Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Sie fleißig? heute bekommt Ihr meine Briefe durch Urquijo.
Daß Sie mir Line verwahren, freut mich übernatürlich! und
daß sie reinlich ist. Als ich diesen Brief anfing, und mich
dazu setzte, hatte ich Schmerz und schrie, jetzt ist's ein wenig
still. Weber phantasirt durch eine vermauerte Thüre himm-
lisch neben mir an. Brentano hat mich ungefähr vor sechs
Wochen durch jemand, dem er hier schrieb, grüßen lassen, sonst
weiß ich nichts von ihm. Ich habe ihm den Handel aufge-
sagt: und muß -- da ich ihm von Natur gut war, leider! --
sehen, daß wenigstens ich nicht mit ihm leben kann. Eine
gewisse sittliche Sicherheit brauche ich, so vagabund mein Geist
sich auch zu betragen, das heißt zu sehen vermag; und gesel-
lige Artigkeit, die mit einemmale bei ihm ganz ausgehen kann,
Beurtheilen Sie, ob ich sonst Prätensionen habe, die man nicht
dulden kann! ich habe die Serie seiner Briefe, und will sie
Ihnen einmal zeigen, ob sie so auf einander folgen konnten?!!
Er konstituirt mich z. B. als seine erste Freundin; und in
einem Briefe drauf, spricht er mir jede menschliche Eigen-
schaft ab, und radotirt -- so -- daß ich vielleicht nur fünf-
mal in meinem Leben so gelacht habe, als über diesen Brief.
Nichts desto weniger war ich sehr empört. Jetzt ist er mir
ganz gleichgültig: der ganze Krieg, alle Blessirte ka-
men mir dazwischen: und ganz andere perfide Freunde.
Dieser Sommer war mein letzter; nun läuft alles, meines
Herzens Maß vorbei. Es ist voll: und ich bin heiterer, als
da es sich füllte: nur die Börse -- ge -- ist zu leer! denn
ich bin dahinter, auf einem Schiff muß man Equipage ha-
ben, und ein Brechmittel von einem guten Koch einneh-

Sie fleißig? heute bekommt Ihr meine Briefe durch Urquijo.
Daß Sie mir Line verwahren, freut mich übernatürlich! und
daß ſie reinlich iſt. Als ich dieſen Brief anfing, und mich
dazu ſetzte, hatte ich Schmerz und ſchrie, jetzt iſt’s ein wenig
ſtill. Weber phantaſirt durch eine vermauerte Thüre himm-
liſch neben mir an. Brentano hat mich ungefähr vor ſechs
Wochen durch jemand, dem er hier ſchrieb, grüßen laſſen, ſonſt
weiß ich nichts von ihm. Ich habe ihm den Handel aufge-
ſagt: und muß — da ich ihm von Natur gut war, leider! —
ſehen, daß wenigſtens ich nicht mit ihm leben kann. Eine
gewiſſe ſittliche Sicherheit brauche ich, ſo vagabund mein Geiſt
ſich auch zu betragen, das heißt zu ſehen vermag; und geſel-
lige Artigkeit, die mit einemmale bei ihm ganz ausgehen kann,
Beurtheilen Sie, ob ich ſonſt Prätenſionen habe, die man nicht
dulden kann! ich habe die Serie ſeiner Briefe, und will ſie
Ihnen einmal zeigen, ob ſie ſo auf einander folgen konnten?!!
Er konſtituirt mich z. B. als ſeine erſte Freundin; und in
einem Briefe drauf, ſpricht er mir jede menſchliche Eigen-
ſchaft ab, und radotirt — ſo — daß ich vielleicht nur fünf-
mal in meinem Leben ſo gelacht habe, als über dieſen Brief.
Nichts deſto weniger war ich ſehr empört. Jetzt iſt er mir
ganz gleichgültig: der ganze Krieg, alle Bleſſirte ka-
men mir dazwiſchen: und ganz andere perfide Freunde.
Dieſer Sommer war mein letzter; nun läuft alles, meines
Herzens Maß vorbei. Es iſt voll: und ich bin heiterer, als
da es ſich füllte: nur die Börſe — ge — iſt zu leer! denn
ich bin dahinter, auf einem Schiff muß man Equipage ha-
ben, und ein Brechmittel von einem guten Koch einneh-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0173" n="165"/>
Sie fleißig? heute bekommt Ihr meine Briefe durch Urquijo.<lb/>
Daß Sie mir Line verwahren, freut mich übernatürlich! und<lb/>
daß &#x017F;ie reinlich i&#x017F;t. Als ich die&#x017F;en Brief anfing, und mich<lb/>
dazu &#x017F;etzte, hatte ich Schmerz und &#x017F;chrie, jetzt i&#x017F;t&#x2019;s ein wenig<lb/>
&#x017F;till. Weber phanta&#x017F;irt durch eine vermauerte Thüre himm-<lb/>
li&#x017F;ch neben mir an. Brentano hat mich ungefähr vor &#x017F;echs<lb/>
Wochen durch jemand, dem er hier &#x017F;chrieb, grüßen la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
weiß ich nichts von ihm. Ich habe ihm den Handel aufge-<lb/>
&#x017F;agt: und muß &#x2014; da ich ihm von Natur gut war, leider! &#x2014;<lb/>
&#x017F;ehen, daß wenig&#x017F;tens <hi rendition="#g">ich</hi> nicht mit ihm leben kann. Eine<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ittliche Sicherheit brauche ich, &#x017F;o vagabund mein Gei&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ich auch zu betragen, das heißt zu &#x017F;ehen vermag; und ge&#x017F;el-<lb/>
lige Artigkeit, die mit einemmale bei ihm ganz ausgehen kann,<lb/>
Beurtheilen Sie, ob ich &#x017F;on&#x017F;t Präten&#x017F;ionen habe, die man nicht<lb/>
dulden kann! ich habe die Serie &#x017F;einer Briefe, und will &#x017F;ie<lb/>
Ihnen einmal zeigen, ob &#x017F;ie <hi rendition="#g">&#x017F;o</hi> auf einander folgen konnten?!!<lb/>
Er kon&#x017F;tituirt mich z. B. als &#x017F;eine <hi rendition="#g">er&#x017F;te Freundin</hi>; und in<lb/>
einem Briefe drauf, &#x017F;pricht er mir jede <hi rendition="#g">men&#x017F;chliche</hi> Eigen-<lb/>
&#x017F;chaft ab, und <hi rendition="#g">radotirt</hi> &#x2014; &#x017F;o &#x2014; daß ich vielleicht nur fünf-<lb/>
mal in meinem Leben &#x017F;o gelacht habe, als über die&#x017F;en Brief.<lb/>
Nichts de&#x017F;to weniger war ich &#x017F;ehr empört. <hi rendition="#g">Jetzt</hi> i&#x017F;t er mir<lb/><hi rendition="#g">ganz</hi> gleichgültig: der <hi rendition="#g">ganze Krieg</hi>, alle Ble&#x017F;&#x017F;irte ka-<lb/>
men mir dazwi&#x017F;chen: und <hi rendition="#g">ganz andere</hi> perfide Freunde.<lb/>
Die&#x017F;er Sommer war mein letzter; nun läuft alles, meines<lb/>
Herzens Maß vorbei. Es i&#x017F;t voll: und ich bin heiterer, als<lb/>
da es &#x017F;ich füllte: <hi rendition="#g">nur</hi> die Bör&#x017F;e &#x2014; <hi rendition="#aq">ge</hi> &#x2014; i&#x017F;t zu leer! denn<lb/>
ich bin dahinter, auf einem <hi rendition="#g">Schiff</hi> muß man Equipage ha-<lb/>
ben, und ein <hi rendition="#g">Brechmittel</hi> von einem <hi rendition="#g">guten Koch</hi> einneh-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[165/0173] Sie fleißig? heute bekommt Ihr meine Briefe durch Urquijo. Daß Sie mir Line verwahren, freut mich übernatürlich! und daß ſie reinlich iſt. Als ich dieſen Brief anfing, und mich dazu ſetzte, hatte ich Schmerz und ſchrie, jetzt iſt’s ein wenig ſtill. Weber phantaſirt durch eine vermauerte Thüre himm- liſch neben mir an. Brentano hat mich ungefähr vor ſechs Wochen durch jemand, dem er hier ſchrieb, grüßen laſſen, ſonſt weiß ich nichts von ihm. Ich habe ihm den Handel aufge- ſagt: und muß — da ich ihm von Natur gut war, leider! — ſehen, daß wenigſtens ich nicht mit ihm leben kann. Eine gewiſſe ſittliche Sicherheit brauche ich, ſo vagabund mein Geiſt ſich auch zu betragen, das heißt zu ſehen vermag; und geſel- lige Artigkeit, die mit einemmale bei ihm ganz ausgehen kann, Beurtheilen Sie, ob ich ſonſt Prätenſionen habe, die man nicht dulden kann! ich habe die Serie ſeiner Briefe, und will ſie Ihnen einmal zeigen, ob ſie ſo auf einander folgen konnten?!! Er konſtituirt mich z. B. als ſeine erſte Freundin; und in einem Briefe drauf, ſpricht er mir jede menſchliche Eigen- ſchaft ab, und radotirt — ſo — daß ich vielleicht nur fünf- mal in meinem Leben ſo gelacht habe, als über dieſen Brief. Nichts deſto weniger war ich ſehr empört. Jetzt iſt er mir ganz gleichgültig: der ganze Krieg, alle Bleſſirte ka- men mir dazwiſchen: und ganz andere perfide Freunde. Dieſer Sommer war mein letzter; nun läuft alles, meines Herzens Maß vorbei. Es iſt voll: und ich bin heiterer, als da es ſich füllte: nur die Börſe — ge — iſt zu leer! denn ich bin dahinter, auf einem Schiff muß man Equipage ha- ben, und ein Brechmittel von einem guten Koch einneh-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/173
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/173>, abgerufen am 25.11.2024.