ich vorgestern die Batterie gesehen, von welcher Moreau er- schossen wurde, und auch den Ort, wo es geschah, und alle Schlachtfelder. Pfui! Christen! und sie schmieren wieder so etwas im Kongreß zusammen. --
An Varnhagen, in Hamburg.
Berlin, Freitag, den 10. September 1814.
-- Tieck kam gestern Abend nach dem Theater: wir hat- ten schon Thee getrunken; er trank noch einmal, erholte sich nach und nach von der Erschöpfung des Ennui's, er hatte das Ballet Arlekins Geburt, wo -- hier! -- nichts vor, nichts nachgegeben wird, seinen Kindern zu Gefallen ausgehalten. Bald kamen wir in die natürlichsten, muntersten, prätensions- losesten Gespräche, worin die Mädchen gar nicht hinderten; ich lag hinter dem Lichtschirm: weil ich sehr vom Schreiben, Gehen und Leben fatiguirt war. Er ist ein köstlich einfacher, versatiler Mensch. -- Ich sprach ihm viel von dir, und wie du dich ärgern würdest ihn zu versäumen; und mit welchem Recht. Wir hatten sehr schöne Gespräche über das Lügen, und die Lüge: er ist ungemein wahr, und so naiv, als ob er von Glas wäre, so läßt er seine innren Untersuchungen sehen, -- wenn er einmal auf diese Punkte gebracht werden kann, -- in den einfachsten Bürgerworten, die sich, wie die vornehmsten Leute, gut stellen, und ganz mild und einfach einander behandeln, ganz einfach. -- Er spricht oft schwer: klagt oft darüber; und noch gestern: daß er sich so leicht ver-
nichtet
ich vorgeſtern die Batterie geſehen, von welcher Moreau er- ſchoſſen wurde, und auch den Ort, wo es geſchah, und alle Schlachtfelder. Pfui! Chriſten! und ſie ſchmieren wieder ſo etwas im Kongreß zuſammen. —
An Varnhagen, in Hamburg.
Berlin, Freitag, den 10. September 1814.
— Tieck kam geſtern Abend nach dem Theater: wir hat- ten ſchon Thee getrunken; er trank noch einmal, erholte ſich nach und nach von der Erſchöpfung des Ennui’s, er hatte das Ballet Arlekins Geburt, wo — hier! — nichts vor, nichts nachgegeben wird, ſeinen Kindern zu Gefallen ausgehalten. Bald kamen wir in die natürlichſten, munterſten, prätenſions- loſeſten Geſpräche, worin die Mädchen gar nicht hinderten; ich lag hinter dem Lichtſchirm: weil ich ſehr vom Schreiben, Gehen und Leben fatiguirt war. Er iſt ein köſtlich einfacher, verſatiler Menſch. — Ich ſprach ihm viel von dir, und wie du dich ärgern würdeſt ihn zu verſäumen; und mit welchem Recht. Wir hatten ſehr ſchöne Geſpräche über das Lügen, und die Lüge: er iſt ungemein wahr, und ſo naiv, als ob er von Glas wäre, ſo läßt er ſeine innren Unterſuchungen ſehen, — wenn er einmal auf dieſe Punkte gebracht werden kann, — in den einfachſten Bürgerworten, die ſich, wie die vornehmſten Leute, gut ſtellen, und ganz mild und einfach einander behandeln, ganz einfach. — Er ſpricht oft ſchwer: klagt oft darüber; und noch geſtern: daß er ſich ſo leicht ver-
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ich vorgeſtern die Batterie geſehen, von welcher Moreau er-
ſchoſſen wurde, und auch den Ort, wo es geſchah, und alle
Schlachtfelder. Pfui! Chriſten! und ſie ſchmieren wieder ſo
etwas im Kongreß zuſammen. —
An Varnhagen, in Hamburg.
Berlin, Freitag, den 10. September 1814.
— Tieck kam geſtern Abend nach dem Theater: wir hat-
ten ſchon Thee getrunken; er trank noch einmal, erholte ſich
nach und nach von der Erſchöpfung des Ennui’s, er hatte
das Ballet Arlekins Geburt, wo — hier! — nichts vor, nichts
nachgegeben wird, ſeinen Kindern zu Gefallen ausgehalten.
Bald kamen wir in die natürlichſten, munterſten, prätenſions-
loſeſten Geſpräche, worin die Mädchen gar nicht hinderten;
ich lag hinter dem Lichtſchirm: weil ich ſehr vom Schreiben,
Gehen und Leben fatiguirt war. Er iſt ein köſtlich einfacher,
verſatiler Menſch. — Ich ſprach ihm viel von dir, und wie
du dich ärgern würdeſt ihn zu verſäumen; und mit welchem
Recht. Wir hatten ſehr ſchöne Geſpräche über das Lügen,
und die Lüge: er iſt ungemein wahr, und ſo naiv, als ob
er von Glas wäre, ſo läßt er ſeine innren Unterſuchungen
ſehen, — wenn er einmal auf dieſe Punkte gebracht werden
kann, — in den einfachſten Bürgerworten, die ſich, wie die
vornehmſten Leute, gut ſtellen, und ganz mild und einfach
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klagt oft darüber; und noch geſtern: daß er ſich ſo leicht ver-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/248>, abgerufen am 21.11.2024.
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