Wohlsein ist meine Haupsache: lernen sie auch noch Italiä- nisch? Hanne's Hals muß noch mehr geschont werden; leicht zieht sich nach solchem Orte eine Schwäche. --
Schon sehr oft, lieber Ohme, dachte ich daran, daß die Litteratur bei euch schmachten würde; und besorgte es; mir geht's ja eben so, wenn Marwitz, Varnhagen und solche nicht da sind: die ganze Litteratur ist eine Mittheilung in's Große getrieben: und kann nur durch Mittheilung begünstigt, ver- breitet werden! Wir wollen schon wieder dafür sorgen. Graf Luckner wird dir eine Broschüre von mir bringen -- in acht Tagen etwa -- Considerations politiques sur l'Europe. Ro- bert antwortet mir Einmal darauf in einem seiner Briefe. Ein Emigrant (Maisonfort), der russischer Legationssekretair in London ist, hat sie verfaßt. Ich errieth natürlich den Emi- granten. Aber wie modifizirt auch diese unmodifikabelste Men- schenart ist, sollst du draus sehen: und wie göttlich, geschmack- voll, judiziös, und harmonisch, und wahlreich man diese Sprache in neuster Zeit zu schreiben vermag: und wie komplet ahn- dungslos dafür A. W. Schlegel ist: der seine politischen Nach- schwätzungen auch glaubt in dieser Sprache abfassen zu kön- nen! Er ist nun in seiner völligen Ausbildung ganz arm und irr geworden.
Du sagst mir, Kunst, Konzerte, Theater, alles würde von dir vernachlässigt. Was kann ich erst sagen: die ich nur Flanell, Schweiß, Trank, Betten, Tropfen etc. seit so viel Zeit zu allem Umgang habe! Gott will es: und begabt mich auch dabei, daß ich noch nicht vertrockne. Aber mein Körper natürlich, deteriorirt sich; und das krepirt mich sehr. Die gril-
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Wohlſein iſt meine Haupſache: lernen ſie auch noch Italiä- niſch? Hanne’s Hals muß noch mehr geſchont werden; leicht zieht ſich nach ſolchem Orte eine Schwäche. —
Schon ſehr oft, lieber Ohme, dachte ich daran, daß die Litteratur bei euch ſchmachten würde; und beſorgte es; mir geht’s ja eben ſo, wenn Marwitz, Varnhagen und ſolche nicht da ſind: die ganze Litteratur iſt eine Mittheilung in’s Große getrieben: und kann nur durch Mittheilung begünſtigt, ver- breitet werden! Wir wollen ſchon wieder dafür ſorgen. Graf Luckner wird dir eine Broſchüre von mir bringen — in acht Tagen etwa — Considérations politiques sur l’Europe. Ro- bert antwortet mir Einmal darauf in einem ſeiner Briefe. Ein Emigrant (Maiſonfort), der ruſſiſcher Legationsſekretair in London iſt, hat ſie verfaßt. Ich errieth natürlich den Emi- granten. Aber wie modifizirt auch dieſe unmodifikabelſte Men- ſchenart iſt, ſollſt du draus ſehen: und wie göttlich, geſchmack- voll, judiziös, und harmoniſch, und wahlreich man dieſe Sprache in neuſter Zeit zu ſchreiben vermag: und wie komplet ahn- dungslos dafür A. W. Schlegel iſt: der ſeine politiſchen Nach- ſchwätzungen auch glaubt in dieſer Sprache abfaſſen zu kön- nen! Er iſt nun in ſeiner völligen Ausbildung ganz arm und irr geworden.
Du ſagſt mir, Kunſt, Konzerte, Theater, alles würde von dir vernachläſſigt. Was kann ich erſt ſagen: die ich nur Flanell, Schweiß, Trank, Betten, Tropfen ꝛc. ſeit ſo viel Zeit zu allem Umgang habe! Gott will es: und begabt mich auch dabei, daß ich noch nicht vertrockne. Aber mein Körper natürlich, deteriorirt ſich; und das krepirt mich ſehr. Die gril-
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Wohlſein iſt meine Haupſache: lernen ſie auch noch Italiä-
niſch? Hanne’s Hals muß noch mehr geſchont werden; leicht
zieht ſich nach ſolchem Orte eine Schwäche. —
Schon ſehr oft, lieber Ohme, dachte ich daran, daß die
Litteratur bei euch ſchmachten würde; und beſorgte es; mir
geht’s ja eben ſo, wenn Marwitz, Varnhagen und ſolche nicht
da ſind: die ganze Litteratur iſt eine Mittheilung in’s Große
getrieben: und kann nur durch Mittheilung begünſtigt, ver-
breitet werden! Wir wollen ſchon wieder dafür ſorgen. Graf
Luckner wird dir eine Broſchüre von mir bringen — in acht
Tagen etwa — Considérations politiques sur l’Europe. Ro-
bert antwortet mir Einmal darauf in einem ſeiner Briefe.
Ein Emigrant (Maiſonfort), der ruſſiſcher Legationsſekretair
in London iſt, hat ſie verfaßt. Ich errieth natürlich den Emi-
granten. Aber wie modifizirt auch dieſe unmodifikabelſte Men-
ſchenart iſt, ſollſt du draus ſehen: und wie göttlich, geſchmack-
voll, judiziös, und harmoniſch, und wahlreich man dieſe Sprache
in neuſter Zeit zu ſchreiben vermag: und wie komplet ahn-
dungslos dafür A. W. Schlegel iſt: der ſeine politiſchen Nach-
ſchwätzungen auch glaubt in dieſer Sprache abfaſſen zu kön-
nen! Er iſt nun in ſeiner völligen Ausbildung ganz arm und
irr geworden.
Du ſagſt mir, Kunſt, Konzerte, Theater, alles würde von
dir vernachläſſigt. Was kann ich erſt ſagen: die ich nur
Flanell, Schweiß, Trank, Betten, Tropfen ꝛc. ſeit ſo viel Zeit
zu allem Umgang habe! Gott will es: und begabt mich
auch dabei, daß ich noch nicht vertrockne. Aber mein Körper
natürlich, deteriorirt ſich; und das krepirt mich ſehr. Die gril-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/203>, abgerufen am 24.11.2024.
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