für ihn sterben können. Doch was verstehen die Menschen? die noch die einzigen sind, die sich auf der Erde etwas ein- bilden! Jetzt einen jungen Sohn oder Bruder an einem Ner- venfieber zu verlieren, ist noch ärgerlich dabei; und H. be- daure ich sehr, da sie ihn so liebte! Ihnen gratulire zu den guten Rötheln der Kinder, wie Mad. M., die sich doch ge- nug geängstigt haben wird! Also waren wir zu gleicher Zeit vor Krankenbetten. Nun sind Sie das wieder los. Was wird nun kommen? Schöner Trost! Es ist mir so entfahren. Von Bartholdy hatte vor einiger Zeit einen sehr gescheidten, reifen, geistreichen Brief, den Tag vor seiner Abreise von Frank- furt geschrieben; aber er muß kein Vergnügen haben, denn der Brief ist nicht vergnügt. Er schreibt auch in so trocknen abgebrochenen Sätzen, und hat kein wehes Bein wie ich. Hö- ren Sie Musik? Ich habe, seit Sie weg sind, nur das große Loos von Isouard gehört; wofür ich bin; gute, unterhaltende dramatische Musik: so ist das Stück auch an sich gut. Nicht solcher neumodischer, Mozart überbietender und daher nur überschreiender Lärm. Eine Mlle. Brandt aus Frankfurt ge- fällt hier sehr; ich sah sie in Aschenprödel. Singt, nicht schlecht unterrichtet, wie alle Süddeutschen: aber das R durch den Hals anstatt mit der Zunge. Spielt nicht schlecht; in Einem Moment außerordentlich, wo sie die Rose bekommt; tiefsinnig möchte man sagen; wenn dem nicht andere zu sehr widersprächen, aus aller modischen nicht bedachten Tradition, Momente widriger Naivetät und eben solcher Schwesterliebe u. s. w. So aber muß ich denken, es sei von dem angeflo- genen Kunstsommer, der wie der andere in der Luft umher
fliegt,
für ihn ſterben können. Doch was verſtehen die Menſchen? die noch die einzigen ſind, die ſich auf der Erde etwas ein- bilden! Jetzt einen jungen Sohn oder Bruder an einem Ner- venfieber zu verlieren, iſt noch ärgerlich dabei; und H. be- daure ich ſehr, da ſie ihn ſo liebte! Ihnen gratulire zu den guten Rötheln der Kinder, wie Mad. M., die ſich doch ge- nug geängſtigt haben wird! Alſo waren wir zu gleicher Zeit vor Krankenbetten. Nun ſind Sie das wieder los. Was wird nun kommen? Schöner Troſt! Es iſt mir ſo entfahren. Von Bartholdy hatte vor einiger Zeit einen ſehr geſcheidten, reifen, geiſtreichen Brief, den Tag vor ſeiner Abreiſe von Frank- furt geſchrieben; aber er muß kein Vergnügen haben, denn der Brief iſt nicht vergnügt. Er ſchreibt auch in ſo trocknen abgebrochenen Sätzen, und hat kein wehes Bein wie ich. Hö- ren Sie Muſik? Ich habe, ſeit Sie weg ſind, nur das große Loos von Iſouard gehört; wofür ich bin; gute, unterhaltende dramatiſche Muſik: ſo iſt das Stück auch an ſich gut. Nicht ſolcher neumodiſcher, Mozart überbietender und daher nur überſchreiender Lärm. Eine Mlle. Brandt aus Frankfurt ge- fällt hier ſehr; ich ſah ſie in Aſchenprödel. Singt, nicht ſchlecht unterrichtet, wie alle Süddeutſchen: aber das R durch den Hals anſtatt mit der Zunge. Spielt nicht ſchlecht; in Einem Moment außerordentlich, wo ſie die Roſe bekommt; tiefſinnig möchte man ſagen; wenn dem nicht andere zu ſehr widerſprächen, aus aller modiſchen nicht bedachten Tradition, Momente widriger Naivetät und eben ſolcher Schweſterliebe u. ſ. w. So aber muß ich denken, es ſei von dem angeflo- genen Kunſtſommer, der wie der andere in der Luft umher
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für ihn ſterben können. Doch was verſtehen die Menſchen?
die noch die einzigen ſind, die ſich auf der Erde etwas ein-
bilden! Jetzt einen jungen Sohn oder Bruder an einem Ner-
venfieber zu verlieren, iſt noch ärgerlich dabei; und H. be-
daure ich ſehr, da ſie ihn ſo liebte! Ihnen gratulire zu den
guten Rötheln der Kinder, wie Mad. M., die ſich doch ge-
nug geängſtigt haben wird! Alſo waren wir zu gleicher Zeit
vor Krankenbetten. Nun ſind Sie das wieder los. Was
wird nun kommen? Schöner Troſt! Es iſt mir ſo entfahren.
Von Bartholdy hatte vor einiger Zeit einen ſehr geſcheidten,
reifen, geiſtreichen Brief, den Tag vor ſeiner Abreiſe von Frank-
furt geſchrieben; aber er muß kein Vergnügen haben, denn
der Brief iſt nicht vergnügt. Er ſchreibt auch in ſo trocknen
abgebrochenen Sätzen, und hat kein wehes Bein wie ich. Hö-
ren Sie Muſik? Ich habe, ſeit Sie weg ſind, nur das große
Loos von Iſouard gehört; wofür ich bin; gute, unterhaltende
dramatiſche Muſik: ſo iſt das Stück auch an ſich gut. Nicht
ſolcher neumodiſcher, Mozart überbietender und daher nur
überſchreiender Lärm. Eine Mlle. Brandt aus Frankfurt ge-
fällt hier ſehr; ich ſah ſie in Aſchenprödel. Singt, nicht
ſchlecht unterrichtet, wie alle Süddeutſchen: aber das R durch
den Hals anſtatt mit der Zunge. Spielt nicht ſchlecht; in
Einem Moment außerordentlich, wo ſie die Roſe bekommt;
tiefſinnig möchte man ſagen; wenn dem nicht andere zu ſehr
widerſprächen, aus aller modiſchen nicht bedachten Tradition,
Momente widriger Naivetät und eben ſolcher Schweſterliebe
u. ſ. w. So aber muß ich denken, es ſei von dem angeflo-
genen Kunſtſommer, der wie der andere in der Luft umher
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/168>, abgerufen am 25.11.2024.
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