keinen Garten, kein wohlbeſtelltes Land: ohne
II. 7
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/105>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.