wisset, und um mein Herz auszuschütten. Varnhagen große Briefe, seiner Ruhe wegen; Ludwig Robert, Bartholdy, Men- delssohn, mit dem ich Dinge abzumachen habe; Frau von Humboldt, Mariane Saaling, Frau von Percira, auch ge- schäftlich und der Verbindung wegen; der Kousine in Breslau: eine Menge Briefe in der Stadt, und andere für kranke Freunde. Von den andern Dingen, meiner Krankheit etc. will ich gar nicht sprechen: noch davon, daß mir in allen Zeiten das Mechanische des Schreibens Angst und Blut kostet! wie z. B. sitz' ich jetzt in der mir zu heißen Krankenstube Augustens, die mit Fieber in ihrem Bette liegt, und welches mich sehr an- strengt. Dabei, liebes Ernestinchen, sind die Briefe, die ich nach Berlin schreibe, ja auch alle für Sie! wenn ich etwas Apartes Ihnen zu melden habe, oder mitzutheilen, zu vertrauen, werde ich es gewiß thun. Als Sie mir nicht schrieben, dachte ich Sie seien böse auf mich, das können Sie doch von mir nicht denken! ist es aber hübsch, daß Sie mir von Ihrer Reise, Ihrer Ankunft, von Moritz Abwesenheit, über die ich mich doch ängstigen mußte, nicht schrieben; über Ferdinand muß ich von allen Seiten hören nur von Ihnen nicht?! das muß man der Schwägerin lassen, sie ist entzückt von ihm! Überhaupt, fühlte sie von Anfang an für den Jungen so, wie sie nie mehr für eins von ihren Kindern fühlte. Solch neidloser Kinderan- theil ist mir bei keiner Mutter noch für fremde Kinder vorge- kommen: Wohlthaten an fremde Kinder sind nicht so selten, als Vorliebe und Bewunderung für sie. Sie haben mir auch nicht einmal von Ihren Landsleuten geschrieben, die Sie sehen, die sich bei uns befinden -- oder nur äußerst wenig und keine
wiſſet, und um mein Herz auszuſchütten. Varnhagen große Briefe, ſeiner Ruhe wegen; Ludwig Robert, Bartholdy, Men- delsſohn, mit dem ich Dinge abzumachen habe; Frau von Humboldt, Mariane Saaling, Frau von Percira, auch ge- ſchäftlich und der Verbindung wegen; der Kouſine in Breslau: eine Menge Briefe in der Stadt, und andere für kranke Freunde. Von den andern Dingen, meiner Krankheit ꝛc. will ich gar nicht ſprechen: noch davon, daß mir in allen Zeiten das Mechaniſche des Schreibens Angſt und Blut koſtet! wie z. B. ſitz’ ich jetzt in der mir zu heißen Krankenſtube Auguſtens, die mit Fieber in ihrem Bette liegt, und welches mich ſehr an- ſtrengt. Dabei, liebes Erneſtinchen, ſind die Briefe, die ich nach Berlin ſchreibe, ja auch alle für Sie! wenn ich etwas Apartes Ihnen zu melden habe, oder mitzutheilen, zu vertrauen, werde ich es gewiß thun. Als Sie mir nicht ſchrieben, dachte ich Sie ſeien böſe auf mich, das können Sie doch von mir nicht denken! iſt es aber hübſch, daß Sie mir von Ihrer Reiſe, Ihrer Ankunft, von Moritz Abweſenheit, über die ich mich doch ängſtigen mußte, nicht ſchrieben; über Ferdinand muß ich von allen Seiten hören nur von Ihnen nicht?! das muß man der Schwägerin laſſen, ſie iſt entzückt von ihm! Überhaupt, fühlte ſie von Anfang an für den Jungen ſo, wie ſie nie mehr für eins von ihren Kindern fühlte. Solch neidloſer Kinderan- theil iſt mir bei keiner Mutter noch für fremde Kinder vorge- kommen: Wohlthaten an fremde Kinder ſind nicht ſo ſelten, als Vorliebe und Bewunderung für ſie. Sie haben mir auch nicht einmal von Ihren Landsleuten geſchrieben, die Sie ſehen, die ſich bei uns befinden — oder nur äußerſt wenig und keine
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wiſſet, und um mein Herz auszuſchütten. Varnhagen große
Briefe, ſeiner Ruhe wegen; Ludwig Robert, Bartholdy, Men-
delsſohn, mit dem ich Dinge abzumachen habe; Frau von
Humboldt, Mariane Saaling, Frau von Percira, auch ge-
ſchäftlich und der Verbindung wegen; der Kouſine in Breslau:
eine Menge Briefe in der Stadt, und andere für kranke
Freunde. Von den andern Dingen, meiner Krankheit ꝛc. will
ich gar nicht ſprechen: noch davon, daß mir in allen Zeiten
das Mechaniſche des Schreibens Angſt und Blut koſtet! wie
z. B. ſitz’ ich jetzt in der mir zu heißen Krankenſtube Auguſtens,
die mit Fieber in ihrem Bette liegt, und welches mich ſehr an-
ſtrengt. Dabei, liebes Erneſtinchen, ſind die Briefe, die ich
nach Berlin ſchreibe, ja auch alle für Sie! wenn ich etwas
Apartes Ihnen zu melden habe, oder mitzutheilen, zu vertrauen,
werde ich es gewiß thun. Als Sie mir nicht ſchrieben, dachte
ich Sie ſeien böſe auf mich, das können Sie doch von mir
nicht denken! iſt es aber hübſch, daß Sie mir von Ihrer Reiſe,
Ihrer Ankunft, von Moritz Abweſenheit, über die ich mich doch
ängſtigen mußte, nicht ſchrieben; über Ferdinand muß ich
von allen Seiten hören nur von Ihnen nicht?! das muß man
der Schwägerin laſſen, ſie iſt entzückt von ihm! Überhaupt,
fühlte ſie von Anfang an für den Jungen ſo, wie ſie nie mehr
für eins von ihren Kindern fühlte. Solch neidloſer Kinderan-
theil iſt mir bei keiner Mutter noch für fremde Kinder vorge-
kommen: Wohlthaten an fremde Kinder ſind nicht ſo ſelten,
als Vorliebe und Bewunderung für ſie. Sie haben mir auch
nicht einmal von Ihren Landsleuten geſchrieben, die Sie ſehen,
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/164>, abgerufen am 26.11.2024.
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