Berlin, noch immer Berlin! den berühmten 18. Oktober 1814.
Alle Truppen und Prinzessinnen und Menschen auf dem Exerzirplatz betend! Ich auch habe genug aus dem überflie- ßenden Herzen geweint für mich allein, seit dem 16., wo es sich engagirte; daß der Gräuel ein Ende, die stockende Angst ein Ende hat, daß unsere Truppen in der Sonne fröhlich und affektirt blinken; daß du in Sicherheit bist! In Sicher- heit! Weiß ich, ob du die Reise gut überstanden hast? Seit gestern erst weiß ich, daß du gleich bei deiner Ankunft in Frankfurt mit dem General wieder abgereist bist. Gott! die vielen Nächte hintereinander! Was dabei für beide gewonnen sein kann, weiß ich natürlich nicht. Für dich, daß du, wie du mit Recht wünschtest, mit Tettenborn in Wien ankommen konntest; und also auch das für mich. Ich reise nun über- morgen, Donnerstag. Das Wetter ist schön. Assing, der eben hier war, und auch Donnerstag nach Hamburg reist, und dich sehr grüßt, versichert mich es würde so bleiben, da keine Mond- veränderung einfällt: und es Anno 11. beim Kometen eben so war. -- Was machst du denn? Bedauere die elende Rahel, der es immer chiffonnirt gehen muß, daß sie ohne Nachricht von dir mitten im Frieden sein muß. Glaube, daß ich mein Glück erkenne und ganz durchdenke und empfinde; daß ich auf den Knieen bin, nicht kränker geworden zu sein; daß ich weiß, das Winden und Kämpfen hört für niemanden auf, daß unser Übereinstimmen in allem der Grund all unseres
16 *
An Varnhagen, in Wien.
Berlin, noch immer Berlin! den berühmten 18. Oktober 1814.
Alle Truppen und Prinzeſſinnen und Menſchen auf dem Exerzirplatz betend! Ich auch habe genug aus dem überflie- ßenden Herzen geweint für mich allein, ſeit dem 16., wo es ſich engagirte; daß der Gräuel ein Ende, die ſtockende Angſt ein Ende hat, daß unſere Truppen in der Sonne fröhlich und affektirt blinken; daß du in Sicherheit biſt! In Sicher- heit! Weiß ich, ob du die Reiſe gut überſtanden haſt? Seit geſtern erſt weiß ich, daß du gleich bei deiner Ankunft in Frankfurt mit dem General wieder abgereiſt biſt. Gott! die vielen Nächte hintereinander! Was dabei für beide gewonnen ſein kann, weiß ich natürlich nicht. Für dich, daß du, wie du mit Recht wünſchteſt, mit Tettenborn in Wien ankommen konnteſt; und alſo auch das für mich. Ich reiſe nun über- morgen, Donnerstag. Das Wetter iſt ſchön. Aſſing, der eben hier war, und auch Donnerstag nach Hamburg reiſt, und dich ſehr grüßt, verſichert mich es würde ſo bleiben, da keine Mond- veränderung einfällt: und es Anno 11. beim Kometen eben ſo war. — Was machſt du denn? Bedauere die elende Rahel, der es immer chiffonnirt gehen muß, daß ſie ohne Nachricht von dir mitten im Frieden ſein muß. Glaube, daß ich mein Glück erkenne und ganz durchdenke und empfinde; daß ich auf den Knieen bin, nicht kränker geworden zu ſein; daß ich weiß, das Winden und Kämpfen hört für niemanden auf, daß unſer Übereinſtimmen in allem der Grund all unſeres
16 *
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0251"n="243"/><divn="2"><head>An Varnhagen, in Wien.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Berlin, noch immer Berlin! den berühmten<lb/>
18. Oktober 1814.</hi></dateline><lb/><p>Alle Truppen und Prinzeſſinnen und Menſchen auf dem<lb/>
Exerzirplatz betend! Ich auch habe genug aus dem überflie-<lb/>
ßenden Herzen geweint für mich allein, ſeit dem 16., wo es<lb/>ſich engagirte; daß der Gräuel ein Ende, die ſtockende Angſt<lb/>
ein Ende hat, daß <hirendition="#g">unſere</hi> Truppen in der Sonne fröhlich<lb/>
und affektirt blinken; daß du in Sicherheit biſt! In Sicher-<lb/>
heit! Weiß ich, ob du die Reiſe gut überſtanden haſt? Seit<lb/>
geſtern erſt weiß ich, daß du gleich bei deiner Ankunft in<lb/>
Frankfurt mit dem General wieder abgereiſt biſt. Gott! die<lb/>
vielen Nächte hintereinander! Was dabei für beide gewonnen<lb/>ſein kann, weiß ich natürlich nicht. Für dich, daß du, wie<lb/>
du mit Recht wünſchteſt, mit Tettenborn in Wien ankommen<lb/>
konnteſt; und <hirendition="#g">alſo</hi> auch das für mich. Ich reiſe nun über-<lb/>
morgen, Donnerstag. Das Wetter iſt ſchön. Aſſing, der eben<lb/>
hier war, und auch Donnerstag nach Hamburg reiſt, und dich<lb/>ſehr grüßt, verſichert mich es würde ſo bleiben, da keine Mond-<lb/>
veränderung einfällt: und es Anno 11. beim Kometen eben<lb/>ſo war. — Was machſt du denn? Bedauere die elende Rahel,<lb/>
der es immer chiffonnirt gehen muß, daß ſie ohne Nachricht<lb/>
von dir mitten im Frieden ſein muß. Glaube, daß ich mein<lb/>
Glück erkenne und ganz durchdenke und empfinde; daß ich<lb/>
auf den Knieen bin, nicht kränker geworden zu ſein; daß ich<lb/>
weiß, das Winden und Kämpfen hört für niemanden auf,<lb/>
daß unſer Übereinſtimmen in allem der Grund all unſeres<lb/><fwplace="bottom"type="sig">16 *</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[243/0251]
An Varnhagen, in Wien.
Berlin, noch immer Berlin! den berühmten
18. Oktober 1814.
Alle Truppen und Prinzeſſinnen und Menſchen auf dem
Exerzirplatz betend! Ich auch habe genug aus dem überflie-
ßenden Herzen geweint für mich allein, ſeit dem 16., wo es
ſich engagirte; daß der Gräuel ein Ende, die ſtockende Angſt
ein Ende hat, daß unſere Truppen in der Sonne fröhlich
und affektirt blinken; daß du in Sicherheit biſt! In Sicher-
heit! Weiß ich, ob du die Reiſe gut überſtanden haſt? Seit
geſtern erſt weiß ich, daß du gleich bei deiner Ankunft in
Frankfurt mit dem General wieder abgereiſt biſt. Gott! die
vielen Nächte hintereinander! Was dabei für beide gewonnen
ſein kann, weiß ich natürlich nicht. Für dich, daß du, wie
du mit Recht wünſchteſt, mit Tettenborn in Wien ankommen
konnteſt; und alſo auch das für mich. Ich reiſe nun über-
morgen, Donnerstag. Das Wetter iſt ſchön. Aſſing, der eben
hier war, und auch Donnerstag nach Hamburg reiſt, und dich
ſehr grüßt, verſichert mich es würde ſo bleiben, da keine Mond-
veränderung einfällt: und es Anno 11. beim Kometen eben
ſo war. — Was machſt du denn? Bedauere die elende Rahel,
der es immer chiffonnirt gehen muß, daß ſie ohne Nachricht
von dir mitten im Frieden ſein muß. Glaube, daß ich mein
Glück erkenne und ganz durchdenke und empfinde; daß ich
auf den Knieen bin, nicht kränker geworden zu ſein; daß ich
weiß, das Winden und Kämpfen hört für niemanden auf,
daß unſer Übereinſtimmen in allem der Grund all unſeres
16 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/251>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.