"Glaube mich nicht schwach: ich habe Frevelmuth genug in mir, um weiter zu leben, Besonnenheit genug, um in Thä- tigkeiten zu bestehen, für die mir kein Gemüth und kein Geist bleibt!" So schreibst du mir im letzten Brief; nicht geden- kend der Worte, die den von Clemens begleiteten: "Ich stehe hoch über meinen Fehlern." So, mein sehr Lieber, denk' ich von dir: und habe es dir schon öfter gesagt: "Das ist ein gebildeter Mensch, der seine Anlagen bezwingt, wenn Natur nicht gnädig gegen ihn war; der sie nur in sich einsieht; sie ermessend behandlen, ist einen Schritt weiter." So ungefähr sagte ich. Du stehst als der Gebildetsten Einer mit deiner Einsicht hoch über deinen Naturfehlern. Theurer Freund! hasse sie immer, nenne sie dir, bekämpfe sie. Du liebst ja das Schöne so in Andern, bist so gerecht, so tapfer in der Aufweisung und Schätzung ihrer Gaben; mach dich selbst urbar, wo Dürre gelassen ist, und laß dich von deinen Freun- den hinwiederum lieben: du weißt, welches Glück, welcher alles heilender, weicher Zustand dies ist.
Lieber Guter! dein Brief an Goethe über mich ängstigt mich ordentlich. Freilich, Lieber, wird er ihm die Jugend und Liebe wohl ansehen. Du sprichst von meinem "Talent"!? hab' ich ein namhaftes Talent? das, das Leben zu fassen; und manchmal barock, in komisch- oder tragischer Hülle, es zu nennen was ich sah. Mein Unglück -- sag' ich ja schon lange -- ist zu meiner Schmach eins ohne Titel; darum wird mir auch nie geholfen. Ich bin eine Falschgeborne, und sollte eine Hochgeborne, eine schöne Hülle für meinen innren wohl ergie- bigen Grund sein! Eher hättest du ihm von meinen wirklich
2 *
„Glaube mich nicht ſchwach: ich habe Frevelmuth genug in mir, um weiter zu leben, Beſonnenheit genug, um in Thä- tigkeiten zu beſtehen, für die mir kein Gemüth und kein Geiſt bleibt!“ So ſchreibſt du mir im letzten Brief; nicht geden- kend der Worte, die den von Clemens begleiteten: „Ich ſtehe hoch über meinen Fehlern.“ So, mein ſehr Lieber, denk’ ich von dir: und habe es dir ſchon öfter geſagt: „Das iſt ein gebildeter Menſch, der ſeine Anlagen bezwingt, wenn Natur nicht gnädig gegen ihn war; der ſie nur in ſich einſieht; ſie ermeſſend behandlen, iſt einen Schritt weiter.“ So ungefähr ſagte ich. Du ſtehſt als der Gebildetſten Einer mit deiner Einſicht hoch über deinen Naturfehlern. Theurer Freund! haſſe ſie immer, nenne ſie dir, bekämpfe ſie. Du liebſt ja das Schöne ſo in Andern, biſt ſo gerecht, ſo tapfer in der Aufweiſung und Schätzung ihrer Gaben; mach dich ſelbſt urbar, wo Dürre gelaſſen iſt, und laß dich von deinen Freun- den hinwiederum lieben: du weißt, welches Glück, welcher alles heilender, weicher Zuſtand dies iſt.
Lieber Guter! dein Brief an Goethe über mich ängſtigt mich ordentlich. Freilich, Lieber, wird er ihm die Jugend und Liebe wohl anſehen. Du ſprichſt von meinem „Talent“!? hab’ ich ein namhaftes Talent? das, das Leben zu faſſen; und manchmal barock, in komiſch- oder tragiſcher Hülle, es zu nennen was ich ſah. Mein Unglück — ſag’ ich ja ſchon lange — iſt zu meiner Schmach eins ohne Titel; darum wird mir auch nie geholfen. Ich bin eine Falſchgeborne, und ſollte eine Hochgeborne, eine ſchöne Hülle für meinen innren wohl ergie- bigen Grund ſein! Eher hätteſt du ihm von meinen wirklich
2 *
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0027"n="19"/><p>„Glaube mich nicht ſchwach: ich habe Frevelmuth genug<lb/>
in mir, um weiter zu leben, Beſonnenheit genug, um in Thä-<lb/>
tigkeiten zu beſtehen, für die mir kein Gemüth und kein Geiſt<lb/>
bleibt!“ So ſchreibſt du mir im letzten Brief; nicht geden-<lb/>
kend der Worte, die den von Clemens begleiteten: „Ich ſtehe<lb/>
hoch über meinen Fehlern.“ So, mein ſehr Lieber, denk’ ich<lb/>
von dir: und habe es dir ſchon öfter geſagt: „Das iſt ein<lb/>
gebildeter Menſch, der ſeine Anlagen bezwingt, wenn Natur<lb/>
nicht gnädig gegen ihn war; der ſie nur in ſich einſieht; ſie<lb/>
ermeſſend behandlen, iſt einen Schritt weiter.“ So ungefähr<lb/>ſagte ich. Du ſtehſt als der Gebildetſten Einer mit deiner<lb/>
Einſicht hoch über deinen Naturfehlern. Theurer Freund!<lb/>
haſſe ſie <hirendition="#g">immer, nenne</hi>ſie dir, bekämpfe ſie. Du liebſt ja<lb/>
das Schöne ſo in Andern, biſt ſo gerecht, ſo tapfer in der<lb/>
Aufweiſung und Schätzung ihrer Gaben; mach dich ſelbſt<lb/>
urbar, wo Dürre gelaſſen iſt, und laß <hirendition="#g">dich</hi> von deinen Freun-<lb/>
den hinwiederum lieben: du weißt, welches Glück, welcher<lb/>
alles heilender, weicher Zuſtand dies iſt.</p><lb/><p>Lieber Guter! dein Brief an Goethe über mich ängſtigt<lb/>
mich ordentlich. Freilich, Lieber, wird er ihm die Jugend und<lb/>
Liebe wohl anſehen. Du ſprichſt von meinem „Talent“!?<lb/>
hab’<hirendition="#g">ich</hi> ein namhaftes Talent? das, das Leben zu faſſen;<lb/>
und manchmal barock, in komiſch- oder tragiſcher Hülle, es zu<lb/>
nennen was ich ſah. Mein Unglück —ſag’ ich ja ſchon lange<lb/>— iſt zu meiner Schmach eins ohne Titel; darum wird mir<lb/>
auch nie geholfen. Ich bin eine Falſchgeborne, und ſollte eine<lb/>
Hochgeborne, eine ſchöne Hülle für meinen innren wohl ergie-<lb/>
bigen Grund ſein! Eher hätteſt du ihm von meinen wirklich<lb/><fwplace="bottom"type="sig">2 *</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[19/0027]
„Glaube mich nicht ſchwach: ich habe Frevelmuth genug
in mir, um weiter zu leben, Beſonnenheit genug, um in Thä-
tigkeiten zu beſtehen, für die mir kein Gemüth und kein Geiſt
bleibt!“ So ſchreibſt du mir im letzten Brief; nicht geden-
kend der Worte, die den von Clemens begleiteten: „Ich ſtehe
hoch über meinen Fehlern.“ So, mein ſehr Lieber, denk’ ich
von dir: und habe es dir ſchon öfter geſagt: „Das iſt ein
gebildeter Menſch, der ſeine Anlagen bezwingt, wenn Natur
nicht gnädig gegen ihn war; der ſie nur in ſich einſieht; ſie
ermeſſend behandlen, iſt einen Schritt weiter.“ So ungefähr
ſagte ich. Du ſtehſt als der Gebildetſten Einer mit deiner
Einſicht hoch über deinen Naturfehlern. Theurer Freund!
haſſe ſie immer, nenne ſie dir, bekämpfe ſie. Du liebſt ja
das Schöne ſo in Andern, biſt ſo gerecht, ſo tapfer in der
Aufweiſung und Schätzung ihrer Gaben; mach dich ſelbſt
urbar, wo Dürre gelaſſen iſt, und laß dich von deinen Freun-
den hinwiederum lieben: du weißt, welches Glück, welcher
alles heilender, weicher Zuſtand dies iſt.
Lieber Guter! dein Brief an Goethe über mich ängſtigt
mich ordentlich. Freilich, Lieber, wird er ihm die Jugend und
Liebe wohl anſehen. Du ſprichſt von meinem „Talent“!?
hab’ ich ein namhaftes Talent? das, das Leben zu faſſen;
und manchmal barock, in komiſch- oder tragiſcher Hülle, es zu
nennen was ich ſah. Mein Unglück — ſag’ ich ja ſchon lange
— iſt zu meiner Schmach eins ohne Titel; darum wird mir
auch nie geholfen. Ich bin eine Falſchgeborne, und ſollte eine
Hochgeborne, eine ſchöne Hülle für meinen innren wohl ergie-
bigen Grund ſein! Eher hätteſt du ihm von meinen wirklich
2 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/27>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.